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Interview mit Martin Häusler

Wie sehr Martin Häusler mit seinem Thema den Nerv trifft, zeigte sich bei einem Fernsehauftritt Mitte August: Zusammen mit seiner „Angstkronzeugin“ Esther Schweins war der Autor das Buches „Fürchtet euch nicht!“ zu Gast in der NDR-Talkshow und zog die Runde mit Impulsen in den Bann, wie es gelingen kann, die lähmende Angst zu überwinden. Ein Gespräch über die Folgen von zu viel Angst und Strategien, etwas gegen sie zu tun. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Martin Häusler (37) studierte in Münster Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Geographie und Soziologie. Schon während des Studiums schrieb er für die Rheinische Post und war Reporter für den WDR-Hörfunk. Er volontierte bei dem Zeitungs-Supplement Prisma in Köln. 2000 ging er nach Hamburg, wo er zwei Jahre bei Gruner & Jahr und sieben Jahre für den Axel Springer Verlag arbeitete. Bis 2009 war er dort Leiter des Ressorts Aktuelles der Programmzeitschrift Hörzu.

Heute arbeitet er als freier Journalist, Autor und Entwickler innovativer journalistischer Konzepte. 2010 erschien auch sein erstes Sachbuch „Die wahren Visionäre unserer Zeit“; jetzt kommt sein neues Buch „Fürchtet euch nicht! Die Vertreibung der deutschen Angst“ auf den Markt.

Herr Häusler, viele Experten sagen, wir leben in einem Zeitalter der Angst. Sagen Sie das auch?
Ja, es ist mal wieder soweit. Angstzeitalter gab es bereits einige, beispielsweise zu der Zeit, als das Römische Reich kollabierte.

Wo sehen Sie die Parallelen?
Auch heute wird einer Gesellschaft ihre dekadente Lebensweise zum Verhängnis. Ausgangspunkt dafür ist der Turbokapitalismus, der jede Faser unseres Lebens eingenommen hat. Wir hängen so stark am Materialismus, dass wir sofort denken, wir wären verloren, sobald wir etwas verlieren.

Inwiefern hilft Ihr Buch dabei, diese Verlustängste zu besiegen?
Indem ich mit Hilfe meiner Angstkronzeugen an die Seite des Lebens erinnern, die wir in diesem blind umjubelten Kapitalismus völlig vergessen haben: die geistige Seite. Ohne diese geistige Variable, die uns vertrauen lässt, geht es einfach nicht. Wenn wir tatsächlich mal alles verlieren sollten, was bleibt uns dann noch außer der kreativen Kraft unseres Bewusstseins und unserem Glauben? Wollen wir dann alle depressiv werden? Das kann ja nicht die Lösung sein. Wenn wir diesen Irrweg jetzt nicht erkennen, wann dann?

Wie gelingt es uns, unsere geistige Seite wieder zu entdecken?
Indem wir uns wieder viel mehr mit uns selber beschäftigen und unsere Ankerplätze weniger im Außen als im Innen montieren. Um endlich mal zur Ruhe zu kommen – ohne Handy, Entertainment oder Termindruck – müssen wir uns heute disziplinieren. Wir verhalten uns beinahe wie Süchtige auf Entzug.

Aber wir müssen nun mal arbeiten, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Tage sind entsprechend ausgefüllt. Wie kann es gelingen, auch im Stress Muße zu finden, um sich diesem geistigen Teil des Lebens zuzuwenden?
Es ist für viele schwierig, auch nur eine halbe Stunde pro Tag für sich selbst freizuschaufeln. Und damit meine ich nicht das Relaxen vor dem Fernseher oder Jogging mit iPod im Ohr. Ich meine Momente der völligen Ruhe. Aber es ist alles eine Sache von Prioritäten. Wer will, der kann. Wofür war denn der Sonntag gedacht? Wir müssen ja nicht plötzlich in die Kirche rennen, aber wir könnten diesen Tag doch wieder nutzen, um zu uns zu kommen, uns unseren Ängsten zuzuwenden, stille Zwiesprache zu halten und über unser Wertesystem nachzudenken. Von dieser Notwendigkeit haben mir Topmanager, Fußballtrainer und Banker gleichermaßen erzählt. Wichtig dabei ist, zu begreifen, dass wir mit unserem Bewusstsein einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unsere Realität haben. Um diesen Zusammenhang klarzumachen, habe ich auch die Expertise eines Quantenphysikers mit ins Buch genommen.

