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StartIngenieureWie generative KI die Arbeitswelt verändert

Wie generative KI die Arbeitswelt verändert

Mit der generativen KI macht die künstliche Intelligenz einen weiteren großen Sprung nach vorne. Hinter dem Begriff stehen komplexe Systeme, die für technische Unternehmen enormen Nutzen erzeugen können. Konzerne investieren dafür Milliarden, es entstehen branchenübergreifende Kooperationen. Klar ist: Wer diesen Schritt verpasst, droht den Anschluss zu verlieren. Ein Essay von André Boße

Dass die künstliche Intelligenz kein Hype, sondern eine zentrale Zukunftstechnologe ist, zeigt die Studie „Künstliche Intelligenz aus Sicht von Unternehmen“ des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation, kurz Fraunhofer IAO. Die Fragestellung der Untersuchung war der Stellenwert von KI-Lösungen in den Unternehmen. Studiengebiet war die Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken, die laut Eigenbeschreibung stark von den technischen Branchen Automobil- und Elektroindustrie, Maschinen-, Stahl- und Anlagenbau sowie Mess-, Steuer- und Regelungstechnik geprägt wird. Kurz: Dieser Teil Deutschlands besitzt einen großen Bedarf an Ingenieur*innen. Für die Studie befragte das Fraunhofer IAO in einem ersten Schritt Menschen aus den Unternehmen mit ausgewiesener KI-Expertise, zusätzlich beantworteten die Firmen selbst einen Fragebogen.

Nächster Schritt: Eine KI, die erzeugt

Die zentralen Resultate der Studie: Künstliche Intelligenz wird von nahezu allen Unternehmen als „hochrelevantes Themenfeld“ wahrgenommen. Die Mehrzahl der Unternehmen beschäftigt sich aktiv mit der Frage, wie sie die Technologien für sich nutzen kann. Je stärker sich die Unternehmen mit dem Thema KI beschäftigen, desto höher schätzten die Befragten Nutzen und Mehrwert der Technologie ein. „Wesentliche Mehrwerte werden in der Beschleunigung von betrieblichen Abläufen und in der Realisierung von Kosten- und Effizienzvorteilen gesehen“, heißt es in der Studie. Diese Aspekte reduzieren Kosten, und dies sei ein Faktor, der beim Einsatz von KI immer mehr an Bedeutung gewinne: „Gerade bei kleineren Unternehmen stehen die Aktivitäten rund um KI unter einem hohen wirtschaftlichen Verwertungsdruck“, so die Studienautor*innen. Wobei die Unternehmen vor allem jenen KI-Anwendungen einen hohen betrieblichen Mehrwert zuschreiben, die das Thema der künstlichen Intelligenz auf die nächste Ebene stellen: Systeme mit generativer KI.

Foto: AdobeStock/spiral media
Foto: AdobeStock/spiral media

Global Lighthouse Network

Als „Leuchttürme“ werden Industrie-Unternehmen bezeichnet, die das große Potenzial der generativen KI erkannt haben und in den Einsatz bringen. Diese finden sich im Global Lighthouse Network zusammen, einer Initiative des World Economy Forums und der Unternehmensberatung McKinsey. „Oft bringen Unternehmen die generative KI in Bereiche, in denen Daten am unstrukturiertesten sind“, beschreibt Enno de Boer von McKinsey in einem Interview bei Springer Professional. „Dies ist oft vor- und nachgelagert der Fall, zum Beispiel in der Produktentwicklung, bei der Beschaffung und im Servicebereich.“ In der Produktion diene die Generative KI laut de Boer als „eine Art Abkürzung zu Anwendungsfällen, die die Produktivität der Mitarbeiter erhöhen, indem sie viele unstrukturierte Daten oder dokumentationsintensive Prozesse automatisieren“. Auf der Homepage des Global Lighthouse Networks findet sich eine Aufzählung der „Leuchttürme“ mit Praxisbeispielen.

