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Interview mit Jörg Will

(Aus BerufSZiel 1.2008) Jörg Will erscheint und geht gleich ans Limit. Gedanklich. Bei unserem Heftthema „Höhentraining“ fühlt er sich an den Film „Am Limit“ erinnert: zwei Bergsteiger, bekannt als die „Huberbuam“, wollen gemeinsam den Rekord im Speedklettern an einer Steilwand im Yosemite-Park aufstellen. Will ist fasziniert: von der Extrem-Situation, dem gemeinsamen Kraftakt der Brüder, der Rivalität unter- und dem unabdingbaren Vertrauen zueinander. Aber auch von tiefen Stürzen, die dank der Körperbeherrschung nur zu leichten Verletzungen führen. Der Personalberater gibt damit Stichworte für das Gespräch mit Sabine Olschner und Viola Strüder. „Welche Gefühle der Bergsteiger lassen sich auf Management-Situationen übertragen?“, wollen wir von ihm wissen. Antwort: der Ehrgeiz, der Kampfgeist, die Angst zu scheitern und das Bewusstsein, dass ohne Vertrauen nichts geht. Und ohne Glück auch nicht.

Zur Person

Jörg Will übernahm 1996 die Leitung des Kölner ifp – Institut für Personal- und Unternehmensberatung. Das Unternehmen für Auswahl und Beurteilung von Führungskräften wurde von seinem Vater Horst Will gegründet. Nach der Schule entschied sich der Kölner zunächst für eine Lehre als Bankkaufmann, eine Ausbildung, die ihm seine Eltern nahegelegt haben. Im Anschluss an die Ausbildung studierte Will Betriebswirtschaftslehre an der Universität Passau, bevor er sich mit dem Unternehmen seines Vaters selbstständig machte. Zu den Hobbys des dreifachen Familienvaters gehören Segeln und Bergwandern.

Braucht man in Ihrem Beruf als Headhunter Jagdinstinkt?
Man braucht Instinkt, ja, aber weniger zum „Jagen“. Es ist vielmehr der Instinkt herauszufinden, welche Person für eine bestimmte Position die richtige wäre und Spaß an dieser Aufgabe haben könnte.

Sie haben fast täglich mit Top-Managern der verschiedensten Branchen zu tun. Was fasziniert Sie am Thema Führung?
Natürlich ist mir das Thema durch meinen Vater, der das ifp gegründet hat, in die Wiege gelegt worden. Für mich stand schon früh fest, dass ich in das Geschäft einsteigen würde. Ich persönlich finde es sehr interessant, aus unserer Perspektive zu beobachten, wie unterschiedlich Führung aussehen kann, welche Persönlichkeiten hinter den Führungskräften stehen. Viele überzeugen mich und haben für mich eine gewisse Vorbildfunktion, weil sie bewusst einen anderen Weg gehen. Mit anderen kann ich mich weniger identifizieren.

Welche Wege sind denn für Sie die überzeugendsten? Es gibt Führungskräfte, die trotz der Dimension ihrer Aufgabe ein gewisses Wertegerüst nicht verlassen.
Das beeindruckt mich. Derzeit wird ja häufig darüber diskutiert, wie Manager mit Werten umgehen und ab wann sie Grenzen überschreiten. Ich kenne immer mehr, die diese Wertegrenzen niemals überschreiten würden und damit sehr erfolgreich sind. Häufig sind das Führungskräfte aus dem Mittelstand, die dem Druck des Kapitalmarktes nicht ausgesetzt sind. Sie handeln langfristiger und damit nachhaltiger. Börsennotierte Unternehmen beschäftigen häufig einen anderen Typus von Manager. Darunter gibt es nur wenige, die sich dem Druck von außen entgegenstellen.