Sie haben verschiedene prominente – wie Sie sie nennen – Angstkronzeugen getroffen. Wer hat Sie mit seinen Angstbewältigungsstrategien am meisten überrascht?
Jeder hat auf wunderbare Art seine Lebenserfahrung in die Debatte eingebracht. Ich war überrascht von den Gotteserfahrungen von Esther Schweins, die 2004 in Sri Lanka den Tsunami überlebte. Ich war auch überrascht von dem Vertrauen auf das „Stück Fügung“ im Leben, von dem Roland Koch sprach. Ich war überrascht davon, wie ein Medienmanager wie Dr. Bernd Kundrun plötzlich zu erzählen begann, wie er sich vor dem Einschlafen seinen bohrenden Ängsten stellt. Ich war überrascht von den mentalen Tricks, die Christoph Daum anwendet. Ich war überrascht von Rüdiger Nehberg, der – wie er sagt – die Angst kultiviert und immer unzählige Pläne gegen die Unwägbarkeiten seiner Abenteuer in der Tasche hat. Und ich war überrascht von Charlotte Knobloch, die im Mystizismus Zuversicht findet.

Unsere Leser sind vielfach in der Endphase ihres Studiums, schreiben zum Beispiel an ihrer Bachelor- oder Masterarbeit. Viele leiden gerade in dieser Zeit unter Ängsten, das Examen nicht zu schaffen oder keinen Job zu finden. Inwiefern können Sie Impulse geben, Ängste dieser Art zu bewältigen?
Ich persönlich habe in belastenden Situationen an der Uni oder später in diversen Redaktionen immer zu folgendem Mittel gegriffen: Ich habe mich an Momente erinnert, in denen ich schier Unmögliches doch irgendwie gemeistert hatte. Dann sagte ich mir: „Wenn Du das geschafft hast, schaffst Du das hier doch erst recht!“ Und so kam es dann auch. Ich denke, dass sich viele unserer Ängste aus dem Blick nach hinten und aus dem Blick nach vorne nähren – also aus schlechten Erfahrungen und aus bloßen Vorstellungen von der Zukunft. Dabei haben wir es mit Angstmachern zu tun, die eigentlich völlig neutral sind. Die Kunst ist, den Blick von dieser Zeitachse zu nehmen und sich auf den aktuellen Moment zu fokussieren. Dann verschwindet die Angst oft automatisch.

Die Autoren Winfried Panse und Wolfgang Stegmann haben 1998 in ihrem Buch „Kostenfaktor Angst“ ermittelt, dass der deutschen Wirtschaft jährlich ein Schaden in Höhe von 100 Milliarden Mark entsteht – verursacht durch Angst. Nach Ihrer Arbeit an dem Buch „Fürchtet Euch nicht!“: Wie könnte ein Konzept aussehen, mit dem es gelingt, Ängste der Menschen und damit auch den wirtschaftlichen Schaden drastisch zu reduzieren?
Die genannten Summen und auch die gerade wieder veröffentlichten Fehlzeiten im Job durch wachsende psychische Krankheiten sind klare Indizien dafür, dass der Kapitalismus seine Kinder frisst. Über ein Konzept dagegen könnte man Bände füllen. Ich denke, dass in Kindergärten, an Schulen, an Universitäten, in Vereinen und in den Unternehmen dringend Fächer, Seminare und Workshops – vielleicht sogar verpflichtend – angeboten werden müssen, die sich um unseren Geist und um ethische Fragestellungen kümmern, die uns über unsere kreative Kraft aufklären und uns Techniken wie die Meditation an die Hand geben. Nicht in erster Linie, um den Unternehmen die Verluste zu minimieren, sondern um uns zu heilen und uns wieder mehr Spaß am Job zu geben. Der Rest kommt dann von alleine.