Wo liegt der Unterschied zwischen der „normalen“ und der generativen KI? Benjamin Touati, Redakteur beim digitalen Wissensportal Technopedia, definiert in einem Beitrag generative KI als „Technologien, die in der Lage sind, eigenständig neue Inhalte zu erschaffen, die kaum von menschlichen Werken zu unterscheiden sind oder diese sogar übertreffen. Sie nutzt umfangreiche Datensätze, um Muster und Strukturen zu erlernen und daraus eigene Ergebnisse zu generieren.“ Den Unterschied zur klassischen KI beschreibt Touati folgendermaßen: „Während traditionelle KI-Systeme vor allem für die Analyse von Daten, Mustererkennung und die Vorhersage von Ergebnissen entwickelt wurden, zielt generative KI darauf ab, eigenständig neue, originelle Inhalte zu erschaffen, die auf erlernten Daten und Mustern basieren.“ Vereinfacht gesagt: Die klassische KI stellt den Ist-Zustand fest, damit der Mensch Verbesserungen erarbeiten kann, die generative KI erschafft daraus eigenständig Zukunftsszenerien. Für technische Unternehmen ist das hochinteressant: Die generative KI erkennt aus den Daten und Mustern nicht nur Probleme, sondern erzeugt auch Lösungen. Ein neues Geschäftsmodell zum Beispiel. Oder eine vollkommen neue Organisation von Produktionsprozessen oder Lieferketten.

Encoden, Decoden, Probleme entdecken

Das Aushängeschild der generativen KI ist weiterhin der von Open AI entwickelte Chatbot ChatGPT. Und das aus gutem Grund: Als Sprachmodell zeigt es niedrigschwellig auf, wie Mensch und KI miteinander kommunizieren und gemeinsam auf Ergebnisse kommen können. Ob beim Schreiben von Reden oder beim Erstellen von Grafiken: Auch in den Unternehmen wird ChatGPT häufig eingesetzt. Doch die Möglichkeiten, generative KI bei technischen Prozessen zu nutzen, gehen noch viel weiter. Ein Thema sind zum Beispiel variative Auto-Encoder – eine Form von künstlichen neurologischen KI-Netzwerken, die bei komplexen technischen Prozessen helfen, potenzielle Störungen nicht nur zu erkennen, sondern auch gleich neue Prozesse zu erschaffen.

Die Technik hinter variativen Auto-Encodern ist kompliziert, hier ein Erklärungsversuch: Auto-Encoder (also ohne den Zusatz variativ) können als traditionelle KI klassifiziert werden und sind schon länger im Einsatz. Die Funktionsweise: Das Modell komprimiert eine große und mehrdimensionale Menge der Eingangsdaten („encoding“), indem es diese auf weniger Dimensionen reduziert, um sie danach wieder in der ursprünglichen Größe zu bringen („decoding“). „Das Ziel besteht darin, den Rekonstruktionsfehler zwischen der ursprünglichen Eingabe und der dekodierten Ausgabe zu minimieren“, beschreibt das KI-Portal Data Basecamp diese Technik. Jede Anomalie, die das System entdeckt, ist ein Hinweis darauf, dass ein bestimmter Prozess nicht optimal verläuft. Dies kann in einem technischen Unternehmen zum Beispiel eine komplexe Produktionslinie im Maschinenbau sein: Die KI erkennt hier aus Daten ein Muster, das langfristig zu Problemen führt.

Generative KI erzeugt selbst Daten

Die generative KI besitzt eine enorme IT-Tiefe. Und die Komplexität der Anwendungen wird weiter steigen.

Die neuen Modelle – genannt variative Auto-Encoder (VAE) – fügen diesen Modellen nun die generative Komponente hinzu. Vereinfacht gesagt: Das Modell rekonstruiert nicht nur die ursprünglichen Eingangsdaten, um Anomalien aufzuzeigen, sondern ist auch in der Lage, auf Basis der Wahrscheinlichkeitsrechnung neue Daten zu generieren. Zum Beispiel optimierte Eingangsdaten, die Anomalien von Grund auf verhindern. Ein Maschinenbauunternehmen kann diese Technik zum Beispiel dafür nutzen, die Laufdauer von Anlagen zu verbessern: Die auf dem VAE-Verfahren basierende generative KI analysiert nicht nur Muster, die zu Problemen führen können. Sie erzeugt auch neue Daten, die dabei helfen, dass diese Probleme gar nicht erst auftreten. Zum Einsatz kommen VAE-Modelle auch, um von echten Menschen fiktive Bilder zu erschaffen, die deshalb so echt aussehen, weil das Verfahren beim Erzeugen von sich aus erkennt, welche Elemente bei den echten Bildern, mit denen das System gefüttert wird, „authentisch“ sind und welche das „echte“ Gesicht verfälschen, wie zum Beispiel eine ungewöhnliche Kameraperspektive oder ein unnatürlicher Gesichtsausdruck.

