… das letzte Wort von Andrea Zug

Sängerin und Sozialarbeiterin (Bachelor of Arts)

Andrea Zug, Foto: Ludmilla Parsyak
Andrea Zug, Foto: Ludmilla Parsyak

Andrea Zug wurde 1984 als eines von sechs Kindern im Rheinland geboren. Für ein Studium der Sozialarbeit zog sie 2007 nach Esslingen. Seit einigen Jahren arbeitet sie, inzwischen in Teilzeit, als Sozialarbeiterin in der Sozialpsychiatrie in Stuttgart.
Mit acht Jahren begann Andrea Zug außerdem, klassischen Gitarrenunterricht zu nehmen. Später folgte Gesangsunterricht. Und seit Sommer 2014 arbeitet sie auch als Sängerin. Im Stuttgarter Gospelchor „Gospel im Osten“ (GiO) sang sie bis Anfang 2015 als Solistin – unter anderem auch mal im Rahmen eines SWR-Fernsehbeitrags. 2015 nahm sie an dem Musikshowformat „The Voice Of Germany“ teil. Dort konnte sich Andrea Zug gegen 10.000 Mitbewerber durchsetzen und schaffte es im Team von Andreas Bourani bis in die „Battles“. Die Fragen stellte Christoph Berger

Frau Zug, Ihre Leidenschaft für Musik gibt es bei Ihnen seit Kindertagen. Doch nach der Schule haben Sie sich erst einmal für ein Studium der Sozialarbeit entschieden. Warum fiel die Wahl auf dieses Fach?
Ich war ein sehr empfindsames Kind. Besonders in Jugendjahren war ich stark adipös und habe in Folge von Mobbingerfahrungen sehr unter dieser, meinem Selbst und dem Leben gelitten. Vermutlich habe ich deshalb kein Vertrauen darin gehabt, dass ich die Prüfung an der Musikhochschule bestehen würde und mich aus Angst dafür entschieden, diese gar nicht erst zu absolvieren.

Und vielleicht habe ich mich damals genau wegen dieser eigenen Unsicherheiten schon immer für alle Themen interessiert, die den Menschen betreffen – sei es aus biologischer, medizinischer, psychologischer oder sozialer Sicht. Besonders innerpsychische und interaktionelle Prozesse fand ich äußerst spannend. Mit Hilfe einer Außensicht habe ich versucht, ein Verständnis für mich und meine Umwelt zu entwickeln. Daraus ist der Wunsch entstanden, nicht nur mir selbst, sondern auch anderen Menschen zu helfen. So wollte ich relativ früh in meinem Leben schon Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin werden. Die Tätigkeit im Feld der Sozialen Arbeit sollte nur einen Zwischenschritt darstellen. Und tatsächlich verfolge ich diesen Plan noch immer. Im kommenden Sommer werde ich berufsbegleitend den Master der Sozialen Arbeit beginnen, um im Anschluss die Ausbildung zur Psychotherapeutin machen zu können.

Meine Leidenschaft zur Musik blieb jedoch über all die Jahre hinweg weiterhin bestehen. Meine Hoffnung war es immer, meine Musikalität in die Arbeit mit Menschen integrieren zu können.

Spielt die Musik bei Ihrer Arbeit in der Sozialpsychiatrie denn eine Rolle?
Da ich immer noch in Teilzeit in der Gemeindepsychiatrie tätig bin, spielt sie tatsächlich sogar ganz aktuell eine Rolle. Erst kürzlich habe ich gemeinsam mit einer Kollegin ein kleines, internes Projekt gestartet: Unsere Dienststelle ist umgezogen und wir haben für die Eröffnungsfeier einen Chor gegründet, der sowohl aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, als auch aus Klientinnen und Klienten besteht. Die Eröffnungsfeier hat vor wenigen Tagen stattgefunden und unser erster gemeinsamer Auftritt war ein voller Erfolg. Besonders schön empfand ich den Moment, als wir gemeinsam mit den Gästen sangen. In solchen Momenten entsteht unheimlich viel Energie und Verbindung zwischen allen Singenden.

Mein Job als Sozialarbeiterin ist es, für meine Klientinnen und Klienten da zu sein und meine eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen. Nicht umgekehrt.

