Clever, vernetzt, erfolgreich

Foto: Fotolia/Serg Nvns
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Der Ingenieur der Zukunft ruht sich nicht auf seinem Fachwissen aus, sondern denkt sich auch in die Welt der Informationstechnologie ein. Einsteiger, die in beiden Welten zu Hause sind, werden schon heute händeringend gesucht. Schließlich gibt es für die Unternehmen auf der Schwelle zur vierten industriellen Revolution einiges zu erreichen. Dies zeigt auch das Leitthema der Hannover Messe 2014: Integrated Industry – Next Steps. Von André Boße

Die Zukunft der Produktion sieht so aus: Maschinen kommunizieren untereinander. Sie besitzen die Intelligenz, um zu erkennen, wenn etwas nicht optimal läuft, um dann den Fehler entweder selbst zu beheben oder einem Ingenieur Bescheid zu geben. „Integrated Industry“ ist der Fachbegriff für diese industrielle Weiterentwicklung: Die technischen Systeme werden in die Produktionsplanung integriert. Es gibt keine Teile mehr, die nur noch blind ausführen. Alle Elemente einer Produktion nehmen Informationen auf, verarbeiten sie und geben Rückmeldung. So entsteht ein Internet der Dinge.

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In der Rubrik „News & Trends“ auf der Homepage der Hannover Messe finden sich unter dem Punkt „Integrated Industry – Next Steps“ weitere Informationen zum Thema Industrie 4.0 und ihrer Anwendung in verschiedenen Branchen wie zum Beispiel der Autoindustrie und der Energieversorgung.

Für die Industrie ist diese Weiterentwicklung ein gewaltiger Schritt, denn wenn alle Systeme intelligent und vernetzt sind, lassen sich Produkte effizienter und flexibler herstellen als je zuvor. Man geht daher so weit, diesen Schritt in die „Integrated Industry“ als eine neue industrielle Revolution zu adeln: Für die erste industrielle Revolution sorgten Ende des 18. Jahrhunderts die mechanischen Produktionsanlagen, in der Regel angetrieben von Dampf. Als die Elektrizität Einzug in die Fabriken hielt, sprach man von der zweiten industriellen Revolution; die Automatisierung der Fertigung mithilfe von Elektronik und IT führte zur dritten. Der Schritt hin zu kommunizierenden Maschinen und intelligenten Netzwerken in der Produktion wird nun als die vierte industrielle Revolution bezeichnet.

Der Ingenieur steht im Zentrum
Doch was bedeutet diese Entwicklung für die Ingenieure? Werden sie als Fachkräfte früher oder später nicht mehr gebraucht, weil die Maschinen alles selbst übernehmen, von der Kommunikation über das Produktionskonzept bis zur Reparatur? „Nein“, gibt Peter Post Entwarnung. Der 54 Jahre alte Maschinenbauer leitet seit 2004 die Abteilung Forschung und Technik des Unternehmens Festo, einem weltweit agierenden Spezialisten für Automatisierungstechnik. Mit seinem Team gestaltet der promovierte Ingenieur die intelligenten Fabriken der Zukunft – und sieht dort den Ingenieur weiter im Zentrum: „Der Mensch ist ein integraler und unverzichtbarer Bestandteil der Produktionswelt der Zukunft“, sagt er.

Erstens, weil es nicht so weit kommen werde, dass die Maschinen ausschließlich mit sich selber kommunizieren. „Wir forschen auch an Lösungen, bei denen der Mensch unmittelbar mit der Technik interagiert“, sagt Post. „So wie heute zwei Menschen zusammenarbeiten, muss es zukünftig möglich sein, dass Menschen mit Maschinen kooperieren.“ Zweitens, weil schließlich die Ingenieure dafür verantwortlich sind, die neuen Produktionssysteme der Industrie 4.0 zu konzipieren und umzusetzen.

