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Interview mit Dr. Manfred Lütz

(Aus BerufSZiel 1.2008) „Gott“ heisst eines seiner Bücher. Und genau darüber wollen wir mit Dr. Manfred Lütz reden: über die Perspektive von „ganz oben“. Treffpunkt: das Alexianer-Krankenhaus in Köln, wo Lütz Chefarzt ist. Das Krankenhaus ist ein altes Kloster mit malerischen Kreuzgängen – wie geschaffen für ein Gespräch über Glaube, Kirche und was Manager von der Theologie lernen können. Manfred Lütz verspätet sich zum Interview, weil er gerade noch einen psychiatrischen Notfall behandeln musste. Doch dann steht er Interviewer Peter Neumann wortgewandt Rede und Antwort.

Zur Person

Dr. Manfred Lütz studierte Medizin, Philosophie und katholische Theologie in Bonn und Rom. Als Facharzt für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie ist er seit 1997 Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln-Porz. Lütz ist Mitglied des Päpstlichen Rates für die Laien, Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben und Berater der Vatikanischen Kleruskongregation. Bekannt wurde Lütz als Autor diverser Bücher, darunter „Lebenslust“, in dem er sich satirisch zu Diäten, dem Gesundheits- und Fitness-Wahn äußert, oder „Der blockierte Riese. Psycho-Analyse der katholischen Kirche“. Sein Werk „GOTT“ stand monatelang auf den Bestseller-Listen.

Hilft der Glaube an Gott, einen Job im Top-Management auszufüllen?
Man glaubt nicht zu einem Zweck. Der Vorstand eines Dax-Unternehmens, der es nützlich finden würde, an Gott zu glauben, um dadurch vielleicht einen besseren Aktienkurs zu erzielen, wäre wahrscheinlich so schlichten Geistes, dass er eine Gefahr für das Unternehmen wäre. Andererseits mag es aber schon sein, dass jemand, der an Gott und einen Sinn im Leben glaubt, auf einem belastbareren Fundament steht. Er muss sich nicht mit der täglichen Neukonstruktion seines eigenen Lebenssinns befassen und kann sich so vielleicht mit mehr Kraft seinem Unternehmen widmen.

In Ihrem Buch „GOTT“ schildern Sie eine Managerin, die unter Depressionen litt, ihren Beruf aufgab und ins Kloster ging. Beschreiben Sie hier einen extremen Einzelfall, oder ist das Abtauchen aus dem Stress-Job in Gottes Hand stärker verbreitet, als man es sich vorstellt?
Kloster auf Zeit kann gerade für Manager eine gute Idee sein. Da kann man einmal sein Hirn durchlüften und auf neue Ideen kommen. Aber ganz ins Kloster, das ist sicher ein Ausnahmefall. Wenn wir allen depressiven Managern den Eintritt in einen Orden nahelegen würden, wäre zwar das Problem mit dem Ordensnachwuchs bald gelöst. Aber die Stimmung in den Klöstern würde deutlich sinken – dazu würde ich nicht raten (lacht).

Wenn nicht ins Kloster – sollten Manager dann regelmäßig in die Kirche gehen?
Klar! Denn der Glaube braucht wie die Liebe auch mal die körperliche Anwesenheit. Außerdem tun regelmäßige Unterbrechungen dem Menschen gut. Schon die antike Philosophie wusste, dass der Kult den Menschen herausreißen kann aus dem Alltagstrott. Denn der Gottesdienstbesuch ist mitunter die einzige Zeit in der Woche, in der wir keine Rolle spielen – als Vorgesetzter oder Untergebener, als Sohn oder Vater, als Ehemann oder Nachbar. Im Gottesdienst können wir wenigstens diese eine von 168 Wochenstunden wir selbst sein – wir selbst vor Gott.

Und was nimmt der Manager von seinem Kirchgang mit, das ihm in seinem Beruf weiterhilft?
Nichts. Und das ist das Tolle. Der Gottesdienst ist völlig zwecklos, aber höchst sinnvoll. Im Berufsalltag muss sich ein Manager stets überlegen: Wozu mache ich das eigentlich, was bringt das? Wenn man sein ganzes Leben lang immer nur Zweckmäßiges tut, wird man von seinen Zwecken gelebt und versäumt das eigentliche Leben. Wir arbeiten, um Muße zu haben, hat Aristoteles gesagt. Muße aber ist die zweckfreie Zeit, in der man geistig anregenden Gesprächen nachgeht, Musik genießt, die Natur erlebt oder einem geliebten Menschen nahe ist. Wer sich nur unterhält, um nützliche Informationen oder Kontakte zu bekommen, Musik und Natur um der Erholung willen einsetzt, merkt gar nicht, dass er auf dem besten Weg ist, das Leben zu verpassen.

Gehen gläubige Christen anders mit Problemen um als Atheisten? Konkret: Entscheidet ein christlicher Manager bei Personalentlassungen anders?
Eine gefährliche Frage. Man ist versucht, pharisäisch zu antworten: Freut Euch, wenn Ihr christliche Chefs habt, dann herrscht ein besserer Umgangston. Ich hoffe das natürlich, aber selbstverständlich gibt es da den unmenschlichen Chef, dem das Taufwasser nur die Frisur angefeuchtet hat, und den mitmenschlichen Atheisten.