Ansonsten trenne ich aber zwischen meiner Tätigkeit als Sängerin und als Sozialarbeiterin. Es kommt für mich nicht in Frage, bei Veranstaltungen zu singen, bei denen Klientinnen und Klienten von mir anwesend sein sollen. Nicht, weil ich sie von etwas ausschließen möchte. Es wäre in meinen Augen aber eine Art Rollentausch, der nicht sein darf. Meine Klientinnen und Klienten sollen mich nicht für meinen Gesang und meine ‚Selbstdarstellung‘ bewundern. Das würde ich als missbräuchlich empfinden. Mein Job als Sozialarbeiterin ist es, für sie da zu sein und meine eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen. Nicht umgekehrt. In meinen Augen wäre das eine Ablenkung und Störung in der Beziehung zu ihnen.

Aber einige Ihrer Klienten wissen, dass Sie nicht nur als Sozialarbeiterin arbeiten?
Vereinzelt haben Klientinnen und Klienten natürlich durch die Medien von meinem Zweitjob erfahren. Punktuell gibt es also immer mal wieder Momente, in denen meine Tätigkeit als Sängerin zum Thema gemacht wird. Allerdings denke ich, dass es mir ganz gut gelingt, den Fokus von mir zurück zum Klienten zu richten und ihnen mitzuteilen, dass ich mich zwar freue, dass sie Interesse an mir und meiner Tätigkeit haben, aber es in der folgenden Gesprächseinheit um sie gehen soll.

Einen kleinen Chor anzubieten – so wie ich es aktuell tue – finde ich hingegen sehr stimmig. Hier geht es nicht um mich als Sängerin. Vielmehr geht es darum, meine Musikalität zu nutzen, um Menschen zum Singen zu bringen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass gemeinsames Musizieren therapeutisch wirken kann.

Wie es Ihnen selbst auch hilft?
Genau. Ich selbst habe zum Beispiel das Singen immer als einen sehr heilsamen Prozess erlebt. Besonders in den vereinzelten Gesangsstunden, die ich im Laufe der Jahre genommen habe, erlebte ich Heilung von meinen Ängsten und Unsicherheiten. Dies begann bereits bei den Achtsamkeitsübungen und anschließenden Atemübungen zu Beginn einer Stunde. Sich loszulösen von inneren Blockaden – von leisen, zu lauten Klängen –, in die Einheit von Körper, Geist und Seele zu gelangen, hat mich massiv gefordert und meine Gesanglehrerin sicher das ein oder andere mal verzweifeln lassen. Denn es fiel mir unglaublich schwer, loszulassen. Aber irgendwann gelang es mir dann und mein erster öffentlicher Auftritt war vor 2000 Leuten in der Stuttgarter Liederhalle. Ab diesem Moment verselbstständigte sich mein musikalisches Leben und ich konnte mich nebenberuflich selbstständig machen. Aber nicht nur mein musikalisches Leben veränderte sich. Ich fühlte mich endlich so befreit und lebendig, wie nie zuvor in meinem Leben.

Ein lohnenswertes Therapieergebnis…
… ja, ein Ergebnis, dass ich mir natürlich auch für meine Klientinnen und Klienten wünsche. Es muss ja nicht die große Karriere sein. Und Musik ist auch nicht für jeden das passende Medium. Aber es reicht, wenn bei einem Teil der Menschen ein Funke eines Feuers sowie Inspiration, Leidenschaft und Lebendigkeit entsteht. Gemeinsames Singen kann vieles Lösen, und ich freue mich sehr, diesen Prozess begleiten zu dürfen. Mit unserem ersten Chorauftritt sind wir – meines Erachtens – auf einem guten Weg dorthin.