Welche weiteren Unterschiede zwischen Managern im Mittelstand und in börsennotierten Großunternehmen gibt es?
Führungskräfte im Mittelstand sind häufig Unternehmer und gleichzeitig Eigentümer der Firma. Sie gehen mit einem anderen Verantwortungsbewusstsein an die Sache heran. Sie sind sich – von Ausnahmen abgesehen – ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stärker bewusst. Auch für sein Umfeld trägt der Unternehmer oft mehr Verantwortung. Das liegt sicherlich auch daran, dass sein Betrieb häufig auf dem Land ansässig ist und der Unternehmer dort auch lebt. Daher kann er es sich gar nicht leisten, Entscheidungen zu treffen, die sich gegen die Menschen vor Ort richten. Unternehmer sind auch eher bereit, für ihre Entscheidungen einzutreten. Sie wissen: Wenn es eine schlechte Entscheidung war, muss ich persönlich dafür zahlen. Manager in Großunternehmen nehmen aufgrund der Größe des Unternehmens die Wirkung ihrer Entscheidungen manchmal gar nicht richtig wahr.

Gibt es Eigenschaften, die allen Top-Managern, egal welcher Unternehmensgröße, gemein sind?
Auf jeden Fall sind alle nachhaltig erfolgreichen Top-Manager intelligent, das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Eine zweite Eigenschaft, die man braucht, um ein guter Manager zu sein, ist Demut. Manager und Unternehmer, die sich nicht so sehr selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern vielmehr das Unternehmen, sind erfolgreicher als andere. Und nicht zuletzt müssen Führungskräfte Dinge gestalten und weitertreiben wollen.

Oft fällt in diesem Zusammenhang das Stichwort Persönlichkeit. Was genau ist das eigentlich?
Ein Begriff, den wir gerne in diesem Zusammenhang verwenden, ist Authentizität. Bei unserer Personalauswahl fragen wir uns oft: Bekommen wir von der Person einen greifbaren Eindruck, oder haben wir jemanden vor uns, der fassadenhaft wirkt, an den wir nicht so richtig herankommen? Authentizität hat viel mit Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit zu tun. Menschen mit Persönlichkeit sind in der Lage, sich eine Meinung zu bilden und diese auch zu vertreten – ohne dabei mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Sie schaffen es, jemand anderen von ihrem Standpunkt zu überzeugen, und die Menschen folgen ihnen. Mein Tipp: Machen Sie einen guten Job. Nur dadurch reift die Persönlichkeit – oder eben nicht. Auf diesem Weg findet die Auslese statt zwischen Menschen, die das Zeug zur Führungskraft haben, und denjenigen, die das Zeug nicht haben. Ich glaube, man kann sich nicht gezielt zum Manager entwickeln. Man kann viel lernen, aber man muss auch bestimmte Gaben haben.

Wie erkenne ich denn, ob ich diese Gaben oder Begabungen habe?
Irgendwann spürt man, dass man als Führungskraft akzeptiert wird. Zum Beispiel, weil die Menschen, für die man verantwortlich ist, sich an einen wenden und den Austausch suchen. Wenn dieser Austausch nicht stattfindet, muss sich eine Führungskraft ernsthaft fragen, warum keiner mit ihr spricht. Die Begabung zur Führung erkennt man auch, indem man Feedback aus dem Umfeld einfordert, es wahr- und auch ernst nimmt.

Was sind die wichtigsten Kriterien, auf die Unternehmen bei der Einstellung von Führungskräften achten?
Ich glaube, in Deutschland achtet man bei der Auswahl von Mitarbeitern noch viel zu sehr auf formale Kriterien und zu wenig auf die Persönlichkeit. Die Bereitschaft ist gering, jemanden einzustellen, von dem man eigentlich persönlich überzeugt ist, aber der aufgrund fehlender Fachkompetenzen ein höheres Risiko für das Unternehmen sein mag. In managergeführten Unternehmen herrscht die Tendenz, es eher mit vertrauten Profilen zu versuchen. Ein Grund dafür mag sein: Wenn das Engagement schiefgeht, kann man zumindest sagen, dass dies formal nicht absehbar war. Eigentümerunternehmer hingegen sagen sich eher einmal: Was dieser Mensch bei uns können muss, bringe ich ihm bei. Aber das ist der richtige Mann – oder auch die richtige Frau –, der hat die richtige Denke, der passt ins Unternehmen. Dies ist zwar mit mehr Risiko verbunden, aber der Unternehmer glaubt einfach stärker an die Persönlichkeit. Und wenn man bedenkt, dass bei Führungspositionen letztlich nicht die Fachkompetenz, sondern die Persönlichkeit entscheidet, dann ist das der richtige Weg.