Wie steht die Bibel zum Thema Geldverdienen? Erlaubt sie Managergehälter jenseits der Eine-Million-Euro-Marke?
Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich – sagt die Bibel. Aber was ist ein Reicher? Im Grunde genommen zählen wir hier in Deutschland alle zu den Spitzenverdienern – verglichen mit Menschen in Bangladesch. Und wenn Reichtum aus biblischer Sicht eine Versuchung zur Sünde ist, haben wir alle ein Problem. Viel Geld zu besitzen ist dann unmoralisch, wenn man damit nicht sozial umgeht. Die soziale Marktwirtschaft ist bekanntlich aus christlichem Geist entstanden. Es geht nicht um die Höhe des Einkommens, sondern darum, wie man damit umgeht. Wer sein Geld sozial einsetzt und nur so viel wie nötig für sich beansprucht, geht verantwortlich damit um. Demonstratives Vorführen von Klunkern ist gewiss nicht im Sinne der Bibel.

Darf ein Christ seinen Konkurrenten bekämpfen oder ihn gar in den Ruin treiben?
Der Bettelmönch Thomas von Aquin hat stets das Recht auf Eigentum verteidigt als Ausdruck der Freiheit des Menschen. Daher ist bei der sozialen Marktwirtschaft nicht nur das „sozial“ christlich motiviert, sondern auch die „Marktwirtschaft“. Zur Marktwirtschaft gehört aber untrennbar die Konkurrenz, die ja zur Verbesserung der Qualität und des Preises beiträgt. Die Grenze liegt da, wo ein Konkurrent mit illegalen oder unmoralischen Mitteln absichtlich ruiniert wird. Aber es kann natürlich in einem Verdrängungswettbewerb passieren, dass ein nicht qualifiziertes Angebot vom Markt verschwinden muss. Christentum ist kein naives Gutmenschentum.

Sind die Kirchenoberen – Bischöfe, Kardinäle und auch der Papst – gute Manager?
Ich glaube nicht.

Was könnten denn Kirchenführer von Wirtschaftsführern lernen?
In der Verwaltung lernen sie ja schon wacker. Auch der Dienstleistungsgedanke wird inzwischen in erfreulichem Maße umgesetzt.

Was könnten umgekehrt Manager von Kirchenmännern lernen?
Die katholische Kirche hat 2000 Jahre überlebt – eine tolle Leistung. Weltlich gesprochen lautet das Erfolgsgeheimnis: Einheit in Vielfalt. Unterschiedliche Orden, Temperamente, Nationen in der gleichen Kirche, diese Unterschiedlichkeit immer wieder fruchtbar zu machen, das ist wohl das Geheimnis der immer wiederkehrenden Aufbrüche in dieser ältesten und größten Institution der Welt. Manager, die Vielfalt als Bereicherung schätzen, die nicht nur Kommandos von oben geben, sondern genau hinsehen, wo in einem Unternehmen neue Ideen wachsen, können ein Unternehmen weiterbringen.

Der Chef der katholischen Kirche wird von den leitenden Mitarbeitern gewählt. Wäre das auch ein Modell für die Wirtschaft?
(lacht) Das glaube ich nicht. Wenn man seinen eigenen Chef wählt, fällt die Wahl nicht immer auf starke Gestalten. So muss bei der Papstwahl der Heilige Geist immer etwas gegensteuern. Papst Johannes XXIII. wurde als alter Übergangspapst gewählt – und entpuppte sich als eine innovative Ausnahmegestalt. Ich würde nicht darauf vertrauen, dass der Heilige Geist auf ähnlich humorvolle Weise auch bei General Motors in die Unternehmenspolitik eingreift.

Mit welchem Top-Manager würden Sie gern einmal zu Mittag essen?
Vielleicht mit dem neuen Siemens-Chef Löscher. Es würde mich interessieren, wie er als jemand, der nicht in die bekannten Affären involviert war, nach seinen Erfahrungen das Thema Moral und Wirtschaft sieht.

Welches Kapitel der Bibel sollten Manager lesen und beherzigen?
Den ersten Johannesbrief. Manager haben ja immer wenig Zeit. Der erste Johannesbrief hat nur etwa vier Seiten, und er fasst das Wesen des Christentums gültig zusammen. Dort heißt es: Jeder, der liebt, ist aus Gott gezeugt und kennt Gott. Mutter Teresa hat einmal gesagt: Wenn wir eines Tages zu Gott gerufen werden, wird er nicht fragen: Wie viel Gutes hast du in deinem Leben getan? Sondern: Mit wie viel Liebe hast du das getan, was du getan hast? Das gilt auch für den Müllmann. Wenn man liebevoll Mülltonnen ausleert, kann man in den Himmel kommen.

Wie muss ein Manager sich ein Leben lang verhalten, damit er beim Jüngsten Gericht gute Chancen hat?
Er sollte den ersten Johannesbrief lesen und sich daran halten.

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