Brauchen Ingenieure Ethik?

Foto: Fotolia/ra2 studio
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Oftmals müssen Entwickler von Technik aufgrund unvollständigen Wissens entscheiden und können dann Nebenfolgen kaum oder gar nicht abschätzen. In seinem Gastartikel geht Prof. Dr. Klaus Kornwachs den Fragen nach, ob Ingenieure auch für unabsehbare Nebenfolgen ihrer Produkte verantwortlich sind und ob man Nichtwissen moralisieren kann. Von Prof. Dr. phil. habil. Dipl. Phys. Klaus Kornwachs, Universität Ulm und Deutsche Akademie für Technikwissenschaften, München

Zur Person

Prof. Dr. Klaus Kornwachs hat Physik und Philosophie studiert und in Philosophie promoviert. Er war viele Jahre am Fraunhofer-Institut tätig und nahm Lehraufträge wahr. Nach seiner Habilitation in Philosophie lehrte er in Ulm und Cottbus. Er ist Gründer der Deutschen Gesellschaft für Systemforschung und ehemaliger Leiter des Bereichs „Gesellschaft und Technik“ des VDI. Mittlerweile ist er als Inhaber seines „Büros für Kultur und Technik“ vorwiegend publizistisch und beratend tätig. Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher Fachbücher und Veröffentlichungen und gefragter Vortragsredner.

Entscheidungen über technische Entwicklungen werden heute nicht mehr von einzelnen Ingenieuren, sondern von Teams, Gremien und Ausschüssen getroffen. Dies gilt auch für die Festlegung von Grenzwerten und Richtlinien. Dann stellt sich irgendwann später heraus, dass man eine Nebenfolge eines Produkts – man denke an die Giftigkeit des Pflanzenschutzmittels DDT oder an die Wirkung von FCKW als Kühlmittel – übersehen hatte. Wer ist nun für diese Nebenfolge verantwortlich, die Schaden und Kosten verursacht? Das einzelne Mitglied der Entwicklergruppe oder des Entscheidungsgremiums, das Gremium, die Herstellerfirma oder gar die Politik?

Ingenieure können schnell in ein Dilemma geraten, gerade dann, wenn sie sich an einer entsprechenden Scharnierstelle im Entwicklungsprozess oder im Prozessmanagement befinden. Beteiligen sie sich an Arbeiten und Projekten, die ihren eigenen ethischen Maßstäben und moralischen Überzeugungen nicht genügen (Militärtechnik, Missachtung von Umwelterfordernissen, Verletzung der Privatsphäre werden hier häufig genannt) oder lehnen sie dies ab und gefährden durch ihre Haltung ihre Karriere?

Ein klassisches Beispiel stellt die Warnung des damals jungen Ingenieurs Roger Boisjoly dar, die dem Challenger-Unglück im Januar 1986 voranging. Es ging um mögliche Materialfehler an Dichtungsringen bei niedrigen Temperaturen. Das Management soll geantwortet haben: „Take off your engineering hat and put on your management hat!“ Heute weiß man, dass die politisch Verantwortlichen den Start unbedingt durchführen wollten. Das Ergebnis ist bekannt. In der Ethik nennen wir das den Konflikt zwischen einer allgemeinen moralischen Verantwortung und einer Rollenverantwortung, zum Beispiel als Ingenieur und Mitarbeiter einer Firma oder Behörde, die einen gewissen Loyalitätsanspruch haben.

Wer in einen solchen Konflikt gerät braucht zweierlei: Die Kompetenz, seine eigene Verantwortlichkeit im Lichte der eigenen moralischen Maßstäbe zu prüfen. Dazu bedarf es einer gewissen ethischen Urteilskraft, das heißt der Fähigkeit, seine eigenen moralischen Urteile auch begründen zu können. Dazu ist auch das Wissen nützlich, das Fachleute über solche Fragen erarbeitet haben. Diese Fachleute für Ethik kommen aus der Philosophie.

Und etwas zweites ist notwendig: Wer in einen solchen Konflikt gerät, braucht Unterstützung von außen. Ethische Leitlinien zur Ingenieursverantwortung, wie sie beispielsweise der VDI entwickelt hat, empfehlen zwar die Bildung geeigneter Einrichtungen, an die man sich in berufsmoralischen Konfliktfällen wenden könnte. Aber solche Einrichtungen eines Ombudsmanns gibt es, wenn überhaupt, nur selten.

Buchtipp

Philosophie für Ingenieure
Philosophie für Ingenieure

Klaus Kornwachs: Philosophie für Ingenieure. Hanser 2015. 24,99 Euro. Auch als E-Book, 19,99 Euro.

Bleibt also die Entwicklung einer eigenen Beurteilungskompetenz. Gut ist, wenn man im Rahmen seines Ingenieurstudiums auf das Angebot des fachübergreifenden Studiums zurückgreifen kann, das an den meisten Universitäten und Hochschulen auch Fragen der Ethik und der moralischen Beurteilung von Technik und Technikfolgen behandelt. Doch wie steht es um die Verantwortung?

Sicher stellt es eine moralische Überforderung des einzelnen Mitarbeiters dar, die Folgen und Nebenfolgen einer technischen Entwicklung, an der Firmenkonsortien, Konzerne und Labore aus aller Welt beteiligt sind, aufgrund seines Beitrages hierzu zu verantworten. Gleichwohl kann ein Nachdenken ja nicht schaden. Ebenso, wie man selbst nicht in eine dilemmatische Situation, also eine Zwickmühle geführt werden möchte, sollte man dies auch bei anderen zu vermeiden versuchen. Deshalb könnte ein guter Ausgangspunkt für eigene Überlegungen der folgende Vorschlag sein:

Eine Technik sollte so entwickelt und genutzt werden können, dass weder Nutzer noch Entsorger in eine Zwickmühle geraten. Anders ausgedrückt: Wir sollten Technik so gestalten, dass wir es jedem ermöglichen, mit dieser Technik verantwortungsvoll zu handeln.