„Auftanken auch im Job“

Interview mit Brigitte Pajonk

Foto: Fotolia/Couperfield
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Leistung bringen, ohne sich zu verausgaben? Für Brigitte Pajonk ist das kein Widerspruch. Warum es gerade für Einsteiger wichtig ist, früh ein Experte für Energiemanagement zu werden, erklärt die Leiterin des Instituts für Work-Life-Balance im Interview mit André Boße.

Zur Person:

Brigitte Pajonk, Foto: Pajonk
Brigitte Pajonk, Foto: Pajonk

Brigitte Pajonk studierte bis zum ersten Staatsexamen auf Lehramt und absolvierte dann eine Coachingausbildung. Sie arbeitete zunächst als Trainerin und Beraterin für das Personalentwicklungsunternehmen Train, bevor sie sich als Coach selbstständig machte und im Jahr 2000 das Institut für Work-Life-Balance mit Sitz in Starnberg gründete. Dort bietet sie mit ihrem Team branchenübergreifend Seminare, Workshops und Einzelcoachings für Unternehmen und Konzerne wie Bosch, Siemens oder Ergo an.

Frau Pajonk, Sie haben Ihr Institut für Work-Life-Balance im Jahr 2000 gegründet. Welcher Trend gab damals den Ausschlag?
Um die Jahrtausendwende beobachteten wir eine Generation junger Menschen, die sich sagten: Wenn ich zwischen mehreren Arbeitgebern wählen kann, dann gehe ich nicht automatisch zu dem, der mir das beste Gehalt oder den schnellsten Weg nach oben bietet, sondern die meiste Lebensqualität am Arbeitsplatz.

Ein echter Paradigmenwechsel?
Ja, und viele Unternehmen haben dieses Signal auch sofort verstanden. Diese schnelle Reaktion war aber auch notwendig, denn zeitgleich begann in vielen Branchen der „War for Talents“, also der Wettbewerb um die besonders talentierten Absolventen. Heute begreifen die besten Arbeitgeber ihre Angebote zur Work-Life-Balance als gute Möglichkeit, um sich von anderen Unternehmen zu unterscheiden und im Wettbewerb um den talentierten Nachwuchs die Nase vorn zu haben.

Was ist denn der Grund dafür, dass das Thema Work-Life-Balance plötzlich einen so hohen Stellenwert besitzt?
Dass Absolventen in ihrem Innersten nicht ausschließlich daran interessiert sind, viel Geld zu verdienen, ist kein neues Phänomen. Der amerikanische Organisationspsychologe Edgar Schein hat schon in den 70er- Jahren durch Interviews mit Abgängern einer Elite-Universität in Boston festgestellt, dass die Absolventen immer auch dauerhafte Wertvorstellungen in ihre Karriereplanung einbeziehen. Er hat diese Werte „Karriereanker“ genannt – ein treffender Begriff, weil es einen Menschen im Verlauf seiner Laufbahn tatsächlich immer wieder zu seinen inneren Werten zurückführt. Entfernt man sich immer wieder von diesen Ankern, wird das Zurückrudern schnell sehr mühsam. Es entsteht Unzufriedenheit. Das gute Gehalt ist nur noch eine Art Schmerzensgeld, oft ist der Burnout nicht fern.

Wie unterscheiden sich die verschiedenen Karriereanker untereinander?
Im Laufe seiner Studie hat Edgar Schein zunächst sieben Karriereanker definiert. Das geht von „Sicherheit und Stabilität“ über „Unternehmerische Kreativität“ bis zur „Totalen Herausforderung“. Heute sehen wir, dass zunehmend ein achter Karriereanker in den Vordergrund rückt, den Schein zunächst gar nicht auf dem Schirm hatte, nämlich die Lebensstil-Integration – also der Wunsch, Arbeits- und Privatleben unter einen Hut zu bekommen.