Nach dem Reaktorunglück von Fukushima hat die Angst vor der Nichtbeherrschbarkeit der Technik dazu geführt, das Ziel einer schnellen Energiewende voranzutreiben. Wo sehen Sie weitere Ansatzpunkte, die Angst in Projekte mit positivem Nutzen umzumünzen?
Richtig, Fukushima ist ein Beispiel für die positive Seite der Angst, die lebenserhaltend ist. Die Angst vor der tödlichen Bedrohung Atomkraft wurde so groß, dass Hunderttausende auf die Straße gingen und eine fundamentale Energiewende forderten. Ich beschreibe in meinem Buch aber auch die Vision, dass uns irgendwann nicht mehr die Angst, sondern das Gegenteil der Angst, nämlich Liebe und Zuversicht, auf die Straße treibt. Das hieße, dass es nicht erst zum GAU kommen müsste, bevor wir reagieren. Und GAUs drohen uns viele – der ökologische, der soziale, der wirtschaftliche. Für diesen Paradigmenwechsel, von dem schon viele andere vor mir plädierten, benötigen wir jedoch einen Bewusstseinswandel, den man zurzeit in zarten Keimen erahnen kann. Forcieren können wir ihn durch unsere Bildungseinrichtungen und durch die Berichterstattung. Den Medien kommt dabei eine ungeheure Verantwortung zu.

Oscar Wilde soll gesagt haben: Die Wurzel des Optimismus ist Angst. Muss man da nicht Angst haben, dass einem die Angst vergeht?
Wie gesagt, den Teil der Angst, der uns davor schützt, beim nächsten Schritt unser Leben zu verlieren, sollten wir uns natürlich beibehalten. Aufgrund unserer deutschen Geschichte mit ihren vielen Katastrophen sind wir in dieser Hinsicht zu einem ganz guten globalen Alarmsystem geworden. Was allerdings die deutschtypische Zukunfts- und Verlustangst betrifft, die uns lähmt und von innen auffrisst, sollten wir uns etwas von den Kulturen abschauen, in denen das geistige Element eine größere Rolle spielt.

Sie beschreiben in Ihrem Buch noch eine weitere wesentliche deutsche Angstfacette – die der vererbten Angst. Können Sie diesen Aspekt kurz beschreiben?
Damit sind die unverarbeiteten Kriegstraumata unserer Ahnen gemeint, die an uns vererbt wurden und immer noch dafür sorgen, dass wir heute Ängste und Krankheiten ausbilden, die in ihrer Gesamtheit in der Lage sind, eine ganze Gesellschaft zu zersetzen.

Eine ganze Gesellschaft?
Womöglich. Bedenken Sie, dass annähernd jede deutsche Familie schlimmste Kriegssituationen erlebt hat. Diese traumatischen Erlebnisse gären auch nach über 65 Jahren in uns weiter, sofern man sich ihnen als Familie nicht gestellt hat. Das hat eine meiner Angstkronzeuginnen, die Berliner Psychotherapeutin Gabriele Baring, herausgefunden. Man spricht da von epigenetischen – also nachträglichen – Einflüssen auf unser Erbgut.

Welches Mittel bieten Sie dagegen in Ihrem Buch an?
Um die alten Traumata endlich aufzulösen, gibt es verschiedene Therapieformen. Aber grundsätzlich gilt: Wir müssen uns wieder mit unserer Familiengeschichte beschäftigen, Familiengeheimnisse ansprechen, Schweigeblockaden auflösen, Emotionen zulassen und uns auch den ausgeschlossenen Familienmitgliedern zuwenden. Gabriele Baring sagte in einem unserer Gespräche: „Nichts ist vergangen!“ Ich sehe meine Generation – ich bin Jahrgang 1974 – in der Verantwortung, sich endlich von dem seelischen Ballast der Eltern und Großeltern zu emanzipieren, damit dieser nicht auch noch auf unsere Kinder übergeht. Denn die werden in eine Welt geboren, die vor gigantischen Umbrüchen steht. In dieser entscheidenden Situation brauchen wir Zuversicht, Mut und Gestaltungskraft – aber keine Angst.

Literaturtipp

Martin Häusler: „Fürchtet euch nicht! Die Vertreibung der deutschen Angst“
Scorpio-Verlag, 320 Seiten, 19,95 Euro. ISBN 978-3-942166-35-5
„Fürchtet euch nicht! Die Vertreibung der deutschen Angst“ von Martin Häusler

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