„Transparenz ist enorm wichtig“

Interview mit Frank Wierlemann

Frank Wierlemann, Foto: Inverto
Frank Wierlemann, Foto: Inverto

Frank Wierlemann ist Gründer und Vorstand von Inverto, einem Consulting-Unternehmen, das seine Kunden aus dem Handel zu Themen wie Einkauf und Supply Chain berät. Ein Gespräch über die Bedeutung der Ethik im Handel und die Anforderungen an Nachwuchskräfte, die mit diesen Themen punkten möchten. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Frank Wierlemann, Jahrgang 1964, hat BWL in Köln und Wuppertal studiert. Nach dem Karriereeinstieg in einer Unternehmensberatung war er in einem Handelskonzern im Inhouse Consulting tätig, bevor er nach einem erfolgreichen Projekt zum Thema Einkauf und Supply Chain dort zum Einkaufsleiter aufstieg. Seine Erfahrungen als Unternehmensberater und im Einkauf hat er kombiniert und im Juli 2000 zusammen mit zwei Partnern die Kölner Unternehmensberatung Inverto gegründet. Dort ist Frank Wierlemann als Partner und Vorstand Spezialist für die Bereiche Handel, Konsumgüter und Pharmaindustrie. Er berät mittelständische Unternehmen und Konzerne in allen Fragen des Sourcing- und Supply-Management.

Herr Wierlemann, sehen Sie bei den Handelsunternehmen, die Sie beraten, einen Trend hin zum ethischen Einkauf?
Es gibt heute eigentlich keinen Kunden im Handel mehr, der einen möglichst niedrigen Preis als allein glücklich machenden Faktor betrachtet. Die Unternehmen möchten eine transparente Wertschöpfung. Sie möchten wissen, wo die Waren herkommen, die sie verkaufen, und wie sie verarbeitet wurden. Außerdem trifft der Händler verstärkt nachhaltige Lieferantenentscheidungen. Er schaut nicht mehr darauf, wer ihn jeweils am schnellsten und günstigsten beliefern kann, sondern achtet auf ein möglichst langfristiges Vertrauensverhältnis.

Gilt dieser Trend global? Also auch in den Schwellenländern, in denen es sich günstiger als in Westeuropa produzieren lässt?
Die Forderungen nach sozialer und ökologischer Verträglichkeit werden über Standards wie Siegel und Zertifizierungen sowie über eigene Audits, die deutsche Unternehmen in Eigenregie durchführen, auch in die Produktionsländer außerhalb Europas übertragen. Für einen Lieferanten in Asien ist es dann zum Beispiel ein Muss, diese Standards auch zu erfüllen – selbst wenn in seinem Land eigentlich andere soziale und ökologische Maßstäbe gelten.

Die ethischen Ansprüche der Konsumenten steigen. Wie kann es einem Nachwuchsmanager im Handel gelingen, diesen gerecht zu werden?
Die Situation ist ja die, dass der Kunde beides haben möchte: Auf der einen Seite sollen die Produkte sozial und ökologisch verträglich sein, auf der anderen Seite sind die Kunden aber kaum bereit, höhere Preise dafür zu bezahlen. Somit liegen die Grenzen der Verträglichkeit bei der Zahlungsbereitschaft des Kunden – und diese wird langfristig auch aus ökonomischer Sicht überzogene Forderungen regulieren. Ein Beispiel, um es konkret zu machen: In der Nestlé-Ernährungsstudie 2011 gaben rund zwei Drittel der Befragten an, dass sie Produkte fordern, die ohne Kinderarbeit hergestellt werden. Aus dieser Gruppe waren dann jedoch nur 30 Prozent bereit, für diese Produkte auch mehr zu bezahlen. Ähnliches lässt sich auch in anderen Bereichen, wie etwa Textil, beobachten.

Auf welche Haltungen zu den Themen Transparenz, Ethik und Ökologie trifft eine Nachwuchskraft in den Handelsunternehmen?
Die meisten Unternehmen haben sich zumindest grundsätzlich mit diesen Themen auseinandergesetzt. Ein durch Zertifikate belegtes Mindestmaß an ethischen und ökologischen Standards fordert gerade in der Beschaffung heute fast jedes Unternehmen von seinen Lieferanten – schon allein um selber sozial und ethisch nicht angreifbar zu sein. Darüber hinaus hängt die Reaktion auf diese Themen stark von dem Selbstverständnis des Unternehmens ab. Ein Unternehmen, das sich über Qualität und Nachhaltigkeit von seinen Wettbewerbern abgrenzt, nimmt diese Themen eher als Chance wahr, als ein Unternehmen, das sich über den Preis im Markt positioniert.

Wie wird sich der Handel in den kommenden Jahren mit Blick auf die Transparenz entwickeln? Es ist ja technisch möglich, den Weg eines Produktes digital zu dokumentierten.
Diese technischen Möglichkeiten werden heute im Lebensmitteleinzelhandel schon weitreichend genutzt. Hier kann der Konsument zum Beispiel über die Etikettierung bei Eiern oder Rindfleisch ganz genau die Herkunft nachvollziehen. Aus Beschaffungssicht ist Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette enorm wichtig, gerade im Hinblick auf ökologische und soziale Aspekte. In Asien kommt es beispielsweise nicht selten vor, dass ein Textillieferant mit zahlreichen Unterlieferanten arbeitet. Es ist dann nicht ganz einfach nachzuvollziehen, ob tatsächlich auch das letzte Glied in der Kette gemäß den gewünschten ethischen Standards produziert.

Welche Eigenschaften benötigt man, um als Manager oder Berater eine Kompetenz zum ethischen Handel zu entwickeln?
Man sollte generell neugierig und interessiert sein. Gerade mit Blick auf ethische Fragen ist Detailwissen gefragt. Als Handelsexperte oder umsetzungsorientierter Berater sollte man sich tief in ein Thema einarbeiten, um wirklich alle Facetten und Konsequenzen zu überblicken – wobei insbesondere ökologische und soziale Themen oft zwei Seiten haben. Ein Beispiel: Für Tragetaschen aus Maisstärke wird beispielsweise kein Rohöl benötigt, was zunächst einmal ökologisch sinnvoll ist. Dafür geht jedoch der Mais, der zuvor als Grundnahrungsmittel in einem Schwellenland diente, nun in die Tütenproduktion ein – und ist für die Menschen dort plötzlich nicht mehr bezahlbar. Entscheidend ist, dass der Berater seinem Kunden diese möglichen Konsequenzen aufzeigt und dass sich Handelsmanager diesen Konsequenzen bewusst sind, bevor sie sich für ein Produkt wie die Tragetasche aus Maisstärke entscheiden.