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Naturheilkundler Prof. Dr. Andreas Michalsen im Interview

Prof. Dr. Andreas Michalsen ist in zwei medizinischen Welten zu Hause, die er zusammenbringen möchte. Der Professor für Klinische Naturheilkunde der Charité Berlin und Chefarzt der Abteilung Innere Medizin und Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin ist der festen Überzeugung, dass die Naturheilkunde im Kampf gegen die chronischen Krankheiten eine Schlüsselrolle spielt. Im Interview erzählt er, warum er diesen Ansatz für Ärztinnen und Ärzte als erfüllend empfindet und wie aktuell die Gesellschaft die Medizin verändert. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen, geboren 1961 in Bad Waldsee als Sohn eines KneippArztes, ist Internist, Ernährungsmediziner und Fastenarzt. Als Professor für Klinische Naturheilkunde der Charité Berlin und Chefarzt der Abteilung Innere Medizin und Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin forscht, lehrt und behandelt er mit den Schwerpunkten der Ernährungsmedizin, des Heilfastens, des Intervallfastens und der Mind-BodyMedizin, die Schulmedizin und Naturheilkunde zusammendenkt.

Michalsen publiziert und referiert international im Bereich der Naturheilkunde und Komplementärmedizin.

Herr Prof. Dr. Michalsen, Sie schreiben auf Ihrer Webseite, dass die fundierte Naturheilkunde die „einzige Antwort auf die steigende Zahl chronischer Leiden“ sei. Woran machen Sie diese These fest?
„Einzige“ ist vielleicht etwas übertrieben, aber die Naturheilkunde ist darauf eine richtige Antwort, daran glaube ich. Wir sehen seit vielen Jahren eine sehr erfolgreiche technologisch-pharmakologische Entwicklung in der Medizin. Wir sind sehr erfolgreich in der Akutmedizin, in der Intensivmedizin, bei der Behandlung des akuten Herzinfarktes bis hin zu neuen chirurgischen Techniken.

Seit 30, 40 Jahren erleben wir aber, dass Ärztinnen, Ärzte und auch Krankenhäuser verstärkt mit chronischen Erkrankungen konfrontiert werden. Die Zahlen explodieren. Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Arthrose, Depression – das sind alles Volkskrankheiten geworden. Ich selbst bin ja auch Internist, also Teil der konventionellen Medizin, aber die Antworten, die wir auf diese chronischen Krankheiten finden, sind nicht immer nachhaltig und nur wenig kosteneffektiv. Wir kontrollieren diese Erkrankungen – jedoch erstens zu einem sündhaft teuren Preis und zweitens mit vielen unerwünschten Wirkungen.

Was macht die Naturheilkunde anders?
Sie legt den Fokus auf den Lebensstil: auf die Ernährung, auf Stress, auf Bewegung oder physikalische Reize. Klar, die Naturheilkunde ist eher vorbeugend als therapeutisch, aber ich bin der Meinung, dass wir zum Beispiel bei Bluthochdruck nicht reflexartig ein Medikament verschreiben sollten, sondern dass wir erstmal schauen, was der Patient uns über seinen Lebensstil erzählt. Dabei fragen wir ihn, welche Stressfaktoren für ihn eine Rolle spielen, wie er sich ernährt, bewegt. Mit dem Ziel, einen Hebel zu finden. Um beim Beispiel Bluthochdruck zu bleiben, 90 Prozent aller Fälle nennen wir essenziell – das heißt, wir finden dafür keine spezifische Organursache, verantwortlich ist der Lebensstil.

Aber sollte nicht auch die Schulmedizin nach diesen Aspekten fragen? Diese Informationen über Ernährung, Stress oder Bewegung sind doch die Grundlage der Diagnose.
Natürlich steht in den Leitlinien der modernen Medizin, dass wir danach fragen sollten. Aber faktisch passiert das nicht. Oder nur zu wenig. Faktisch geht der Mensch zum Arzt, bleibt da drei Minuten und kriegt ein Rezept in die Hand. Mein Ansatz lautet: Das muss andersherum gedacht werden. Es muss erst die Ursache gefunden werden, und dann muss ich als Mediziner das Handwerkszeug besitzen, Anwendungen zu verordnen, die ursächlich die Erkrankung angehen und individualisiert zum Patienten passen. Seien es Ernährungsinterventionen, manuelle Behandlungen, Yoga, Meditation oder auch eine Form des Heilfastens.

Erkennen Sie beim medizinischen Nachwuchs, dass dieser ähnlich denkt wie Sie?
Absolut, ja. Wir bekommen wahnsinnig viel Bewerbungen, und ich bin der Überzeugung, dass es viele junge Ärztinnen und Ärzte zufriedenstellt, nach diesem Ansatz zu behandeln. Es ist erfüllend, zusammen mit dem Patienten an den Ursachen einer chronischen Erkrankung zu drehen, statt immer nur mit Medikamenten die Symptome zu kontrollieren.

Nach den Ursachen zu suchen, kostet Zeit. Und Zeit ist es, was Ärzte in der Regel nicht haben, oder?
Stimmt, das ist ein strukturelles und politisches Problem. Das Gesundheitssystem, so wie es aktuell aufgestellt ist, wird von falschen Honoraranreizen geprägt. Für das Wesentliche bleibt keine Zeit, weil ich als Arzt gucken muss, dass ich möglichst viele Privatpatienten habe, dass ich meinen Gerätepark möglichst gut auslaste – und dass die Patienten möglichst wenig Zeit bei mir verbringen. Bei der Behandlung chronischer Erkrankungen kann dieses Praxismanagement aber nicht die richtige Antwort sein. Das Problem ist nur, dass derzeit eine medizinisch sinnvollere Strategie in der Praxis nicht zu finanzieren ist. Das ist ein Dilemma.