Wie wichtig sind in dem Zusammenhang Zeugnisse?
Wenn Zeugnisse allzu viele Standardfloskeln enthalten, sind sie recht wertlos. Je mehr ein Vorgesetzter sich Mühe gegeben hat, jemanden zu beurteilen, umso interessanter wird ein Zeugnis zur Bewertung. Letztlich sind Zeugnisse aber sowieso nur ein kleiner Ausschnitt aus vielen Aspekten bei der Entscheidung für einen Mitarbeiter.

Welche Rolle spielen Netzwerke, vor allem die internetbasierten?
Ich bin davon überzeugt: Tragfähige Netzwerke basieren immer und ausschließlich auf persönlichen und belastbaren Beziehungen. Die Betonung liegt auf der Silbe „Last“. Im Erfolgsfall brauche ich kein Netzwerk, ich brauche es, wenn es nicht gut geht. Ich halte daher nicht allzu viel von Online-Netzwerken, über die derzeit so viel gesprochen wird. Die helfen einem nicht bei der Karriere.

Viele junge Leute wechseln vor allem am Anfang ihrer Karriere im Zwei- oder Drei-Jahres-Rhythmus den Job. Ziehen sie sich dadurch nicht aus der Verantwortung heraus, weil sie für mögliche Misserfolge, die sich abzeichnen, nicht mehr geradestehen müssen?
Zwei Jahre sind sehr wenig, um nachhaltig Leistung zu beurteilen. Doch es ist ein Unterschied, ob man alle zwei Jahre das Unternehmen wechselt oder ob sich innerhalb eines Betriebs die Aufgabe verändert. Unternehmenswechsel alle zwei Jahre führen sicherlich nicht zum Erfolg. Ganz im Gegenteil: Interessant ist, wer innerhalb des Unternehmens seine Schritte macht, wo man ihn mitsamt seiner Schwächen kennt. Wenn er trotz dieser Schwächen befördert wird, dann spricht das für ihn. Interne Beförderungen haben daher bei der Bewertung einer Vita einen sehr hohen Stellenwert für mich. Nur wer seine Aufgaben zu Ende führt und sich auch mal durchbeißen muss, wer auch mal verlieren kann und gelernt hat, durch Täler zu gehen, kann daran wachsen.

Verlieren Führungskräfte ab einem gewissen Level ihre Fähigkeit, Kritik anzunehmen?
Meiner Ansicht nach ist das weniger eine Frage der Hierarchie als vielmehr eine Frage des Alters. Viele Menschen werden im Alter nicht gerade offener für Kritik und für Veränderung. Wahrscheinlich sind sie oft durchaus kritikfähig – aber sie bekommen keine Kritik, weil sich kaum jemand traut. Starke Führungskräfte achten allerdings darauf, dass sie von guten Leuten umgeben sind, die auch mal Kritik üben. Ja-Sager überleben nicht lange, sie kommen schnell unter die Räder. Hier sind wir wieder bei der Eigenschaft Demut: Diese hat auch etwas mit Selbstkritik zu tun, mit der Bereitschaft, auch einmal eine Meinung gegen sich gelten zu lassen und einzusehen, dass man nicht immer alles richtig macht. Gute Führungskräfte sollten sich immer wieder mit den Mitarbeitern austauschene, um zu verstehen, was auf den verschiedensten Ebenen und Bereichen gedacht und getan wird.

Wie funktioniert eigentlich die Führung von Mitarbeitern auf höchster Ebene?
Je höher man kommt, umso stärker fokussiert man sich auf sein Ziel. Führungskräfte müssen stets bemüht sein, ihre Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Je höher sie kommen, umso mehr können sie davon ausgehen, dass sie ihre Mitarbeiter nicht mehr motivieren müssen.

