Das letzte Wort hat: Julia Peglow, Designstrategin, Autorin, Storyteller

Das letzte Wort hat Julia Peglow, Foto: Fotolia/fotofabrika
Das letzte Wort hat Julia Peglow, Foto: Fotolia/fotofabrika

In die Welt des Internets sind wir mit blinder Begeisterung aufgebrochen, sagt Julia Peglow. Schnell kommen wir an Informationen, schnell hilft uns die Digitalisierung, Entscheidungen zu treffen. Doch, so die Chronistin der digitalen Arbeitswelt: Wir brauchen wieder Raum für langsames Denken. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Julia Peglow, 1973 geboren, studierte Visuelle Gestaltung an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd im ersten Studiengang mit Schwerpunkt „Neue Medien“, und am Ravensbourne College in London. Danach arbeitete sie 20 Jahre in der Kreativ- und Digitalbranche in London, Berlin und München als Strategische Beraterin und Geschäftsführerin für internationale Branding- und UX-Agenturen. 2017 beschloss sie, anders zu arbeiten, um, wie sie sagt, „wieder zum Denken zu kommen“. Heute berät sie Unternehmer, unterrichtet als Hochschuldozentin und schreibt als Autorin über das Leben im Digitalzeitalter auf ihrem Blog „diary of the digital age“. Julia lebt in München, ist verheiratet und hat zwei Söhne.

 

https://juliapeglow.com

Frau Peglow, anhand von Geschichten beschreiben Sie das digitale Arbeiten, den Arbeitsalltag. Wird die Realität so greifbarer, wird uns Menschen auf diese Art und Weise bewusster, wie wir derzeit leben und arbeiten?
Genau deshalb habe ich ein erzählerisches Sachbuch geschrieben. Eine Geschichte zu erzählen erzeugt, wie andere künstlerische und kreative Ausdrucksmittel, genau diesen Effekt: Sie halten uns den Spiegel vor. So können wir einen Schritt zurücktreten, mit einem neuen Blick auf die Kulissen des Alltags schauen und sie als das sehen, was sie sind. Und uns die „Kaiser-neue-Kleider“-Frage stellen: Was machen wir hier eigentlich?

In Ihren Geschichten wird einem bewusst, wie absurd und surreal manches ist, was wir Menschen machen. Geht es Ihnen darum, diese Missverständnisse aufzuzeigen?
Ja, genau. Ich glaube, dass wir viele Realitäten, die uns umgeben, aus Gewohnheit nicht hinterfragen und reflektieren. Wir sind sozusagen „betriebsblind“, machen Dinge so, wie wir sie immer gemacht haben, – obwohl sie vielleicht schon lange ihren Sinn verloren haben.

Bringt die Digitalisierung auch Gutes mit sich?
Oh ja! Sie hat uns diese unglaublichen Möglichkeiten verschafft, uns ortsunabhängig zu vernetzen, uns online zu begegnen und zu kooperieren. Aber über diese offensichtlichen, praktischen und produktiven Themen hinaus hat sich uns durch sie ein Raum aufgetan, in dem wir unser digitales Ich ständig neu erfinden können. Und das ist ein kreativer, selbstbestimmter Akt.

An schnell benötigte Informationen kommen wir über Internetsuchen meist ziemlich rasch. Anders sieht es mit den großen Fragen im digitalen Zeitalter aus, wie Sie schreiben. Auf welche „großen Fragen“ wünschen Sie sich Antworten?
Die Menschheit schlägt sich seit Jahrtausenden eigentlich immer mit den gleichen philosophischen Fragen herum: Wer sind wir? Und wie wollen wir leben? Die digitalen Tools geben uns darauf keine Antwort. Im Gegenteil: Unsere Fähigkeit, auf einer übergeordneten Ebene zu denken, in linearen und langsamer getakteten Bahnen, ist uns abhandengekommen, unser Denken ist im Digitalzeitalter total fragmentiert. Dabei brauchen wir unser Denken, das langsame und tiefe Denken, ja dringender als je zuvor. Denn die Fragen sind nicht einfacher geworden: Wie machen wir jetzt nach der Krise weiter? Und wie können wir den Planeten retten?

„Wir denken und handeln nie nur in der Gegenwart, sondern entsprechend der kulturellen Algorithmen der Vergangenheit“, schreiben Sie auf Ihrer Internetseite. Wenn dem so ist, werden damit nicht all die mit der Digitalisierung in Verbindung gebrachten Vorteile ad absurdum geführt: Transparenz, Objektivität, Gleichberechtigung etc.?
Neues Denken agiert niemals im luftleeren Raum, sondern muss sich immer naturgemäß gegen alte Strukturen durchsetzen, die vorher da waren. Nur wenn wir verstehen, wie diese funktionieren und warum sie so sind, wie sie sind, können wir etwas verändern.

Was passiert mit uns Menschen, wenn die einzige Konstante die Veränderung ist?
Wir werden uns daran gewöhnen müssen. Und lernen, unser Denken dahingehend zu verändern: vom Absoluten ins Relative. Das bedeutet auch: spielerischer agieren, die Richtung wechseln, Dinge ausprobieren, weniger Angst davor haben, Fehler zu machen. Darin liegt eine riesige Chance.

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