Mobilität: „Die Zukunft ist eigentlich schon da“

Nari Kahle, Foto: Paul Meixner
Nari Kahle, Foto: Paul Meixner

Mobilität bedeutet weit mehr als die Weiterentwicklung von Elektroautos. Sabine Olschner sprach mit Dr. Nari Kahle, Autorin des Buchs „Mobilität in Bewegung“, über die vielen Facetten der Mobilität und der Rolle, die Ingenieurinnen und Ingenieure dabei spielen.

Zur Person

Dr. Nari Kahle, 35, arbeitet als Head of Strategic Programs bei Cariad SE, dem Software- und Technologieunternehmen im Volkswagen Konzern. Zuvor war sie bei dem Automobilkonzern in unterschiedlichen Stationen tätig, unter anderem als Leiterin für soziale Nachhaltigkeit und als Referentin des Konzernbetriebsrats. Sie studierte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität in Bonn, an der Korea University in Seoul und der Harvard University in den USA die Fächer Medienwissenschaften, Betriebswirtschaftslehre sowie Rechtswissenschaften. Anschließend promovierte sie an der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar sowie an der Cambridge University in England über soziale Innovationen sowie deren wirtschaftliche und gesellschaftliche Effekte. In ihrem aktuellen Buch „Mobilität in Bewegung“ befasst sie sich mit sozialen Innovationen, Beispielen aus der Praxis und mit Vordenker*innen rund um das Thema Mobilität.

Was finden Sie so spannend am Thema Mobilität?
Mobilität hat für uns auch schon in den vergangenen Jahren eine große Rolle gespielt, aber es hat sich lange Zeit nicht viel verändert. Nun passieren auf einmal unfassbar viele Dinge: Wir erleben den Wandel hin zu Elektromobilität. Wir sehen viele neue Player im Mobilitätsumfeld, was früher undenkbar war, weil das Thema wenigen größeren Unternehmen oder staatlichen Betrieben vorbehalten war. Und nun wirbeln Start-ups das Althergebrachte durcheinander. Das alles macht das Thema gerade sehr spannend, weil das Ausmaß davon, wie sich Mobilität verändern wird, noch nicht klar ist. In der Wirtschaft und in der Gesellschaft, vor allem in der jungen Generation, findet gerade ein Umdenken statt: Das Thema Nachhaltigkeit wird immer stärker in der Mobilität verankert.

Ist aus Ihrer Sicht die E-Mobilität das Allheilmittel, um den Klimawandel abzuwenden?
Nein, ganz bestimmt nicht. Wir müssen alle gemeinsam, Gesellschaft und Wirtschaft, dafür sorgen, dass wir unseren CO2-Ausstoß reduzieren und das Thema Kreislaufwirtschaft immer stärker bedenken. Elektromobilität ist dafür ein wichtiger Baustein. Aber es reicht nicht aus, wenn alle nun ein Elektrofahrzeug fahren. Dieses muss auch nachhaltig geladen werden, und die Produktion muss weniger CO2 verbrauchen als ein klassisches Verbrennerauto. Das ist derzeit noch nicht der Fall. Auch bringt es nichts, wenn jetzt alle direkt ihr Auto austauschen, obwohl das alte eigentlich noch gut ist. Bestehende Fahrzeuge sollten so lange wie möglich genutzt werden.

Wo ist das größte Problem bei der Produktion und der Entsorgung der Altbatterien von Elektrofahrzeugen?
Bei der Entsorgung muss stärker auf eine hohe Recyclingquote geachtet werden. Die seltenen Rohstoffe, die man für die Batterien benötigt, wie Lithium, Nickel oder Kobalt, sollten immer weiterverwendet werden, so dass ein wirklich nachhaltiger Kreislauf entsteht, von der Produktion über die Nutzung bis zum Ende des Autos. Ein weiteres Problem besteht in der Beschaffung der Rohstoffe: Diese haben wir nicht im eigenen Land, sondern sie kommen aus anderen Teilen der Erde, etwa aus Argentinien, Chile, Bolivien oder dem Kongo, wo die Arbeitsbedingungen nicht immer die besten sind. Wir in den Industrieländern müssen uns daher überlegen: Auf wessen Kosten versuchen wir, unsere Klimabilanz zu verbessern, und nehmen dafür nicht nachhaltige Arbeitsbedingungen in anderen Ländern in Kauf? Dabei helfen soll unter anderem das neue Lieferkettengesetz, das Unternehmen in Deutschland in den nächsten Jahren stärker zur Wahrung von Umweltstandards und insbesondere auch Menschenrechten verpflichtet.