Läuft es auf dieser Ebene nicht darauf hinaus, dass gezielte Fragen das Führungsinstrument sind und „Leitplanken“ gesetzt werden?
Nein, das Führungsinstrument ist die Persönlichkeit. Die Spielräume, die man in der Führung hat, werden jedoch nach oben immer geringer: Jede Abweichung, die Sie oben zulassen, vergrößert sich nach unten. Das ist wie beim Segeln: Wenn man um zwei Grad vom Kurs abweicht, merkt man dies in den ersten zwei Stunden nicht unbedingt – aber nach zwei Tagen haben Sie viel Zeit und Ihr Ziel aus den Augen verloren.

Was sind die Nachteile des Vorstandsdaseins?
Bei aller Verantwortung, die man trägt, ist eine hohe Fremdbestimmtheit sicherlich sehr belastend. Bei manchen Vorständen sind die Kalender schon im Januar für das ganze Jahr durchgeplant.

Ist es überhaupt ein erstrebenswertes Ziel, Top-Manager zu werden?
Ich glaube, die nachhaltig erfolgreichen Top-Manager haben sich nie zum Ziel gesetzt, Top-Manager zu werden. Sie haben einfach immer nur einen guten Job gemacht.

Statt einen Job von der Pike auf lernen zu wollen, sagen viele junge Leute gleich zu Beginn: „Ich will in die Strategie“. Was raten Sie denen?
Ich würde Ihnen sagen, dass sie in der Strategie wahrscheinlich einen interessanten Einstieg finden werden – aber auch Gefahr laufen, dort hängen zu bleiben. Für die Karriere und auch die eigene Entwicklung ist es enorm wichtig, auch das operative Geschäft zu kennen. Damit einher geht nämlich nicht nur fachliches Wissen, sondern auch ein Reifungsprozess der Persönlichkeit. Ein Einstieg in die Strategie kann gut sein, aber man muss erkennen, dass der Weg zur größeren Verantwortung meist über ein fundiertes Verständnis für das gesamte Unternehmen führt. Führung hat viel mit Akzeptanz zu tun. Und Akzeptanz schafft man vor allem dadurch, dass die Menschen merken: Das ist jemand, der weiß, wovon er redet.

Zum Schluss: Ihre Tipps zum Thema „Höhentraining“ im Unternehmen?
Das beginnt schon vor dem Studienabschluss: Ich empfehle, lieber ein verrücktes Projekt in Russland zu übernehmen, als das dritte Praktikum in einer Unternehmensberatung oder in der Investmentbank zu absolvieren. Erweitern Sie Ihren Horizont und bilden Sie dadurch Ihre Persönlichkeit! Nach dem Abschluss gilt: Beim Berufseinstieg nicht aufs Geld schauen, sondern eher darauf, was Sie in dem Job lernen können. Berufswechslern rate ich: Sie können aufs Geld schauen, aber bitte erst recht spät. Ihre Bezugspersonen im Unternehmen sind wichtiger als ein hohes Gehalt. Denn diese Menschen werden Einfluss auf Ihre Entwicklung haben. Nur so können Sie langfristig Karriere machen. Und nicht zuletzt: Man muss Dinge mit einer gewissen Überzeugung tun. Wenn man merkt, dass man sich dauerhaft verbiegen muss, dass bestimmte Dinge nicht zu einem passen, sollte man sich lieber etwas anderes suchen.

In Führung gegangen:

In der 9. Klasse hat Will die Schüler Union an seinem Gymnasium in Rösrath aufgebaut, die Jugendorganisation der CDU. In der 11. Klasse ist er wieder aus der Partei ausgetreten. Beim Segeln hat er gelernt, Menschen anzuleiten, genau das zu tun, was man ihnen sagt, und zwar genau in diesem Moment. In turbulenten Situationen kann nicht immer diskutiert werden: „Man muss Verantwortung für ein Schiff und für die Menschen auf dem Schiff übernehmen“, so Will.

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