Augmented und Virtual Reality im Einsatz

Foto: Siemens
Foto: Siemens

Sebastian Graf arbeitet im Siemens-Gerätewerk Amberg als Leiter der Fertigungsplanung im Bereich der hoch automatisierten Schützfertigung. Er beschäftigt sich mit verschiedenen Anwendungen aus der Augmented Reality (AR) und der Virtual Reality (VR) und wirft einen Blick in die Zukunft der Digitalisierung. Aufgezeichnet von Sabine Olschner

Die Gamingbranche hat die Themen Augmented und Virtual Reality zuerst aufgegriffen, heute werden diese Technologien immer häufiger in der Industrie eingesetzt. Auch Siemens als führendes Unternehmen in der industriellen Digitalisierung beschäftigt sich intensiv mit den Möglichkeiten und setzt bereits verschiedene AR- und VRProjekte ein. Eine Pilotanwendung im Bereich Virtual Reality bei uns im Amberger Gerätewerk steht kurz vor dem Abschluss: Ein interdisziplinäres Projektteam hat bereits eine VR-Werksführung erstellt. Mithilfe einer VR-Brille können sich Kunden weltweit unser Werk in Amberg ansehen und sich einen Einblick verschaffen, wie Digitalisierung in der Fertigung funktioniert.

Die Anwendung ist aus Sicht eines Produkts gefilmt, sodass der Zuschauer das Gefühl erhält, selbst durch unser Werk zu laufen. Unser Vertrieb hat bereits Interesse angemeldet, die Anwendung einzusetzen. Wir spielen auch mit dem Gedanken, den VR-Film auf Plattformen wie Youtube einzustellen, um diese Erfahrung einem breiteren Publikum zugänglich machen zu können. Gerade für junge Ingenieurstudenten ist es sicherlich interessant zu sehen, wie ein Werk funktioniert und wie es aufgebaut ist – ohne dass sie vor Ort sein müssen. Mit VR fühlt man sich aber, als wäre man dort. VR zeigt mehr als Bilder: Man erlebt eine Situation, kann sich begeistern lassen und in den gezeigten Ort eintauchen. Unser Film befindet sich gerade im Feinschliff, denn die Bearbeitung von Sphärenkameradaten und VR-Material ist nicht ganz trivial. In Kürze wird er fertig sein und zum Einsatz kommen.

Buchtipps

Philip Specht. Die 50 wichtigsten Themen der Digitalisierung. Virtual Reality, Augmented Reality, Bitcoin, künstliche Intelligenz und viele mehr verständlich erklärt. Redline Verlag 2018.

Arndt Borgmeier, Alexander Grohmann, Stefan F. Gross: Smart Services und Internet der Dinge. Geschäftsmodelle, Umsetzung und Best Practices: Industrie 4.0, Internet of Things (IoT), Machine-to- Machine, Big Data, Augmented Reality Technologie. Carl Hanser Verlag 2017.

Eine weitere Anwendung, die bereits existiert, ist eine Produktdarstellung in Augmented Reality: Das Werkstück schwebt – durch die AR-Brille betrachtet – im Raum , lässt sich in seine Einzelteile zerlegen und in Folge wieder zusammenbauen. Auch als Unterstützung im Anlernprozess nutzen wir bereits AR: Wer Hilfe bei komplizierten Arbeitsabläufen braucht, kann die Brille aufsetzen und bekommt eine Hilfestellung, welche Prozessschritte als nächste zu durchlaufen sind. So wird zum Beispiel über AR ein Text eingeblendet, der die Arbeitsanweisungen der entsprechenden Montagelinie beschreibt. Außerdem ist der Montageschritt zu sehen, der als nächstes bearbeitet werden soll. Die Arbeitsschritte werden hierbei als Hologramm angezeigt. Diese und andere Anwendungen erstellen oft auch Studierende, die bei uns ihre Bachelor- oder Masterarbeit schreiben.

Wir können uns noch viele weitere Anwendungsgebiete vorstellen. Angenommen, ein Fertigungsplaner möchte sehen, wie seine künftige Fertigung mit allen Anlagen eingerichtet sein wird. So kann er mithilfe der AR-Brille durch die digital angelegte und animierte Fertigung, den sogenannten digitalen Zwilling, gehen und erhält dabei einen Eindruck, etwa von den Prozessabläufen und der Ergonomie der Arbeitsplätze. Er kann sich in Module hineinbegeben und sich die einzelnen Produktionsschritte anschauen. Auch Bediener, die später an den Anlagen arbeiten, könnten sie auf diese Weise mitgestalten. Die erste Stufe wäre, die Anlage anzusehen, die zweite Stufe zu erkennen, wie sich die Anlage verhält, wenn sie etwa an unterschiedlichen Peripherien aufgestellt wird, oder wie sie bei unterschiedlichen Lasten reagiert. AR erweitert also die Möglichkeiten der Simulation, sie kombiniert Simulation, Konstruktion und das Erleben der virtuellen Fertigung.

Auch im Service ist die Technologie gut einsetzbar, etwa bei der geführten Bedienerunterstützung. Wenn ein Kundenmitarbeiter in Australien nicht weiterkommt, könnte sich ein Servicemitarbeiter von einem anderen Kontinent als Avatar als Hologramm neben ihn projizieren. Er könnte ihm so bei der Problemlösung im wahrsten Sinne des Wortes zur Seite stehen, eine Lösung konstruieren und als Krönung diese gleich im 3-D-Drucker in Australien ausdrucken. Ideen und Möglichkeiten für weitere Anwendungen gibt es unendlich viele.

Ingenieure müssen gar nicht so viel über VR und AR wissen. Die Digitalisierung bringt es mit sich, dass Dinge intuitiver werden. Die jungen Kollegen, die die VR-Werksführung erstellt haben, waren nicht nur Ingenieure und Informatiker, sondern auch Mitarbeiter ohne Studium aus dem Fertigungsumfeld, die sich für das Thema interessierten und sich engagiert eingebracht haben. Die Digitalisierung weckt Potenzial. Für uns heißt das: Es zählt künftig nicht mehr nur der Abschluss, sondern vor allem das Engagement ist entscheidend.

Ich persönlich sehe die Digitalisierung positiv, weil sich so viele neue Möglichkeiten ergeben. Natürlich muss man die Bedenken der Mitarbeiter ernst nehmen. Das Schlimmste, was man machen kann: im Keller eine Anwendung bauen und diese auf einen Schlag ohne vorherige Kommunikation in die Fertigung stellen. Viel besser ist es, die Mitarbeiter in die Entwicklung einzubeziehen und neue Technologien gemeinsam einzuführen. Aus heutiger Sicht werden sich durch die Digitalisierung die Tätigkeitsprofile hin zu höher qualifizierten Aufgaben ändern. Sicher aber ist: An dem Thema Digitalisierung kommt heute keiner mehr vorbei.