„Die Aufmerksamkeit als Frau bietet Chancen“

Interview Prof. Dr.-Ing. Kira Kastell

Prof. Dr.-Ing. Kira Kastell, Foto: Frankfurt University of Sciences
Prof. Dr.-Ing. Kira Kastell, Foto: Frankfurt University of Sciences

Prof. Dr.-Ing. Kira Kastell, Vorsitzende des VDI-Netzwerks „Frauen im Ingenieurberuf“, berichtet im Interview mit Sabine Olschner über die Karriereaussichten von Ingenieurinnen.

Wie hat sich der Frauenanteil bei den Ingenieuren in den vergangenen Jahren entwickelt?
Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht, aber im internationalen Vergleich ist der Anteil der Frauen unter den Ingenieuren noch immer nicht da, wo wir ihn gerne hätten. In vielen Ländern gibt es weitaus mehr Ingenieurinnen als bei uns. Die Gründe dafür sind vielschichtig und liegen zum Beispiel in unterschiedlichen Systemen der Arbeitswelt, im Ansehen der Berufsgruppe und auch in der wirtschaftlichen Notwendigkeit, dass vielerorts beide Partner einer Familie Geld verdienen müssen.

Zur Person

Kira Kastell, 41 Jahre, studierte Elektrotechnik an der Frankfurt University of Applied Sciences (vormals Fachhochschule Frankfurt am Main) und berufsbegleitend an der FernUniversität in Hagen. Nach Stationen bei Mannesmann Arcor, der Technischen Universität Darmstadt und der Beuth Hochschule für Technik Berlin wurde sie 2013 Vizepräsidentin an der Frankfurt University of Applied Sciences und ist dort verantwortlich für Studium und Lehre. 2014 wurde sie zur Vorsitzenden der „VDI Frauen im Ingenieurberuf“ gewählt.

Haben Ingenieurabsolventinnen denn hierzulande bessere Chancen als ihre männlichen Kommilitonen – schon allein, weil sie in der Minderzahl und deshalb besonders begehrt sind?
Unternehmen achten mittlerweile viel sensibler auf gemischte Teams. Dass Frauen dadurch bei Bewerbungen per se bevorzugt werden, denke ich nicht. Schließlich wollen Unternehmen nicht Ingenieurinnen einstellen, weil sie Frauen sind, sondern weil sie gute Ingenieurinnen sind.

Welche Ingenieurbereiche sind bei Frauen besonders beliebt?
Grundsätzlich kann man sagen: Je theoretischer ein Ingenieurfeld ist, umso weniger Frauen sind dort zu finden. Wo hingegen der konkrete Nutzen oder eine konkrete Anwendung im Vordergrund steht, gibt es in der Regel mehr Ingenieurinnen. In der Elektrotechnik zum Beispiel arbeiten prozentual am wenigsten Frauen, weil die Anwendungen oft nicht fassbar, sondern eher theoretisch und in den Geräten versteckt sind. Beim Maschinenbau etwa ist das anders.

Warum haben Sie persönlich sich für ein Studium der Elektrotechnik entschieden?
Ich wollte ein praxisnahes Studienfach mit guten Berufsaussichten und Freiraum für Kreativität studieren. Es sollte auf jeden Fall etwas Mathematisch-Naturwissenschaftliches sein. So kam ich auf die Elektrotechnik.

Unternehmen stellen Ingenieurinnen nicht ein, weil sie Frauen sind, sondern weil sie gute Ingenieurinnen sind.

Wurden Sie in dieser technischen Männerdomäne jemals mit Vorurteilen gegenüber Frauen konfrontiert?
Ich hatte nur an ganz wenigen Punkten das Gefühl, dass jemand dachte: „Was will denn eine Frau in diesem Bereich?“ Man muss sich halt klarmachen: Als Frau fällt man in dieser Branche auf jeden Fall auf, man kann sich nicht verstecken, egal, ob man etwas gut oder nicht so gut macht – es wird immer bemerkt. Solch eine Aufmerksamkeit bietet durchaus auch Chancen. Mich kannten zum Beispiel von Beginn an alle meine Professoren, was bei vielen meiner männlichen Kommilitonen länger dauerte. Ich habe diese Aufmerksamkeit nicht als Nachteil empfunden. Mein Tipp: Man sollte von Anfang an authentisch bleiben und nicht die Rolle des starken Mannes spielen wollen.

Wie unterstützen Sie und der „VDI Frauen im Ingenieurberuf“ junge Ingenieurinnen?
Auf unterschiedlichste Weise: Wir bieten ihnen ein Netzwerk zum Austausch von Erfahrungen und zum Ausloten von Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Wir wollen uns in dem Netzwerk kennenlernen und uns gegenseitig unterstützen. Das ist uns wichtig, weil Frauen ihre Erfahrungen im Beruf aus einer anderen Perspektive betrachten als Männer. Außerdem bietet der VDI Frauen im Ingenieurberuf Workshops und Vorträge, etwa zur Verbesserung von Soft Skills. Darüber hinaus bin ich in diversen Mentoringprogrammen aktiv, in denen ich zum Beispiel junge Frauen am Ende ihres Studiums ins Berufsleben begleite.

Grundsätzlich würde ich allerdings keiner Frau empfehlen, sich ausschließlich in reinen Frauen-Netzwerken zu engagieren, weil das die Berufsrealität nicht widerspiegelt. Aber ich denke, dass wir Frauen in vielen Fällen vor ähnlichen Herausforderungen stehen und uns dann in diesem Netzwerk noch besser gegenseitig unterstützen können, als es in einem gemischten Netzwerk möglich ist.

Warum sollten Ihrer Meinung nach Frauen einen Ingenieurberuf wählen?
Ich finde das Ingenieurwesen ein sehr spannendes Berufsfeld. Ich kann heute noch nicht voraussehen, woran ich in 20 oder 30 Jahren arbeiten werde, weil sich so viel wandelt. Man muss deshalb Interesse an lebenslangem Lernen haben. Ingenieurinnen stehen so viele Optionen offen, und wer Spaß am Gestalten und an kreativen Aufgaben hat, wird seinen Weg finden.