Besser so! Weiter so!

Photo by Lindsey LaMont on Unsplash
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Die Frauen steigen auf – und zwar manchmal anders als gedacht. Als Aktivistinnen starten sie Bewegungen, im Management machen sie Unternehmen kreativer, attraktiver, innovativer. Wer sich der Gender-Vielfalt heute noch entgegengestellt, verhindert eine positive Entwicklung – und wird schon bald vom Markt und vom Kunden dafür abgestraft. Von André Boße

„Frauen, steigt auf!“ – so stand es auf dem Titelbild des karriereführer frauen in führungspositionen vor knapp zehn Jahren. Was seitdem passiert ist? Nun ja, die Kanzlerin ist noch immer Kanzlerin (zumindest bei Redaktionsschluss). Und auch weiterhin dürfen Frauen in der katholischen Kirche keine Priesterweihe empfangen. Aber das war es dann auch schon mit den Dingen, die sich nicht gewandelt haben. An vielen anderen Stellen hingegen gab es in der vergangenen Dekade eine Menge Veränderungen.

Pionierinnen durchbrechen Mauern

Manchmal reden wir dabei von einzelnen Frauen, die eine sehr dicke Mauer durchbrochen haben. Fangen wir beim Fußball an, die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus leitet seit September 2017 als erste Frau und absolut tadellos Bundesligaspiele, Imke Wübbenhorst stieg Anfang 2019 als Trainerin bei einer höherklassigen Männermannschaft ein, Dagmar Baumgärtner ist seit 2015 Präsidentin des fünftklassigen Fußballklubs VFC Plauen. Diese Frauen sind drei Pionierinnen unter vielen – und weitere werden folgen. Wie negativ es mittlerweile auffällt, wenn geschlechtliche Diversität ignoriert wird, bekam Fritz Keller Präsident des Deutschen Fußballbundes DFB, Ende Februar zu spüren: Im Aktuellen Sportstudio zeigte ihm die Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein ein Foto des aktuellen DFB-Vorstandes: 17 Männer, eine Frau, Silke Raml, zuständig für Frauen- und Mädchenfußball. „Das wird sich ändern“, stammelte Keller verlegen. Hoffentlich. Er wird sich daran messen lassen müssen. Denn dieses Vorstandsbild mit den vielen grauen Anzügen wirkte so zeitgemäß wie ein Telefon mit Wählscheibe.

Frau verdient mehr als Mann? Geht auch!

Und noch eine Premiere: Jennifer Morgan ist seit 2019 Co-CEO von SAP und damit die erste Frau, die ein DAX-Unternehmen leitet. Morgan übernimmt die Position als Teil einer Doppelspitze zusammen mit Christian Klein, interessant hierbei: Jennifer Morgan verdient etwas mehr als ihr männlicher Vorstandskollege. Das hat zwar nichts mit einem umgedrehten Gender-Gap zu tun, sondern mit anderen Versorgungszahlungen, dennoch: Die Nachricht, dass eine Co-Chefin mehr verdient als der Co-Chef, ist in der Welt und zeigt: So geht es auch.

Führungs-Frauen-Floskel-Bingo

Männer, die ihre Domänen verteidigen, tun das häufig mit Floskeln. Die AllBright-Stiftung hat die meistgehörten in einen Führungs-Frauen-Floskel-Bingo zusammengestellt, zusammen mit dem Ratschlag: „Ergeben seine Antworten eine ganze Bingo-Reihe, sollten Sie sich unbedingt nach einem anderen Arbeitgeber umsehen – egal, ob Sie ein Mann sind oder eine Frau“. Einige der Floskeln lauten: „Dieser Gender-Hype wird sich auch wieder legen“, „Frauen sind eben keine guten Netzwerker“, „Bei uns spielt das Geschlecht keine Rolle, was zählt ist die Qualifikation“, „Dass Frauen im Unternehmen diskriminiert werden, habe ich noch nie erlebt“.

www.allbright-stiftung.de/bingo

Bemerkenswert ist auch, wie selbstverständlich bei der letztjährigen strategischen Personalverschiebung auf den mächtigsten politischen Posten in Europa die Frauen auf besondere Positionen gekommen sind. Ursula von der Leyen leitet die EU-Kommission, Christine Lagarde die Europäische Zentralbank (EZB), Teil des neuen Direktoriums der EZB ist seit Anfang 2020 Isabel Schnabel, das zentrale Ressort „Marktoperationen“ hat sie von ihrer Vorgängerin Sabine Lautenschläger übernommen: Das zeigt, dass es Kernbereiche in ehemaligen Männerdomänen (und das Zentralbankgeschäft war eine solche) gibt, die heute fortlaufend von weiblichen Verantwortlichen besetzt werden.

