Interview mit Prof. Dr. Verena Wolf

Die Innovatorin.

Prof. Dr. Verena Wolf, Foto: Privat
Prof. Dr. Verena Wolf, Foto: Privat

Biologische Zellen verhalten sich sehr komplex. Ihre Veränderungen und Beziehungen sind im Grunde nicht simulierbar. Dass man ihnen jedoch mithilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die Schliche kommen kann, ist die Grundlage der Pionierarbeit der 36-jährigen Informatikprofessorin Verena Wolf aus Saarbrücken, die mit dem Forschungspreis TR 35 ausgezeichnet wurde. Im Gespräch mit André Boße erzählt sie von ihren Forschungserfolgen, der Babypause sowie den Gründen, warum sie sich als Frau in der Männerdomäne Informatik sehr wohlfühlt.

Zur Person

Prof. Dr. Verena Wolf, 36 Jahre, studierte in Bonn Informatik mit dem Nebenfach Mathematik auf Diplom. Ihre Promotion schrieb sie an der Universität Mannheim. Im Anschluss erhielt sie das Angebot, in einer Forschergruppe von Thomas Henzinger in der Schweiz zu arbeiten. Nach einem Jahr als Postdoc bewarb sich Verena Wolf 2009 erfolgreich auf die Stelle einer Nachwuchsgruppenleiterin am Exzellenzcluster der Universität des Saarlandes. Drei Jahre später erhielt sie den Ruf zur Professorin. Wolf entwickelte einen Algorithmus, der es erlaubt, die Vorgänge in Zellen mit statistischen Methoden zu berechnen. Dadurch können diese Vorgänge erstmals simuliert werden. Für ihre Forschungen in dem Bereich wurde Verena Wolf 2013 mit dem Preis „Innovatoren unter 35“ ausgezeichnet.

Frau Professor Wolf, Sie haben den Nachwuchswettbewerb „Innovatoren unter 35“ des Wissenschaftsmagazins „Technology Review“ gewonnen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ich habe mich sehr über den Preis gefreut. Ich bekam ihn, als ich gerade die Babypause hinter mir hatte und sehr viel für meine Lehrveranstaltungen getan habe. Zeit für Forschungen blieb da nicht mehr viel. Der Preis motivierte mich, wieder mehr zu forschen. Er zeigte mir: Jetzt muss ich weitermachen.

Viele junge Frauen stellen sich die Frage, wie die Gründung einer Familie mit der Karriere zu vereinbaren ist. Wie funktioniert das bei Ihnen?
Es gibt für dieses Problem keine wirklich zufriedenstellende Lösung, sondern lediglich Kompromisse, mit denen man leben muss. Ich bekomme sehr viel Unterstützung durch meine Eltern, ein Kollege aus Italien leitet für ein Jahr als Vertretung meine Gruppe. Viele meiner Forschungsideen und Pläne müssen jetzt eben warten, Aufgaben müssen delegiert werden.

Nicht jede Frau hat das Glück, beim Wiedereinstieg in den Job direkt einen Preis zu erhalten, der sie besonders motiviert. Welche weiteren Faktoren haben Ihnen dabei geholfen, nach der Elternzeit selbstbewusst die Karriereplanung wieder aufzunehmen?
Zum einen bin ich intrinsisch motiviert, weil mir meine Arbeit viel Spaß bereitet. Zum anderen ist das Forschungsumfeld in Saarbrücken sozusagen hyperaktiv. Es gibt ständig Vorträge, die neue Anregungen bieten, regelmäßig treffe ich Kollegen, die mit Ideen auf mich zukommen. Forschen wird so zu einer Art Gruppenzwang.

Sie haben eine Methode entwickelt, mit der sich das komplexe Verhalten von Viren, Bakterien oder Zellen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten berechnen lässt. Hatten Sie eine Ahnung davon, dass Sie an etwas so Bahnbrechendem arbeiten?
Mir war klar, dass alles bisher Gemachte irgendwie nicht richtig war. Ich war davon überzeugt, dass sich große Systeme nur mit meiner Idee eines hybriden Ansatzes berechnen lassen. Biologische Systeme sind immer komplex und groß. Es gab bereits einen sehr effizienten Ansatz, der die Systeme aber nicht genau genug beschreibt. Der bereits vorhandene stochastische Ansatz dagegen war viel zu detailliert. Daher war für mich klar: Man braucht einen hybriden Ansatz, der für große Systeme skaliert wird und nur an manchen Stellen eine detaillierte Beschreibung benutzt.