Sie benutzen häufig Vokabeln wie „Herz“, „genießen“, „berühren“, „Gabe“ und „Dankbarkeit“. Auf was kommt es Ihnen bei Ihren Auftritten an, wie sollen Menschen Ihre Auftritte und Konzerte verlassen?
Ich habe meinen bisherigen Weg der Persönlichkeitsentwicklung eine lange Zeit als sehr leidvoll erfahren. Das Überwinden meiner Ängste, um meiner Leidenschaft nachgehen zu können, empfinde ich wie einen Befreiungsschlag. Ohne die Hilfe vieler Menschen, die immer an mich und meine Fähigkeiten geglaubt haben, hätte ich diesen Weg vermutlich niemals gehen können. Worte können nicht zum Ausdruck bringen, wie dankbar ich mich dafür fühle.
Meine Klientinnen und Klienten haben in der Regel noch viel schwerere Schicksale zu tragen und leiden unter den immer noch sehr ausgeprägten Stigmatisierungen, die ihnen oftmals gesellschaftlich entgegengebracht werden.

Ich möchte an das Herz der Menschen appellieren, sie berühren und einladen, zu überprüfen, was ihnen wirklich wichtig im Leben ist.

Ich habe den Wunsch und mir selbst auferlegten Auftrag: Ich möchte Menschen zur Menschlichkeit auffordern. Ich möchte an ihr Herz appellieren, sie berühren und einladen, zu überprüfen, was ihnen wirklich wichtig im Leben ist. Und dafür möchte ich mutig sein und zu meiner eigenen Befindlichkeit stehen. Dazu stehen, dass ich alles andere als perfekt bin. So kann es zum Beispiel bei einem Konzert durchaus mal geschehen, dass ich unter Ankündigung etwas ausprobiere, von dem ich mir nicht sicher bin, ob es mir gelingen wird. Es ist mir wichtig, zu mir zu stehen und zu zeigen, dass Fehler sein dürfen und nicht immer einen Grund für Scham darstellen müssen. Ebenso ist es mir wichtig, zu meinen Emotionen zu stehen: Schmerz, Angst, Freude, Wut und Scham gehören zur großen Palette unserer Gefühlswelt. Wenn mich etwas sehr berührt, fließen bei mir auch Tränen. Durchaus auch mal auf der Bühne. Zum Beispiel wenn ich vor einem großen Publikum stehe und es nicht glauben kann, dass diese Menschen alle gekommen sind, um mir zuzuhören.

Am Ende möchte ich, dass die Menschen mit einem Mehrwert nach Hause gehen. Dass sie sich inspiriert und berührt fühlen. Und das funktioniert am besten, wenn das Publikum mit eingebunden wird. Deshalb gibt es in jedem meiner Konzerte Einheiten, in denen ich Songs gemeinsam mit ihnen singe. Gerne auch mehrstimmig. In der Regel sind das die Momente, die am meisten berühren, denn beim gemeinsamen Singen entsteht eine gemeinsame Verbindung unter allen Beteiligten. Zumindest empfinde ich das immer so.

Sind dies Dinge, die für Sie auch in der Rolle der Sozialarbeiterin entscheidend sind?
Ein respekt- und liebevoller, authentischer, interessierter sowie wohlwollender Umgang mit meinen Mitmenschen ist mir enorm wichtig und ein entscheidender Teil meiner Haltung. Sowohl in meiner Arbeit als Sozialarbeiterin, als auch als Sängerin. Aber natürlich möchte ich mich auch in meinem persönlichen und privaten Umfeld so zeigen. Da fällt es mir jedoch meistens deutlich schwerer als in allen anderen Bereichen.

Sie haben den Rollentausch bereits angesprochen: Bedeutet die Arbeit als Sängerin einen größeren Abstand zu den Menschen zu haben als dies bei der Arbeit im Krankenhaus der Fall ist?
Es ist eine andere Nähe, die ich mit meinem Publikum teile. In der Sozialpsychiatrie stelle ich mich möglichst bewertungsfrei auf mein Gegenüber ein. Ich halte meine eigenen Bedürfnisse zurück und bin bemüht, mich für die Schwingungen und Bedürfnisse meines Gegenübers zu öffnen und zur Verfügung zu stellen. Ich nehme diese auf und nutze die Emotionen, die diese bei mir in der Reaktion auslösen, um damit weiterzuarbeiten. Wie eine Art Wegweiser. Einige Klientinnen und Klienten teilen ihre schmerzhaftesten Erlebnisse mit mir. Ich sehe mich als eine Begleiterin, als diejenige, die deren Gefühle mit aushält und soweit es geht, trägt. In diesen Kontakten kann sehr viel emotionale Nähe entstehen.

