Dr. Nico Rose im Interview

Dr. Nico Rose, Foto: René Golz; AdobeStock / antishock
Dr. Nico Rose, Foto: René Golz; AdobeStock / antishock

Der „Sinnput-Geber“ Dr. Nico Rose gilt in Deutschland als führender Experte für Positive Psychologie in Organisationen. Seine These: Wenn es Unternehmen nicht gut geht, kommt häufig die psychologische Komponente zu kurz: Führung gelingt nicht, es herrschen Misstrauen und Angst. Das ist besonders dann ein Problem, wenn Organisationen vor der Herausforderung stehen, sich neu zu gestalten. Im Interview erzählt Nico Rose, wie die digitale Transformation mit Hilfe Positiver Psychologie gewinnen kann – und warum dabei der Sinn eine große Rolle spielt. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Nico Rose ist Diplom-Psychologe und promovierte an der EBS Business School in BWL. Zusätzlich hat er ein Master-Studium in angewandter Positiver Psychologie an der University of Pennsylvania abgeschlossen, wo er bei Martin Seligman lernte, Mitbegründer der Positiven Psychologie. Von 2011 bis 2018 arbeitete er im Stab des Personalvorstands der Bertelsmann-Gruppe, zuletzt als Vice President für das Employer Branding. Er spricht weltweit auf Firmenevents und Kongressen, für Unternehmen ist er im Bereich Team- und Organisationsentwicklung als Coach tätig. Seit April 2019 ist er Hochschullehrer für Wirtschaftspsychologie an der International School of Management (ISM) in Dortmund. Er lebt mit seiner Familie in Hamm und ist leidenschaftlicher Fan von Heavy Metal-Musik.

Herr Dr. Rose, der Begriff der Transformation ist in aller Munde. Wie unterscheidet er sich eigentlich von Begriffen wie Reform oder Wandel?
Transformation klingt vermutlich ein bisschen cooler als die anderen Begriffe. Reform wird als Begriff vor allem im Politikbetrieb verwendet, da haben viele Menschen negative Assoziationen. Und Wandel? Klingt ein wenig altbacken. Grundsätzlich werden aber wohl ähnliche Phänomene beschrieben. Transformation impliziert vielleicht etwas mehr Konstanz – sprich: Wandel nicht im Sinne eines abgegrenzten Prozesses, sondern als kontinuierliche Aufgabe.

Mit Blick auf die digitale Transformation wird behauptet, diese Transformation sei unumgänglich, wer sie nicht mitmache, verliere den Anschluss. Das klingt alles sehr negativ, wäre es nicht besser, eine positive Sprache für diese Veränderungen zu finden?
Wir wissen aus der Forschung, dass Menschen sich gerne auf attraktive Ziele hinzubewegen. Die sogenannte digitale Transformation ist aber kein Ziel, sondern ein Prozess, ein Mittel zum Zweck. Wenn Unternehmenslenker merken, dass die Menschen bei der Transformation nicht mitziehen, dann liegt das meist daran, dass sie ständig über die „Reise“ sprechen, den Menschen aber nicht genug erläutern, was denn an der „Destination“ so attraktiv sein soll. Im Übrigen weiß man heute sehr gut, dass Schreckensszenarien nur bedingt als Motivation taugen. In den 70er und -80er-Jahren wurde noch die Ansicht vertreten, dass man als Change Manager eine „Burning Platform“ kreieren müsse, angelehnt an eine brennende Ölplattform, bei der die Menschen keine andere Wahl haben als zu springen – oder eben zu verbrennen. Heute weiß man es, zumindest in der Forschung, besser. Metaphorisch gesprochen: Die meisten Menschen verbrennen lieber, wenn sie keine wirklich attraktive Alternative wahrnehmen.

Die sogenannte digitale Transformation ist aber kein Ziel, sondern ein Prozess, ein Mittel zum Zweck.

Was genau bewirkt die digitale Transformation eigentlich in den Unternehmen?
Wenn ich auf diese Frage eine allgemeingültige und einfache Antwort hätte, wäre ich reich. Das muss jede Organisation für sich selbst herausfinden. Die meisten Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass viele Prozesse im Marketing heute nicht mehr analog, sondern digital verlaufen. Am Ende des Tages kann die Digitalisierung jedoch Einfluss auf jeden Unternehmensprozess haben, vom Sourcing über Produktion und Logistik bis hin zu Marketing, Vertrieb und CRM. Genauso kann Digitalisierung die administrativen Prozesse eines Unternehmens betreffen, also zum Beispiel HR und Controlling. Es ist klar, dass bei knappen Ressourcen nicht alle Prozesse gleich schnell und gleich gut transformiert werden können. Aber darin liegt für mich gerade die Kunst guter Unternehmensführung: Prioritäten setzen, um die wichtigsten Dinge zuerst und mit voller Energie zu gestalten.