Aktivistinnen bewegen die Welt

Grundlegend ist darüber hinaus ein Phänomen, das derzeit abseits der Chefsessel und Machtpositionen zu beobachten ist: Die junge Generation stellt die Art, wie gesellschaftliche, ökonomische und politische Debatten geführt werden, auf den Kopf. Besonders beim Thema Klimawandel. Initiiert und geführt werden diese Bewegungen von jungen Frauen, von Greta Thunberg und ihrer „Fridays for Future“-Bewegung, in Deutschland von der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer. Und eine besonders eindrucksvolle Stimme bei der Schwester-Bewegung „Scientists for Future“ ist die promovierte Chemikerin, YouTuberin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Moment – ist es um sie nicht zuletzt ein bisschen ruhig geworden? Ja, stimmt. Mai-Thi ist nämlich zum ersten Mal Mutter geworden. Deshalb hat sie auf auch auf YouTube eine Pause eingelegt – will aber selbstverständlich bald wieder einsteigen, und zwar ohne Angst, in der Zwischenzeit an Followern oder Relevanz verloren zu haben.

Ein weiterer Name, der zuletzt die Welt bewegt hat: Alexandria Ocasio-Cortez von der amerikanischen Demokratischen Partei, 30 Jahre alt, Kurzform: AOC. Als junge Politikerin hat sie im Kongress gehörig Wind gegen die Politik und das Gehabe des Präsidenten gemacht, in die Partei kam sie als Quereinsteigerin, die nicht brav den quälenden Weg durch die Gremien ging, sondern – ganz im Sinne der Aktivistinnen – über ihr Engagement nach oben kam. Gläserne Decken in der US-Politik? Gibt es viele. Aber AOC hatte genügend Wucht und Inhalte, um sie zu umgehen. Und wenn sie Gegenwind spürt, weil ihre direkte und unkonventionelle Art, politisch zu kommunizieren, provoziert?  Reagiert sie auf Twitter sehr souverän und abgeklärt. Nicht einmal Facebook-Chef Mark Zuckerberg konnte da mithalten: Bei dessen Anhörung im US-Kongress brachte AOC ihn im Herbst 2019 gehörig ins Schwitzen, sie unterbrach ihn, wenn er zu schwafeln begann, fragte scharf nach, wenn es nötig war.

Junge Generation erwartet Diversität

„Mächtig weiblich“ lautete die Überschrift eines Dossiers des Handelsblatts, das mit Blick zurück auf 2019 das „Jahr der Frauen“ ausgerufen hatte. Schon ein paar Wochen zuvor hatten sich im Handelsblatt Wiebke Andersen und Christian Berg, Geschäftsführer der AllBright-Stiftung, in einem Gastbeitrag für mehr Diversität in den Führungspositionen der Unternehmen eingesetzt. „Die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland hat sich verändert“, schrieben die beiden, „vor allem die junge Generation erwartet heute, dass Unternehmen für Chancengleichheit und Diversität ebenso Sorge tragen wie für Nachhaltigkeit.

Kreativer, innovativer, attraktiver

Eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO aus dem Jahr 2019 belegt, in wie vielen Bereichen Frauen in Führungspositionen einem Unternehmen helfen. Mehr als 57 Prozent der 12.000 global befragten Unternehmen bestätigten, dass Gender Diversity die Business Performance verbessert. Rund zwei Drittel der Unternehmen, die über ein aktives Monitoring-System für Geschlechtervielfalt in Führungspositionen verfügen, konnte die Gewinne steigern- Fast 57 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, eine Verbesserung bei der Akquise und Unternehmensbindung von Fachkräften zu verzeichnen. Mehr als 54 Prozent berichteten über firmeninterne Performancesteigerungen in den Bereichen Kreativität, Innovation und unternehmerischer Offenheit. Zugleich verbessere sich laut Selbsteinschätzung die Außenwirkung des Unternehmens.

www.ilo.org

Frauen im Topmanagement gelten als gute Indikatoren für die Veränderungsfähigkeit von Unternehmen und für eine gesunde Unternehmenskultur. Das zieht junge Talente an, Männer wie Frauen. An Führungsteams festzuhalten, die nur aus mittelalten männlichen Wirtschaftswissenschaftlern aus Westdeutschland bestehen, ist keine zukunftsfähige Strategie.“ Die Veränderung komme spät in Deutschland, aber sie komme unaufhaltsam – und sie werde nun Fahrt aufnehmen: „Die hervorragend ausgebildeten Frauen sind da, Gelegenheit für Neubesetzungen gibt es reichlich. Mit einer einfachen Alibi-Frau im Vorstand wird es bald nicht mehr getan sein.“

Frauen fördern? Befördern wäre besser!