Ich empfinde das Singen als etwas sehr Intimes. Ich zeige mich pur, mit meinen kraftvollen, zarten, bedürftigen, empfindsamen und verletzbaren Anteilen.

Auf der Bühne ist es anders. Hier sind meine eigenen Emotionen die, die ich nach außen trage. An denen ich mein Publikum teilhaben lasse. Ich empfinde das Singen als etwas sehr Intimes. Ich zeige mich pur, mit meinen kraftvollen, zarten, bedürftigen, empfindsamen und verletzbaren Anteilen. Dabei muss man immer damit rechnen, dass es das Gegenüber vielleicht nicht so nett mit einem meint. Das war lange der Grund, warum ich mich nicht getraut habe, auf die Bühne zu gehen. Ich hatte Angst, dass die Menschen meinen Gesang, meine Art mich zu präsentieren und somit auch einen Teil von mir selbst ablehnen und abwerten könnten. Aber überwiegend erlebe ich etwas anderes: nämlich ein Publikum, das mein Sein liebevoll annimmt und auf meine Emotionen einschwingt, sich berühren lässt. Das kann ich am Klatschen, Mitsingen, Lachen und auch am Weinen erkennen. Auch hier entsteht eine besondere Nähe.

Für welche Situationen oder Lebensereignisse ist die Musik die beste Therapie?
Musik kann Emotionen verstärken. Das kennt sicherlich jeder: Wenn man traurig ist und hört dann einen Song, der „Herzschmerz“ bei demjenigen auslöst, dann kann es sein, dass plötzlich die bis dahin zurückgehaltenen Tränen fließen. Genauso kann die gute Stimmung, die man zum Beispiel in Vorfreude auf einen gemeinsamen Abend mit Freunden empfindet, noch weiter durch eher fröhlich anmutende und rhythmische Musik gehoben werden. So kann Musik hilfreich dabei sein, das Gefühl, das man aktuell vorherrschend in sich spürt, noch tiefer zu spüren. Meiner Überzeugung nach wollen Gefühle gelebt werden, damit sie sich auflösen können. Emotionen, die man nicht so mag, können gefühlt und dann losgelassen werden.

Ich habe mir mal eine Playlist für solche Momente zusammengestellt, in denen ich mich sehr wütend, oder traurig gefühlt habe. Diese beginnt mit Songs, die die Wut in mir anregen, bei denen ich kraftvoll mitsingen und alles rauspowern kann. Dann folgen Songs, die eher die Trauer in mir hervorrufen – ich gehe davon aus, dass sich oft Trauer oder Angst hinter Wut verbergen. Dann fließen die Tränen. Danach folgen Songs, die leicht und sanft werden und sich zu freudefördernden Songs steigern. Wenn ich die Playlist einmal durchgehört und mitgesungen habe, geht es mir am Ende meistens wieder gut.

Weitere Infos zu Andrea Zug:
www.andrea-zug.com

Und welche in der Sozialarbeit gemachten Erfahrungen können Sie als professionelle Sängerin nutzen?
Ich glaube, dass ich eher vom umgekehrten Fall profitiere. Der Gesang und meine Bühnenpräsenz helfen mir immer wieder in meinem Job als Sozialarbeiterin. Seit diesem Jahr habe ich die Koordination eines relativ neuen Bereiches zum Thema „Kinder psychisch kranker Eltern“ für drei Standorte meines Trägers übernommen. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, Multiplikatoren auszubilden und Schulungen zu dem Thema zu geben. Mich vor vielen Menschen zu zeigen und zu präsentieren, fällt mir heute nicht mehr schwer. Ich bin weiterhin aufgeregt, jedes mal. Aber es ist nie eine solch überwältigende Angst, wie ich sie früher erlebt habe. Aber natürlich prägt die intensive Arbeit mit Menschen mein Menschenbild und meine Haltung. Diese zieht sich selbstverständlich ein Stückweit durch mein gesamtes Leben. Es fällt mir somit beispielsweise grundsätzlich leicht, mich auf Menschen unterschiedlichster Art einzustellen, was im Kontakt mit Kunden oder Auftraggebern immer hilfreich ist.