„Am Ende aber muss uns allen klar sein, dass wir biologische Wesen sind. Dass wir gesundheitliche Probleme bekommen, wenn wir uns über Jahre gegen unsere Biologie verhalten.“

Wie kommen wir da heraus?
Ich glaube, wir benötigen einen Bewusstseinswandel. Wie eben schon gesagt: Wir können sehr stolz auf das sein, was die Medizin technisch entwickelt und erforscht hat. Am Ende aber muss uns allen klar sein, dass wir biologische Wesen sind. Dass wir gesundheitliche Probleme bekommen, wenn wir uns über Jahre gegen unsere Biologie verhalten. Und dass es logisch ist, dass wir diesen Problemen biologisch begegnen – und nicht nur mithilfe von Technik. Dieses Denken muss wieder in die Köpfe der Ärztinnen und Ärzte.

Das Interessante dabei ist: Die Bevölkerung weiß oft mehr über die Naturheilkunde, als es bei den Ärztinnen und Ärzten der Fall ist. Deswegen ist zum Beispiel Ernährung so ein Riesenthema. Die Leute spüren: Da liegt der Hase im Pfeffer. Auf diese Art entstehen regelrechte Volksbewegungen, Yoga, Meditation, Heil- oder Intervallfasten. Und plötzlich machen die Leute die Erfahrung, dass mit Hilfe von Yoga-Übungen die Rückenschmerzen auch ohne orthopädische Spritzen verschwinden. Und dass sie auch nicht wiederkommen. Es liegt eine gewisse Tragik in der Tatsache, dass viele Orthopäden von Yoga keine Ahnung haben. Dass viele Allgemeinmediziner nicht wissen, worauf es beim Intervall- oder Heilfasten ankommt.

„Das Thema des Bindegewebes und der Faszien, der Dehnung und Gelenkbeweglichkeit hat nicht mehr interessiert, weil vor allem gespritzt und operiert wurde.“

Es gab zuletzt unter den Medizinern große Diskussionen über Liebscher & Bracht, die im Internet großen Erfolg mit ihren Physiotherapie-Übungen haben, mit fast zwei Millionen Abonnenten. Wenn Kollegen darüber sprechen, erhitzen sich die Gemüter: „Die erzählen Quatsch!“ Dann denke ich mir, ja, das mag nicht alles nach Lehrbuch ablaufen, aber so erfolgreich sind sie deshalb, weil die meisten Ärztinnen und Ärzte sich mit dem Thema gar nicht mehr auskennen. Das Thema des Bindegewebes und der Faszien, der Dehnung und Gelenkbeweglichkeit hat nicht mehr interessiert, weil vor allem gespritzt und operiert wurde. Daher holen sich die Leute ihre Informationen dazu auf eigene Faust im Internet, und zwar vollkommen zu Recht.

Treffen Sie auf viele Stimmen aus der Schulmedizin, die der Naturheilkunde generell skeptisch gegenüberstehen?
Es gibt schon noch die Kritiker und Skeptiker, die alles in Frage stellen, oft verbunden mit dem Hinweis, dass es nicht genügend Studien gebe, die den Erfolg der naturheilkundlichen Maßnahmen bestätigen. Dann entgegne ich: Doch, es gibt diese Studien. Nur sind diese nicht so groß angelegt, wie es in der Pharmakologie der Fall ist. Was daran liegt, dass es für die Studien in der Naturheilkunde keine Financiers gibt. Ein zweites Gegenargument, das ich häufig höre, lautet: „Das ist ja alles nur Wellness.“

Ihre Antwort darauf?
Ja natürlich, kann Yoga das allgemeine Wohlbefinden fördern. Dass es dann auch gegen chronische Rückenleiden hilft oder die Lebensqualität in der Krebstherapie erhöht, muss ja kein Widerspruch sein. Medizin muss nicht immer bitter sein! Was ich aber auch merke, ist, dass die Gesellschaft die Medizin verändert. Das fängt oft in der Familie an. Thema Ernährung: Wenn sich die eigenen Kinder plötzlich vegan ernähren und positive Effekte erkennbar sind, dann kommt man als Arzt ins Nachdenken. Die Medizin wird also nicht nur von der Forschung und Entwicklung der Pharmakonzerne beeinflusst, sondern auch von der Gesellschaft, den Menschen. Das ist eine Tatsache, an die sich mancher Mediziner noch gewöhnen muss. Auch daran, dass der Patient, der zu ihm kommt, häufig sehr viel über seine Erkrankung und manchmal mehr über mögliche Therapien weiß als er.

Da bekommt das Stereotyp der Götter in Weiß mit der rettenden Pille im Schrank Risse.
Das kehrt sich um. Plötzlich kommt der Patient und sagt: „Diese Übung, die hat mir geholfen, machen Sie die doch auch mal, Herr Doktor!“

Zu den Büchern

Prof. Michalsen ist Autor von verschiedenen Büchern über die moderne Naturheilkunde. Das Buch „Heilen mit der Kraft der Natur“ ist als Band für Einsteiger*innen konzipiert und ist 2020 in einer aktualisierten Neuauflage erschienen. „Mit Ernährung heilen“ (2019) führt in die Themen Ernährung und Fasten ein, „Die NaturDocs: Meine besten Heilmittel für Gelenke. Arthrose, Rheuma und Schmerzen“ behandelt Möglichkeiten, mithilfe der Naturheilkunde chronische Schmerzen bei Gelenkerkrankungen zu lindern.

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