„Wir brauchen dafür zum Beispiel Maschinen, die in der Lage sind, sensorische Rückmeldungen eines Menschen zu verarbeiten“, erklärt Peter Post die Herausforderung des modernen Maschinenbaus. Solche Feedbacks könnten zum Beispiel Gedanken sein, mit denen sich die Maschinen steuern lassen. Auch müssten die Maschinen die Fähigkeit besitzen, ihre Daten bedienerfreundlich zu visualisieren. Post: „Wir benötigen dafür das Knowhow der Ingenieure. Ihre Innovationskraft wird zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. In Zukunft werden diejenigen Unternehmen erfolgreich sein, die über genügend ausgebildete Fachkräfte verfügen.“

Entscheidend wird dabei sein, dass die Unternehmen ihre Mitarbeiter den Anforderungen der vernetzten Industrie entsprechend weiter qualifizieren. Denn das Berufsbild des Ingenieurs wird sich im Zeitalter der Industrie 4.0 grundlegend wandeln. „Der derzeitige Trend zeigt, dass Ingenieure und Informatiker immer stärker zusammenarbeiten, denn die Industrie-4.0-Szenarien erfordern gleichermaßen das Know-how aus der IT wie aus der Produktion“, sagt Verena Majuntke, Solution Architect bei Bosch Software Innovations, der Tochter des Konzerns, die sich unter anderem auf die Umsetzung der Ideen von Industrie 4.0 fokussiert. Doch diese Kooperation zwischen IT-Experten und Ingenieuren bedeutet nur den ersten Schritt. „In Zukunft wird diese Teambildung aber nicht ausreichen, denn in der Industrie wird bald der Bedarf nach Fachpersonal entstehen, welches das Wissen aus beiden Bereichen mitbringt“, so die Bosch-Expertin. Gefragt sind dann Spezialisten, die beides können: die, so Majuntke, „sich in der Welt des Maschinenbaus auskennen, aber genauso in der Lage sind, in die abstrakte Welt der Modellbildung einzutauchen. Im Idealfall wird ein neues Berufsfeld entstehen, das beide Bereiche vereint.“ Schon heute existieren Plattformen, auf denen Ingenieure und IT-Experten ihr Fachwissen austauschen und gemeinsam an Lösungen arbeiten (siehe Kasten „Academy Cube“).

Die Experten sind sich einig: Schon bald werden die Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen, die sich sowohl auf den klassischen Maschinenbau verstehen als auch fit in Informationstechnik sind. Der Grund für den zu erwartenden Boom dieser Karriere-Ausrichtung liegt auf der Hand: Wer das Internet der Dinge beherrscht, verschafft seinem Unternehmen eine Reihe echter Vorteile. „Für die Produktion bedeuten intelligente Fabriken vor allem mehr Flexibilität und Agilität: Durch den Datenaustausch zwischen Maschinen, Produkten, Werkstücken und Systemen kann die Fabriksteuerung flexibel an sich ändernde Anforderungen angepasst werden“, erläutert Verena Majuntke. Die Unternehmen sind damit in der Lage, je nach aktueller Auftragslage die Produktionsprozesse neu zu konfigurieren, um die Kapazitäten und Ressourcen optimal zu verteilen. Dadurch wird sogar die Produktion kleiner Stückzahlen effizient, weil die vernetzte Produktion schnell und unkompliziert Anpassungen an individuelle Kundenwünsche vornehmen kann. Für Maschinenbauer, aber auch für Autobauer bedeutet das: Es gibt kaum noch Standardmodelle, jedes Produkt wird zum Einzelstück. Und auch andere Abteilungen profitieren von der intelligenten Produktion: Je flexibler die Prozesse sind, desto mehr Freiräume ergeben sich auch für den Einkauf und die Logistik, wodurch zum Beispiel hohe Lager- und Transportkosten vermieden werden. Zudem lässt sich der Energieverbrauch der Produktion leichter steuern, da das Internet der Dinge erkennt, wenn irgendwo unnötig Energie verbraucht wird. Die Folge: Unternehmen können nachhaltiger produzieren – und damit die zunehmende Anzahl an Kunden bedienen, die darauf gesteigerten Wert legt.