Ganz konkret, wer leitet die digitale Transformation in den Unternehmen im Idealfall an?
Auch hier gibt es keine allgemeingültige Antwort. In meiner Welt ist es die Aufgabe der Geschäftsleitung, den Mitarbeitern zu vermitteln, was der Sinn der Transformation ist. Platt gesagt: Warum sollte es die Kunden und die Welt an sich überhaupt kümmern, ob unser Unternehmen in zehn oder zwanzig Jahren noch existiert? „Damit unsere Aktionäre Geld verdienen!“ ist zwar eine relevante Antwort – aber auch eine, die den meisten Menschen unterhalb der Geschäftsführung herzlich egal sein dürfte. Darüber hinaus glaube ich aus persönlicher Erfahrung eher an dezentrale Entscheidungsprozesse. Das spricht tendenziell gegen den berühmt-berüchtigten Chief Digital Officer. Wandel funktioniert meines Erachtens am besten, wenn es gemeinsame übergreifende Ziele gibt – und gleichzeitig lokal entschieden wird, wie der beste Weg aussieht, um diese Ziele zu erreichen.

Für mich liegt gerade die Kunst guter Unternehmensführung darin: Prioritäten setzen, um die wichtigsten Dinge zuerst und mit voller Energie zu gestalten.

Sie sind ein Experte für Positive Psychologie in Organisationen. Was versteht man darunter?
Um zu verstehen, womit sich die Positive Psychologie als wissenschaftliche Disziplin beschäftigt, hilft das Akronym PERMA: Hinter dem P verbirgt sich die Frage nach der Entstehung und dem Nutzen von positiven Emotionen wie Freude, Dankbarkeit oder Zufriedenheit. Das E steht für Engagement, also die Frage, unter welchen Umständen Menschen motiviert und leistungsbereit sind, auch über den Effekt extrinsischer Belohnung hinaus. Das R steht für Relationships, es geht also um den Aspekt, unter welchen Bedingungen Beziehungen gelingen, sei es im privaten oder im beruflichen Kontext. Das M steht für Meaning, hier werden die Bedingungen von Sinnerleben erforscht, im Leben allgemein, aber wiederum auch zum Beispiel im Bereich der Arbeit. Das A schließlich steht für Achievement, also die Frage, was Menschen dabei hilft, ihre Ziele zu erreichen – es geht aber beispielweise auch um die Frage, was überhaupt gute, stimmige Ziele sind.

Wie hilft Positive Psychologie bei Transformationen?
Sie liefert ganz verschiedene Ansätze und Denkweisen, mit denen man Transformationsprozesse flüssiger und menschlicher gestalten kann. Das P daran erinnern, dass Angst kein guter „Treibstoff“ ist – zumindest, wenn es darum geht, Neuland zu explorieren. Unter dem E könnte man die Selbstbestimmungstheorie der Motivation zu Rate ziehen. Dann würde klar, dass von oben verordneter Wandel so gut wie immer zum Scheitern verurteilt ist. Menschen möchten sich als Autor ihrer eigenen Geschichte wahrnehmen, das geht nur über Partizipation. Für den Buchstaben R könnte man sich zum Beispiel den Aspekt der relationalen Energie anschauen, hier geht es um die Frage, wie Motivation durch menschlichen Kontakt gestärkt oder auch vermindert werden kann. Im Zeichen des M könnte man darauf blicken, welche Handlungen und Haltungen von Führungskräften dafür sorgen, dass Mitarbeiter ihre Arbeit – inklusive der Transformation – als sinnvoll empfinden. Kleiner Tipp: Digitales Wasser predigen und Wein trinken, hilft nicht weiter, kommt aber in der Praxis allzu oft vor. Unter dem A schließlich könnte man berücksichtigen, wie man Menschen dazu verhilft, gute Entscheidungen zu treffen und Transformationsprozessen positiv zu begegnen.

Wie werden denn die Unternehmen am Ende der digitalen Transformation aussehen?
Am Ende der digitalen Transformation stehen wir mit großer Wahrscheinlichkeit vor einer anderen neuen Art der Transformation, die uns heute noch nicht bewusst ist. Aber ich bin Optimist. Wenn es uns als Gesellschaft gelingt, die Stärken von Robotern und künstlicher Intelligenz klug einzusetzen, dann können wir damit viele Personen von „unmenschlicher“ Arbeit befreien – also Aufgaben, die eigentlich zu gefährlich, zu gleichförmig oder zu unterkomplex sind, als dass sie sinnvoll von Menschen ausgefüllt werden sollten. Wenn Einsen und Nullen uns solche Jobs abnehmen, dann bleiben für die Menschen jene Aufgaben, die wahre Kreativität erfordern und nicht bloß Imitation; echtes Verstehen benötigen und nicht bloß das Erkennen von Mustern; authentisches Mitgefühl verlangen, nicht bloß Beziehungsmanagement. In so einer Welt möchte ich gerne arbeiten.

„Arbeit besser machen“

In seinem neuen Buch erläutert Nico Rose Theorie und Anwendung der Positiven Psychologie in Organisationen. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter und Kollegen unterstützen können, die Arbeit im Unternehmen positiv zu erleben und zu bewerten. Rose beschreibt dabei nicht nur den Rahmen der Positiven Psychologie, sondern bietet auch zahlreiche Werkzeuge und berichtet von seinen eigenen Erfahrungen als Führungskraft in einem großen Unternehmen. Nico Rose: Arbeit besser machen. 2019, Haufe Verlag, 39,95 Euro.(Amazon-Werbelink)