Foto: AdobeStock/Mehri
Foto: AdobeStock/Mehri

Generative KI in der Medizintechnik

Modelle der generativen KI sind überall dort gefragt, wo sich Daten kaum bis gar nicht standardisieren lassen. Dies ist zum Beispiel in der Medizintechnik der Fall, wo jede*r Patient*in höchst individuell ist. Zum Einsatz kommen Systeme zum Beispiel in der Tumorforschung, wo die generative KI früh erkennt, welche Ausmaße und Folgen ein bösartiger Tumor annehmen kann. So können individuelle Maßnahmen ergriffen werden. Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld ist die Orthopädie: Die optimale Beschaffenheit eines neuen Hüftgelenks zum Beispiel hängt auch davon ab, wie sich der oder die Patient*in im Alltag bewegt. Eine generative KI kann vorab beobachten, daraus Schlüsse ziehen und schließlich ein optimales individuelles Produkt erzeugen.

Die Erklärung von VAE-Modellen zeigt: Die generative KI besitzt eine enorme IT-Tiefe. Und die Komplexität der Anwendungen wird weiter steigen. Entsprechend kommt es für die technischen Unternehmen darauf an, sich so aufzustellen, dass sie bei diesen Themen nicht den Anschluss verlieren. Dafür ist es wichtig, sowohl im Unternehmen selbst KI-Know-how aufzubauen als auch die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern zu verstärken. Denn klar ist: Das Thema generative KI kann ein technisches Unternehmen allein nicht abdecken.

Nur zusammen geht‘s

Wer sich in der Branche umschaut, erkennt, dass die Zahl der Kooperationsprojekte steigt. Ende Februar 2024 zum Beispiel kündigten Bosch und Microsoft eine Kooperation für das Thema generative KI an. Schwerpunkt sei dabei die „Verbesserung automatisierter Fahrfunktionen“ mithilfe der generativen KI, wie es in einer Pressemitteilung von Bosch heißt. „Generative KI ist ein Innovationsbooster und kann die Industrie verändern, ähnlich wie die Erfindung des Computers“, wird Bosch Geschäftsführerin und Chief Digital Officer Dr. Tanja Rückert in der Pressemitteilung zitiert. Ein Treiber der Kooperation für die generative KI sei die Erkenntnis, dass die klassische KI schnell an ihre Grenzen stoße, wenn es darum gehe, Systeme für das automatisierte Fahren zu trainieren: „Aktuelle Fahrerassistenzsysteme können zwar bereits Personen, Tiere, Objekte und Fahrzeuge erkennen, doch schon in naher Zukunft könnten sie mithilfe generativer KI bestimmen, ob in der jeweiligen Situation ein Unfall droht“, heißt es in der Pressemeldung.

Generative KI trainiert Systeme für automatisiertes Fahren auf der Grundlage großer Datenmengen, aus denen verbesserte Erkenntnisse gezogen werden. So ließe sich beispielsweise ableiten, ob es sich bei einem Objekt auf der Fahrbahn um eine Plastiktüte oder beschädigte Fahrzeugteile handelt. „Mit dieser Information kann entweder eine direkte Kommunikation zum Fahrer aufgenommen werden – wie die Einblendung von Warnhinweisen –, oder es können entsprechende Fahrmanöver eingeleitet werden, wie eine Bremsung unter Einschalten des Warnblinkers“, skizziert Bosch in der Pressemitteilung die Möglichkeiten. Dass Microsoft beim Thema Generative KI in Deutschland viel Potenzial sieht, zeigt auch eine Meldung von Ende Februar: Der Konzern investiert in Deutschland drei Milliarden Euro, um das Thema voranzubringen.

Foto: AdobeStock/RH Creative Design
Foto: AdobeStock/RH Creative Design

Hat die Generation Z ein generatives Problem?

Glaubt man dem Stereotyp, stürzt sich die Generation Z in den Unternehmen auf die Zukunftstechnologie KI, während die älteren Mitarbeitenden vorsichtige Skepsis an den Tag legen. Das Ergebnis einer amerikanischen Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young zeigt jedoch ein anderes Ergebnis: 1000 Voll- und Teilzeitbeschäftigte aus den USA nahmen an der Untersuchung teil. Auf die Frage, wer die Technologie am häufigsten im Job einsetzt, gaben 74 Prozent der Millennials (geboren zwischen 1981 und 1996) sowie 70 Prozent der Generation X (geboren zwischen 1965 und 1980) an, dass sie Werkzeuge wie ChatGPT verwendet haben. Der Anteil der Befragten der Generation Z (Jahrgänge 1997 bis 2005) lag lediglich bei 63 Prozent. Woran es liegt? Die Studienautor*innen sind der Ansicht, dass sich die Befragten der Generation Z weniger Nutzen von den KI-Lösungen versprechen, als es bei den älteren Generationen der Fall ist. Die Vermutung: Die Generation Z werde sich umorientieren, sobald sie der Meinung ist, die Technologie bringe sie in ihren beruflichen Feldern wirklich voran.