Academy Cube

Die europaweite E-Learning-Plattform Academy Cube fördert die interdisziplinäre Ausbildung von Ingenieuren und gibt ihnen wichtiges Know-how für Entwicklungen im Bereich Industrie 4.0 an die Hand. Besonders interessant für Einsteiger mit kleinem Weiterbildungsbudget: Die Plattform bietet (in englischer Sprache) eine Reihe Kurse und Curricula kostenlos an, zum Beispiel zu Themen wie ITbasiertes Prozessmanagement oder Produktionsoptimierung. Betrieben wird Academy Cube von öffentlichen Einrichtungen und internationalen Unternehmen – und ist damit ein Beispiel dafür, wie beim Thema Industrie 4.0 diverse Akteure an einem Strang ziehen.
www.academy-cube.eu

Fachwissen muss sich vernetzen
Bei allem Fokus auf die technische Aus- und Weiterbildung: Industrie 4.0 ist ein Thema, das auch in die Unternehmens- und Führungskultur hineingreift. Schließlich handelt es sich um eine Revolution – und Revolutionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie lang gelebte Traditionen über den Haufen werfen und von allen Beteiligten neues Denken einfordern. Regina Köhler ist Inhaberin der Unternehmensberatung Avilox und geht der Frage nach, wie sich Unternehmen in ihrer Organisation ändern müssen, um neue technische Prozesse zu unterstützten statt zu bremsen. Ihre Forderung: Wenn sich die Produktion vernetzt, muss sich auch das Unternehmen vernetzen. „Heute trifft man in Unternehmen noch vielfach Verhaltensweisen wie Bereichs- und Machtdenken, eine Fehler-Unkultur oder autoritäres Führen an. Aber auf diese Art können Sie keine komplexen, sich ständig verändernden Fragestellungen lösen.“ Regina Köhler hält daher den Wandel hin zu einer „Kultur des Teilens von Wissen und des Vernetzens“ für eine zwingende Voraussetzung, um die Chancen von Industrie 4.0 zu nutzen. Es komme entscheidend darauf an, dass die Mitarbeiter miteinander denken und lernen. Ihr Tipp für junge Ingenieure: Leben die Führungskräfte dieses kooperative Arbeiten noch nicht vor, sollten Einsteiger mutig mit gutem Beispiel vorangehen. „Ich kann mir vorstellen, dass diese Vernetzung dann sogar den Druck erzeugt, dass die Führungskultur sich wandelt und das Unternehmen somit offener sowie transparenter wird.“

Wobei Transparenz hier auch bedeutet, dass das Internet der Dinge kein Hexenwerk sein darf, das nur von wenigen Experten verstanden wird. „Industrie 4.0 wird nur dann einen großen Nutzen generieren, wenn die Prozesse beherrschbar und sicher sind“, sagt Regina Köhler. Wer als Ingenieur Innovationen im Bereich der Vernetzungen von Maschinen und der Kommunikation zwischen Maschinen und Menschen entwickelt oder im Unternehmen umsetzt, müsse immer im Blick haben, dass die Technik beherrschbar bleibe. „Sonst“, so Köhler, „werden Unternehmen nicht bereit sein, sich für die Chancen der Industrie 4.0 zu öffnen.“ Ingenieure sollten bei der Forschung und Entwicklung daher von Beginn an die späteren Anwender mit einbeziehen. Denn was nützt es, wenn die Maschinen zwar intelligent, aber kaum bedienbar sind?

futureTex: Revolution in der Textilbranche

Während derzeit noch die Autoindustrie die Vorreiterrolle bei der Industrie 4.0 einnimmt, beweist eine andere deutsche Traditionsbranche, wie offene Forschung und Entwicklung funktionieren kann: Das Projekt futureTEX bereitet die Textilbranche auf die Chancen und Herausforderungen der vierten industriellen Revolution vor. Fast 150 Partner, darunter rund 100 Unternehmen, forschen gemeinsam nach neuen Materialien, vernetzten Produktionsprozessen sowie textilen Zukunftsprodukten wie intelligenten Kleidungsstücken mit integrierten Chips oder neuen Technologien, um Markenpiraterie zu verhindern.
Weitere Infos gibt es beim Sächsischen Textilforschungsinstitut.