Drei Parteien können laut Wiebke Andersen und Christian Berg einen Beitrag dazu leisten –wobei die Frauen selbst dabei nicht genannt werden. Denn dass die Frauen es können und wollen – das stehe außer Frage. Im Fokus stehen daher vielmehr erstens die Unternehmen, die Frauen in der Führung weniger als Problem, mehr als Chance und ungenutztes Potential betrachten sollten. Der Appell: „Aufhören, Frauen immer nur zu fördern, um sie stattdessen einfach zu befördern.“ Zweitens verlangen Andersen und Berg von der Politik, konsequent die Weichen zu stellen, zum Beispiel, indem sie das Ehegattensplitting in seiner jetzigen Form abschaffe, zusätzliche „Vätermonate“ beim Elterngeld einführe und im Öffentlichen Dienst „vorbildhaft einen Frauenanteil von 40 Prozent in den Führungspositionen durchsetzt“. Der dritte und vielleicht schlagkräftigste Bereich sei die „kritische Öffentlichkeit, die ihre Macht nutzt, Chancengleichheit in den Unternehmen einfordert und ihre Arbeitsplatzwahl und ihr Konsumverhalten daran ausrichtet, wie es beispielsweise schon bei Nachhaltigkeit geschehen ist“.

Diversitäts-Siegel auf Produkten

Wer heute bewusst nachhaltig konsumieren möchte, achtet beim Einkauf auf die diversen Siegel und Zertifizierungen. Folgt man dem Gedanken von Wiebke Andersen und Christian Berg, wären für Produkte und Dienstleistungen auch „Diversität“-Zertifikate denkbar, als Kennzeichen dafür, dass hinter der Entwicklung und Produktion eines Produkts oder einer Dienstleistung Vielfalt steckt. Dieses Siegel sollte aber nicht dazu dienen, das Gewissen des Konsumenten zu beruhigen. Diversität ist schließlich ein Wert, der direkt auf die Qualität einwirkt. Weil nämlich eine Vielfalt der Beteiligten zu einer Vielfalt der Perspektiven führt – und diese dafür sorgt, dass das Resultat robuster und durchdachter ist. Das ist keine These, sondern wird durch Studien belegt.

„Delivering Through Diversity“ ist der Titel einer internationalen McKinsey-Untersuchung, die sich auf ein simples Ergebnis herunterbrechen lässt: „Je diverser, desto erfolgreicher“. Unternehmen, die sich durch einen hohen Grad an Diversität auszeichneten, hätten eine größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Besonders groß sei dieser Zusammenhang beim Frauenanteil im Topmanagement – also im Vorstand plus zwei bis drei Ebenen darunter. „Unternehmen, die hier besonders gut abschneiden, haben eine 21 Prozent größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein“, heißt es in der Studie. In Deutschland sei der Effekt besonders deutlich: Bei deutschen Unternehmen mit einem hohen Anteil weiblicher Führungskräfte im Topmanagement verdoppele sich die Wahrscheinlichkeit eines überdurchschnittlichen Geschäftserfolgs sogar.

„Der Zusammenhang zwischen Vielfalt im Management und Geschäftserfolg ist real“, kommentiert Julia Sperling, Partnerin bei McKinsey und als Medizinerin und Neurowissenschaftlerin besonders im Bereich Healthcare Systems tätig. „Die Förderung von Talenten mit unterschiedlichen Hintergründen, Männer wie Frauen, unterschiedliche Ethnien und wissenschaftliche Hintergründe, ist damit sowohl eine Frage der Gerechtigkeit als auch eine Business-Priorität.“

Alle, wirklich alle Parameter sprechen also dafür, dass dieser Weg weder zu Ende ist, noch dass er gestoppt werden kann. Mögen die Männer ihre vermeintlichen Domänen schützen, wie sie wollen: Vor zehn Jahren hieß es „Frauen, steigt auf!“. Heute sagen wir „Frauen, macht weiter so!“ In wiederum zehn Jahren werden wir eine noch viel diversere Welt haben – und uns verwundert fragen, wieso es nicht schon viel früher so gender-gerecht zugegangen ist.

Buchtipp: Die letzten Tagen des Patriarchats

Neben Sophie Passmanns Buch „Alte weiße Männer“ zählt Margarete Stokowskis Buch „Die letzten Tage des Patriarchats“ zu den meistdiskutierten Veröffentlichungen der letzten Zeit. Während Sophie Passmann in ihrem „Schlichtungsversuch“ die Männer reden lässt und selbst beobachtet (und wiederum ihre Beobachtungen notiert), zeigt sich Stokowski in ihren Analysen kämpferischer: In zehn Kapiteln sammelt sie kurze Texte über „Feminismus“ und „Männer“, „Bekloppte Zustände“ und „Gewalt“. Am Ende ergibt sich eine Sprache eines „neuen Feminismus“, der lacht und provoziert, wettert und trauert.

Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats. Rowohlt 2018. 12 Euro. (Amazon-Werbelink)