Welche technischen Innovationen sind denkbar, um das Auto nachhaltiger zu machen?
Für Ingenieure und Ingenieurinnen ist das gesamte Feld der Mobilität derzeit hochspannend. Sie können relevante Innovationen entwickeln, um etwa die Recyclingquote zu verbessern, Alternativen für kritische Rohstoffe zu finden und – Stichwort Kreislaufwirtschaft – das Auto über sein Ende hinaus sinnvoll zu nutzen. Eine Batterie, die fürs Auto nicht mehr brauchbar ist, hat oftmals noch genügend Energie für andere Zwecke, etwa für Produktionshallen oder eine autarke Stromversorgung für Privathaushalte. Hier gibt es schon erste Ideen von Start-ups, aber der Fantasie ist hier sicherlich keine Grenze gesetzt.

Auch das Thema Autonomes Fahren sprechen Sie in Ihrem Buch an. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass wir in ein paar Jahren gar nicht mehr selber fahren, sondern uns nur noch fahren lassen?
Ich glaube, da muss man gar nicht mehr spekulieren: In Deutschland gibt es schon Orte, an denen man experimentiert, wie autonomes Fahren funktioniert. Dies passiert auch in ländlichen Gebieten, die verkehrstechnisch nicht so komplex sind wie Großstädte. Die Frage ist also gar nicht, ob autonomes Fahren kommt, denn die Zukunft ist eigentlich schon da. Aber natürlich wird es noch eine ganze Weile dauern, bis jeder in ein autonom fahrendes Fahrzeug steigen kann, das ihn von A nach B fährt. In der Gesetzgebung dafür passiert gerade sehr viel. Das Thema Autonomes Fahren ist auch für Ingenieur*innen im Zusammenspiel mit Softwarentwickler* innen sehr interessant. Können sie die autonom fahrenden Autos sicher, angenehm, vernetzt, unterhaltend und so intelligent machen, dass wir ein völlig neues Fahr- und Lebensgefühl im Auto vorfinden werden?

Cover Mobilität in Bewegung

Nari Kahle: Mobilität in Bewegung.

Wie soziale Innovationen unsere mobile Zukunft revolutionieren. Gabal Verlag 2021. 25 Euro

Welche Rolle werden Ingenieurinnen und Ingenieure für die Mobilität der Zukunft spielen?
Früher meinte man mit Mobilität das Auto, die Bahn und vielleicht noch das Flugzeug. Heute spricht man bei dem Thema auch über E-Scooter, Flugtaxis und Drohnen, die Menschen in der Luft befördern können. Andere arbeiten an dem Traum vom Hyperloop, der Leute mittels Druckluft befördert. Auch die digitale Mobilität gehört zum Thema. In Corona-Zeiten haben wir gelernt, dass wir viele Termine und Meetings auch digital abhalten können. Werden auf einer Konferenz in Zukunft vielleicht häufiger Avatare sprechen, ohne dass die Person vor Ort sein muss? Ich glaube, wir haben die Mobilität überhaupt noch nicht zu Ende gedacht. In Zukunft wird es nicht mehr eine Lösung für alle geben, sondern individuelle Mobilitätsangebote für viele Gelegenheiten, passend zu den Anforderungen, Vorlieben und Bedürfnissen des Einzelnen. Ingenieurinnen und Ingenieure sind in der Lage, ein spannendes neues Kapitel der Mobilität zu schreiben.