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Der Tumorbekämpfer Dr. Niels Halama im Interview

Wie kann das körpereigene Immunsystem dabei helfen, Tumoren zu bekämpfen? Welche Rolle spielen dabei mRNA-Botenstoffe, die aktuell die effektivste Waffe gegen das Corona-Virus sind? Und warum sorgen diese Entwicklungen dafür, dass sich das Berufsbild des Mediziners immer weiter ausdifferenziert und altes Silodenken keine Chance mehr hat? Antworten von Dr. Niels Halama, der am Deutschen Krebsforschungszentrum neue onkologische Ansätze entwickelt. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Privatdozent Dr. Niels Halama leitet am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) die Abteilung Translationale Immuntherapie sowie seit 2015 die Forschungsgruppe Adaptive Immunotherapie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. Dort ist er auch Oberarzt und vertritt den Schwerpunkt kolorektales Karzinom. Seine Forschungsgebiete sind unter anderem die Tumorimmunologie, tumorassoziierte Entzündungen sowie die immunologische Biomarker- Identifikation. Neben der klassischen Laborforschung ist die Entwicklung neuer digitaler Methodiken wie Machine Learning ein weiterer wichtiger Fokus. Er studierte an der Universität Heidelberg mit zwei US-Stationen in Houston (2002) und Ohio (2004). Er startete seine Berufskarriere 2006 am NCT und verbindet so die Forschung im Labor mit der Umsetzung in der Klinik, insbesondere im Rahmen von frühen innovativen Studien.

Herr Dr. Halama, ist die Corona-Pandemie der wirksamste Volkshochschulkurs zum Thema Medizin, den eine Gesellschaft erfahren kann?
Es ist tatsächlich so, dass wir derzeit in der Öffentlichkeit eine sehr große Bandbreite an medizinischen Themen verhandeln. Das beginnt bei der basalen Biologie, zum Beispiel der Frage, was mRNA bedeutet, bis hin zu Fragen zur Infektion, zur Impfung sowie zum Immunsystem des Menschen. Man kann daher mit Fug und Recht sagen, dass die Pandemie ein umfangreiches Bildungsproramm für die Öffentlichkeit gestartet hat.

Auf welche Weise verändert dieses neuartige Virus die Medizin?
Die Pandemie ist in erster Linie ein Ereignis mit traurigen Folgen. Auch hat sie auf viele Missstände in der Medizin hingewiesen, gerade im Pflegebereich. Was ich aber auch sehe: Die Pandemie belegt eindrücklich, wie engmaschig die Entwicklungen im medizinischen Bereich aktuell passieren. Nehmen Sie den mRNA-Ansatz, wir erleben ihn aktuell insbesondere bei der Impfung gegen das Corona-Virus. Das ist ein großartiger Anwendungsbereich, keine Frage. Die medizinische Entwicklung schaut aber bereits weit darüber hinaus, ausgehend von der Frage: Bietet uns mRNA ein ganz neues Set an Werkzeugen, um an diverse Behandlungen ganz anders ranzugehen? Um es bildlich auszudrücken, wir öffnen hier gerade die Tür zu einer ganz neuen Landschaft, die der Medizin vielfältige Fortschritte ermöglichen wird.

Besonders im Fokus steht dabei die Krebstherapie, wie kann der mRNA-Ansatz die Onkologie revolutionieren?
Die klassische Chemotherapie wirkt, um es sehr überspitzt auszudrücken, beinahe mittelalterlich: Wir geben Gift in einen Patienten und hoffen, dass am Ende der Tumor abstirbt und der Patient möglichst wenig Schaden erleidet. Was die Krebsforschung lange prägte, war der eindeutige Fokus auf den Tumor: Warum entsteht er, was treibt sein Wachstum an, wie kann es sein, dass die Zellen nicht mehr sehen, was links und rechts passiert, sondern nur noch wachsen wollen? An einem gewissen Punkt musste die Medizin allerdings festhalten: Wir kommen hier nicht weiter. Nicht nur gewinnen wir kaum noch neue Erkenntnisse, die Patienten profitieren auch nicht substanziell genug. Also begann die Medizin damit, verstärkt nach links und rechts zu schauen – und die Immunologie zu entdecken, als einen Bereich, der zuvor stets ein wenig als esoterisch angehaucht und irrelevant galt.

Warum?
Weil er zu wenig technisch und messbar zu sein schien. Das änderte sich durch neue Labortechniken, neue Erkenntnisse, klinische Umsetzungen sowie Studien, die zeigten: Wir können hier etwas bewegen – und zwar in einer Dimension, wie wir es mit der Chemotherapie eben nicht mehr konnten.

Jetzt lasst uns als Experten doch nicht weiter jeder für sich über einen Patienten reden, sondern alle gemeinsam mit diesem Patienten!