Wie kamen Sie überhaupt zur Informatik?
Ich hatte einen sehr guten Informatiklehrer in der Schule, der uns viele Tüftelaufgaben lösen ließ. Das gab uns Einblicke in die spannenden Theorien der Informatik und bereitete mir so viel Spaß, dass ich das Studium einfach probiert habe. Ich hatte zwar Bedenken, ob ich das Programmieren hinbekommen würde, dann fiel es mir aber sehr leicht.

Woher rührten diese anfänglichen Bedenken? Hatten Sie die Inhalte des Informatikstudiums zu Beginn falsch eingeschätzt?
Teilweise schon. Ich hatte mir vorgestellt, dass mehr programmiert wird und dass man mehr über die Hardware lernt. Tatsächlich war mein Studium sehr theoretisch und mathematisch – und das kam mir sehr gelegen.

Sie haben damals bei einer Informatikprofessorin studiert. War das hilfreich?
Ja – aber auch männliche Professoren fördern Studentinnen, wenn sie gut sind. Allerdings war ich damals noch sehr unsicher. Die Professorin war eine sehr herzliche und nette Person. Und sie war im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen jünger. Zu ihr traute ich mich immer zu gehen, um beispielsweise über die Diplomarbeit zu reden.

Wie haben Sie sich auf Ihrem weiteren Weg in diesem ansonsten von Männern dominierten Bereich durchgesetzt?
Ich wurde während meiner Promotion selbstbewusster. Auf Vorträgen und Konferenzen stellte ich oft sehr kritische Fragen – ich kannte mich mit den Thematiken ja sehr gut aus. So wurden die Leute auf mich aufmerksam und sagten: Mensch, die hat gute Ideen und kann was. Auf diesem Wege wurde ich in der Forschungsgemeinschaft bekannt und bekam Einladungen zu Programmkomitees. Das half mir enorm.

Warum ist es wichtig, schnell Netzwerke zu schließen und Kontakte zu knüpfen?
Viele gute Ergebnisse erzielt man durch das Zusammenführen von – vor allem unterschiedlichen – Kompetenzen. Man muss vielseitig interessiert sein und sich auch in die Problemstellungen von anderen Forschern hineindenken, statt nur über den eigenen Themen zu brüten. Oft gibt der Blick hinein in andere Bereiche neue Ideen.

Was sind Ihre Tipps für junge Absolventinnen, die in einem der MINT-Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik Karriere machen möchten?
Frauen müssen sich viel mehr zutrauen. Sie können oft viel mehr, als sie denken. Ich selbst habe mir auch oft zu wenig zugetraut und gedacht, das schaffe oder kann ich nicht. Und am Ende war es dann ganz leicht. Männliche Studenten sind hingegen oft sehr von sich selbst überzeugt. Manchmal steckt bei ihnen aber viel weniger dahinter.

Woran kann denn eine junge Frau früh und zuverlässig erkennen, dass sie sehr wohl das Zeug hat, sich in einem MINT-Beruf durchzusetzen?
Sie muss mit Betreuern und Dozenten diskutieren, welche berufliche Zukunft für sie aussichtsreich wäre. Zwei Lehrer meiner Schule haben mich damals auf ein Informatikstudium hingewiesen, und ich habe am Ende meiner Promotionszeit meine Doktormutter gefragt, ob eine akademische Karriere für mich aussichtsreich wäre. Ich habe ein klares Ja bekommen. Lehrer und Professoren haben häufig ein gutes Gefühl dafür, welche berufliche Zukunft erfolgversprechend und passend für einen ist.

Welche Karriereziele haben Sie sich für die kommenden fünf Jahre gesetzt?
Ich möchte gerne ein Buch veröffentlichen, in dem ich die Details unserer Simulationsalgorithmen gut verständlich beschreibe, zusammen mit der Theorie der stochastischen Modelle für biochemische Reaktionen. Dazu werden wir die Implementierung unserer Algorithmen noch als benutzerfreundliches Softwaretool bereitstellen. Außerdem habe ich natürlich noch viele Pläne, die andere Projekte betreffen, wie zum Beispiel die Entwicklung von Modellen, mit denen epigenetische Veränderungen der DNA vorhergesagt werden können.

Forschungspreis TR 35

Das internationale Technikmagazin „Technology Review“ kürt in jedem Jahr Forscher, Entwickler und Unternehmensgründer unter 35 Jahren, deren Ideen „unser Leben verändern werden“, wie es in der Ausschreibung der deutschen Ausgabe des Magazins heißt. Deutsche Innovatoren werden ab 2013 mit dem Preis dekoriert. International gibt es ihn schon seit 1999, zu den Preisträgern gehören unter anderen die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin, Linus Torvalds, Entwickler des Betriebssystems Linux, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder der langjährige Apple-Designer Jonathan Ive. Verena Wolf erhielt die Auszeichnung 2013.