Weitere Kooperationen entstehen auch, um die großen Herausforderungen der Welt zu meistern. So fanden sich vor gut einem Jahr IBM und die NASA zusammen, um mithilfe von KI-Systemen Basismodelle zu entwickeln, „die es einfacher machen, riesige Datensätze nach neuen Erkenntnissen zu durchsuchen, um die Wissenschaft voranzubringen und uns bei der Anpassung an eine sich verändernde Umwelt zu helfen“, wie es in einer IBM-Pressemitteilung zum Start der Kooperation heißt. „Nicht nur die NASA wird davon profitieren, sondern auch andere Behörden und Organisationen“, wird Rahul Ramachandran, leitender Wissenschaftler am Marshall Space Flight Center der NASA, zitiert. „Wir hoffen, dass diese Modelle Informationen und Wissen für jedermann zugänglicher machen und die Menschen dazu ermutigen, Anwendungen zu entwickeln, die es einfacher machen, unsere Datensätze zu nutzen, um Entdeckungen und Entscheidungen auf der Grundlage der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu treffen.“

Unternehmen brauchen Expertise

Heißt es nun KI für jedermann – oder ist sie Thema für Spezialisten? Mutmaßlich stimmt beides. Wichtig wird sein, dass in den Unternehmen Strukturen geschaffen werden, die von Expert*innen (ob im Unternehmen oder außerhalb) durchschaut und zeitgleich von möglichst vielen Mitarbeitenden genutzt werden können. Was bedeutet, dass die Möglichkeiten der generativen KI weder in einem IT-Silo isoliert werden dürfen noch die Ingenieur*innen in den Unternehmen damit allein gelassen werden. „KI ist kein Thema, das sich auf die IT-Abteilung der Unternehmen beschränkt“, heißt es dazu in der Studie des Fraunhofer IAO. „Grundlegende Kenntnisse und ein allgemeines Verständnis werden in allen Unternehmensbereichen und über alle Unternehmensfunktionen hinweg benötigt.“

Noch liege der Fokus von Qualifizierungsanstrengungen auf der Ebene von operativ tätigen Fachkräften, kritisieren die Autor*innen der Studie: „Führungskräfte und andere Beschäftigungsgruppen werden nicht flächendeckend qualifiziert. Ein Drittel der Betriebe setzt keine Qualifizierungsmaßnahmen im Themenfeld KI um.“ Dies müsse sich ändern: Gefragt sind neben Kooperationen mit anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen „kleinteilige, schnelle und hochgradig praxisrelevante Weiterbildungsangebote, die es Beschäftigten ermöglichen, sich zu KI-Fachkräften weiterzuentwickeln, ohne dass die bisherige Tätigkeit und der operative Unternehmensbetrieb allzu stark beeinträchtigt werden“. Einfacher gesagt als getan? Nicht, wenn insbesondere die junge Generation ihr digitales Know-how und ihre Begeisterung für dieses Zukunftsthema einbringt. Um die eigene Position im Unternehmen zu stärken – und die Dynamik der Implementierung der generativen KI zu erhöhen. Denn wenn diese Technik tatsächlich der erhoffte Innovationsbooster ist, dann wird es schon in naher Zukunft ohne sie nicht mehr gehen.

Kleidungsstücke am Computer anprobieren

Foto: AdobeStock/MicroStock
Foto: AdobeStock/MicroStock

Die Hochschule Hof arbeitet an einem Weg, wie künftig im Online-Shopping viele Rücksendungen eingespart werden könnten und das Einkaufserlebnis damit nachhaltiger wird. Im Projekt „TryOn@Home“ entwickeln die Forschenden einen Online-Demonstrator, mit dem es unter anderem möglich sein wird, neben farblich stimmigen und passend designten Kleidungsstücken auch die individuell passenden Kleidergrößen zu ermitteln. Der Demonstrator wird über eine multimodale Mensch-Maschine-Schnittstelle verfügen. Diese verwendet neben dem Kamerabild der Benutzer*innen auch Bilder der Artikel und Daten wie Artikelabmessungen, Personengrößen und unterschiedliche Posen. Dafür sucht und adaptiert die Forschungsgruppe geeignete Modelle generativer KI, mit denen multimodale Eingabedaten verarbeitet werden können. Anschließend werden die KI-Modelle so trainiert, dass eine realistische Einschätzung der Größe möglich ist. Die im Projekt entstehenden Modelle sollen als Open-Source-Software veröffentlicht werden, damit vor allem kleine und mittlere Unternehmen davon profitieren können.

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