Man spricht in der Wirtschaft vom „Ende des Silodenkens“, Abteilungen in den Unternehmen arbeitet nicht mehr abgeschottet, sondern zusammen – und organisieren diese Kooperationen immer wieder neu. Ist dieser Trend auch in der modernen Medizin erkennbar?
Absolut, und zwar sowohl in der Forschung als auch in den Kliniken. Es trat eine neue Generation von Medizinerinnen und Medizinern auf, die sagte: Jetzt lasst uns als Experten doch nicht weiter jeder für sich über einen Patienten reden, sondern alle gemeinsam mit diesem Patienten! Klar, es ist anstrengend, dieses Silo aufzubrechen, neue Gedanken anzustoßen, Maßnahmen zu verhandeln, statt sie festzulegen. Denn es ist fraglos komfortabel, in meiner eigenen Blase zu sitzen und das, wofür ich mich entscheide, als das einzige Wahre und Schöne zu bezeichnen. Da muss ich wenig Energie aufwenden. Anders ist es, wenn ich meine Ansätze hinterfrage, wenn ich beginne, sie mit den Ideen anderer zu ergänzen. Diese Auseinandersetzungen kosten Zeit und Kraft, und sie bringen mich manchmal eben auch zu der Erkenntnis, dass mein Ansatz kritisch hinterfragt wird. Das ist heraufordernd. Aber dieses Vorgehen lohnt sich, weil sich die Therapieerfolge dadurch massiv verbessern lassen.

Sind die Klinkkulturen vorbereitet auf diese neue Art der Arbeit?
Hier ändert sich was, auch wieder geprägt von einer neuen Generation. Vor zwei Jahrzehnten stand das sehr hierarchische Denken noch viel stärker im Vordergrund, heute finden wir verstärkt Strukturen, die den Austausch fördern. Mit dem großen Vorteil, dass simple Ja-Nein-Entscheidungen, wie es sie früher gab, heute von differenzierteren Entscheidungen ersetzt werden. Zum Wohle des einzelnen Patienten. Wobei wir feststellen, dass dieser Wandel der Gedankenwelt auch den Medizinerinnen und Medizinern zugutekommt. Denn letztlich waren es ja diese Hierarchien, war es das Feststecken in den Silos, was zur beruflichen Frustration geführt hat.

Mit Blick auf die Fortschritte in der Onkologie: Welche Rolle spielen IT-Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz und Big Data?
Vor fünf bis zehn Jahren war es die Regel, dass die Patienten zu uns kamen und sagten: Macht bitte, was mir hilft! Heute kommen Patienten nicht selten mit einer Festplatte im Gepäck, auf der Unmengen Daten und Messwerte über den Tumor liegen. Wobei der Anspruch lautet: Hier sind meine Daten, nun macht da bitte etwas ganz Nützliches daraus. Wir stehen als Mediziner vor der Aufgabe, diese Daten zu integrieren und einen Nutzen daraus zu ziehen. Das ist manchmal sehr sportlich oder sogar unmöglich. Womit wir bei den digitalen Systemen sind: Sie sind es, die uns dabei unterstützen, diese Daten in eine sinnvolle Anwendung zu bringen. Dabei wird sich in Zukunft zeigen, welche Rolle die Künstliche Intelligenz und Machine Learning spielen werden: Wird sie ein zentraler Helfer sein – oder nur ein Werkzeug unter vielen? Da ist der Ausgang weiterhin offen. Was dagegen klar ist: Junge Medizinerinnen und Mediziner mit Interesse an digitalen Themen müssen sich keine Zukunftssorgen machen. Das Thema wird bleiben und den Klinikalltag prägen.

Ändert also diese Vielzahl an Entwicklungen das Berufsbild einer Ärztin und eines Arztes?
Ich glaube schon, ja. Hinter einer Berufsbezeichnung wie Onkologe stecken schon heute viele verschiedene mögliche Schwerpunkte. Diese Differenzierung wird sich fortsetzen. Die Medizin war immer schon sehr vielfältig, der klassische Herzchirurg hat schon immer ganz andere Dinge gemacht als der Onkologe oder Labormediziner. Doch ist der Grad dieser Differenzierung in den vergangenen zehn Jahren noch einmal explodiert. Das Spektrum erweitert sich enorm. Der Medizinberuf verästelt sich mit der Physik und der Informatik, mit der Ethik und der Kommunikation. Wobei dieser Prozess kein Ende finden, sondern sich immer weiter fortsetzen wird.

mRNA in der Immuntherapie

Im menschlichen Erbgut gibt es Signalmoleküle, die als kurzlebige Botenstoffe fungieren. Zunächst erschienen diese Messenger- RNA wegen ihrer Kurzlebigkeit wenig attraktiv zu sein. Als es im Labor gelang, sie etwas langlebiger und vor allem steuerbar zu machen, reifte die Überlegung, diese Botenstoffe als Medikament einzusetzen. Zumal die kurze Halbwertzeit auch ein Vorteil darstellt: Die Moleküle geben die Chance, sehr präzise Informationen an das Immunsystem bzw. den Körper zu vermitteln, ohne dass dabei langfristige Folgen entstehen. Vermitteln die bekannten Corona-mRNA-Impfstoffe einen Teil des Bauplans des Virus, so geben die Botenstoffe in der Onkologie Informationen über die zu bekämpfenden Tumorzellen weiter. Wobei die Kurzlebigkeit der Moleküle der Medizin die Chance gibt, die Art der Botschaft immer wieder kleinteilig, individuell und maßgeschneidert anzupassen. Die Erfolge klinischer Studien geben Grund zur Hoffnung, dass der mRNA-Ansatz die Krebstherapie einen großen Schritt nach vorne bringen wird. Im Zentrum der aktuellen Forschung steht dabei das „Feintuning“, das verhindert, dass das Immunsystem falsch oder überreagiert.

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