Wer oder was hat diesen Wandel vorangetrieben?
Eine große Rolle spielen die Frauen, die heute selbstverständlich genauso berufstätig sind wie die Männer. Dadurch hat sich das Steinzeitmodell erledigt, nach dem allein der Mann zur Arbeit geht, dort viel Energie lässt, um dann zu Hause von der Frau wieder aufgepäppelt zu werden. Heute dagegen ergibt sich für Männer und Frauen gleichberechtigt neben der beruflichen Arbeit noch eine weitere verpflichtende Zeit in der Familie. Und damit diese Rechnung aufgehen kann, muss im Beruf Raum für Lebensqualität sein. Nur so kann das Energiemanagement funktionieren.

Was bedeutet Energiemanagement genau?
Nehmen wir den Tank eines Autos. Ist er voll, kann der Fahrer guten Gewissens Vollgas geben. Um schnell ein Ziel zu erreichen. Um volle Leistung zu bringen. Läuft das Auto aber schon auf Reserve und gibt der Fahrer Vollgas, endet die Fahrt schnell auf dem Seitenstreifen. Übertragen auf die Karriere muss die Frage lauten: Wie kann es gelingen, bei der Arbeit sowohl Leistung zu erbringen als auch parallel aufzutanken?

Klingt wie ein Widerspruch.
Darf aber keiner sein. Die Vorstellung, dass das Arbeitsleben eine mühsame Plage für die Männer ist, von der sie sich am Feierabend erholen müssen, ist überholt. In diese Steinzeit will keiner zurück. Übrigens auch die männlichen Young Professionals nicht, denn die haben unter ihren abwesenden Vätern gelitten und möchten es selber anders machen.

Was kann denn ein Einsteiger dafür tun, um sein Energiemanagement zu optimieren?
Er muss sich früh in der Karriere die Frage stellen, welche Aspekte des Berufs ihm Energie rauben und welche ihm wiederum Energie geben. Er muss dafür in die Tiefe bohren, um schließlich herauszufinden, welche Aufgaben und Situationen an den Reserven zehren – wobei ich als Einsteiger heute durchaus den Anspruch erheben darf, dass auch meine Führungskraft ein Gespür für mein Energiemanagement besitzt. Moderne Führung bedeutet, zu wissen, welche Karriereanker den jeweiligen Mitarbeitern wichtig sind – und ihnen dementsprechend individuelle Möglichkeiten zu bieten.

Und was kann man tun, wenn die Führungskraft in dieser Hinsicht wenig Sensibilität beweist?
Meckern und Schmollen ist eine ausschließlich negative Reaktion und hilft wenig. Stattdessen benötigt man die emotionale Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit, um bei der Rückmeldung an die Führungskraft auch die Themen und Aufgabenfelder anzusprechen, von denen man glaubt, dass sie dem Energiehaushalt guttun. Damit zeigt man seinem Vorgesetzten, dass man sich nicht drücken will, sondern zur Leistung bereit ist – was ja übrigens nur menschlich ist, denn unser Gehirn kann gar nicht anders, als uns jeden Tag anzuspornen, unser Bestes zu geben. Unser Motor läuft also. Wir müssen nur aufpassen, dass uns niemand so viel Energie raubt, dass wir ihn abwürgen.

Literaturtipp: Konzepte der Work-Life-Balance

Es gibt ein reichhaltiges Angebot an Büchern zum Thema Work-Life-Balance – darunter sogar „Crashkurse“, die der Idee, auch mal innezuhalten, eher widersprechen. Empfehlenswert ist das Buch „Work-Life-Balance“ der Autorinnen Annelen Collatz und Karin Gudat. Sie beleuchten diverse Konzepte der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und setzen dabei nicht auf flotte To-do-Listen, sondern geben den unterschiedlichen Ansätzen genügend Raum. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf High Potentials und dem Führungsnachwuchs: Leistungsbereite Einsteiger erhalten konkrete Tipps, wie es gelingen kann, ohne negative Folgen für die Karriere eine gute Work-Life-Balance zu erreichen.
Annelen Collatz, Karin Gudat: Work-Life-Balance
Hogrefe 2011. ISBN 978-3801723262. 24,95 Euro.