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StartIngenieureDer Zukunftsgestalter Prof. Dr. Robert Schmitt im Interview

Der Zukunftsgestalter Prof. Dr. Robert Schmitt im Interview

Als Direktoriumsmitglied des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnologie sowie Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement am WZL der RWTH Aachen ist Professor Dr. Robert Schmitt Experte für qualitätsorientierte Produkt- und Prozessgestaltungen. Was kennzeichnet heute die Qualität technischer Prozesse? Warum gewinnen Begriffe wie Resilienz und Purpose an Bedeutung? Und warum wächst damit der Gestaltungspielraum für Ingenieur*innen? Im Interview findet Robert Schmitt interessante Antworten. Die Fragen stellte André Boße

Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt (Jahrgang 1961) ist Direktor am Werkzeugmaschinenlabor
WZL der RWTH Aachen und Mitglied des Direktoriums am Fraunhofer Institut für Produktionstechnologie IPT. Nach dem Studium der Elektrischen Nachrichtentechnik an der RWTH Aachen war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement im Bereich der fertigungsnahen Mess- und Kommunikationstechnik im automatisierten Umfeld. 1997 wechselte Robert Schmitt zum Nutzfahrzeughersteller MAN in München und Steyr, wo er leitende Positionen im Qualitätsbereich und in der Produktion innehatte. 2004 wurde er als Professor an die RWTH Aachen berufen. Er ist dort Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement, seine Schwerpunkte liegen im produktionstechnischen Bereich in der Verbindung von Mess- und Montagetechnik mit qualitätsorientierter Produkt- und Prozessgestaltung.

Herr Prof. Schmitt, wie definieren Sie als Ingenieur den Begriff Qualität?
Qualität ist die Erfüllung von Anforde­rungen von Kunden. Um das zu errei­chen, hat sich allerdings der Begriff im betrieblichen Umfeld zuletzt sehr gewandelt. Lange verband man Quali­tät mit dem Begriff der Prozessfähig­keit. Sprich, funktioniert ein Prozess innerhalb bestimmter Grenzen? Das ist noch immer wichtig, greift aber heute, so scheint es mir, zu kurz. Qualität spielt auch eine Rolle, wenn es um den Ressourceneinsatz in einer Lieferkette geht oder um die Auswirkungen eines technischen Prozesses auf die Umwelt. Hier brauchen wir eine erweiterte Inter­pretation von Qualität, die dieser Kom­plexität gerecht werden

Welche Begriffe könnten das sein?
Mit Blick auf die Lieferkette wäre das zum Beispiel der Begriff der Resilienz: Wie widerstandsfähig ist die Supply Chain mit Blick auf Schwankungen oder Gefährdungen? Schauen wir auf die Umwelt, kommt ein weiter gefasster Effizienzbegriff in Frage, der sich anhand der vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit definiert, indem er nicht nur nach der Effizienz des eigentlichen Prozesses fragt, sondern auch Neben- und Folgekosten für die Umwelt inkludiert.

Der Qualitätsbegriff fächert sich also auf …
… darf dabei aber nicht beliebig wer­den. Was wir nicht brauchen, sind neue Metaphern, die den Qualitätsbegriff lediglich sprachlich erweitern. Wir müs­sen ihn inhaltlich sinnvoll weiterentwi­ckeln, nur dann kann Qualität die Ant­wort auf unsere sich sehr schnell wan­delnde VUKA-Welt sein, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt wird.

Was bedeutet die Weiterentwicklung des Qualitätsbegriffs konkret?
Ich glaube, eine zentrale Frage von Qua­lität lautet: Warum mache ich etwas? Und warum so?

Der Purpose.
Genau. Das ist ein Begriff, der für die Ingenieurwissenschaften immer wichtiger wird. Hier gestaltet Politik den Rahmen. Wenn man sich anschaut, wie die EU bestimmte Maßnahmen in der Forschung oder Wirtschaft fördert, stellt man fest, dass heute sehr genau gefragt wird: Wie effizient wirkt jeder Euro, den wir geben, auch in den Themen Nachhaltigkeit oder gesellschaftliche Stabilität oder Teilhabe an der Zukunft? Schließlich kaufen Roboter keine Brötchen, das machen Menschen, die also weiterhin im Mittelpunkt stehen.

Wird es dabei bleiben, dass der Mensch im Mittelpunkt steht?
Ich bin sicher, ja, wobei wir dabei vor der Herausforderung stehen, die Menschen so auszubilden, dass sie die Komplexität in einer technisierten Umgebung durchschauen. Diejenigen, die mit Maschinen arbeiten, müssen eine sehr gute Qualifikation im Sinne eines Verstehens, was sie wie warum machen, mitbringen. Hier wird Aus- und Fortbildung zu einem Schlüssel für das Qualitätsmanagement, und zwar schon deshalb, weil in komplexen Systemen keine unterkomplexen Lösungen helfen. Wir brauchen also Menschen, die technische Geräte nicht nur – im klassischen Sinn – „bedienen“ können. Wir müssen diese so auslegen und Menschen so qualifizieren, dass der Mitarbeiter die Anwendung versteht. Wir gehen also weg von einer mechanistischen Betrachtungsweise hin zu einem Gesamtverständnis von sinnvoller Wertschöpfung.

Wir Ingenieure sind diejenigen, die Antworten erfinden können, die uns voranbringen.

Welche neuen Anforderungen ergeben sich daraus für Ingenieur*innen?
Ich denke, es ist wichtig, die jeweiligen Hintergründe der Fachdisziplinen zu verstehen – wobei es hier nicht um Theorien und Formeln geht, sondern darum, jeweils klarzumachen: Wie tra­gen wir dazu bei, einen Anwendungs­fall pfiffig zu lösen? Eine robotische Anlage zeichnet sich nicht allein durch eine gute Mechanik aus. Wenn sie sich so verhält, dass ein Mensch nicht mit ihr umgehen kann, dann nützt die tech­nische Qualität wenig. Es geht also darum, sehr vielen Dimensionen gerecht zu werden: der Technik und der Anwendung, dem gesellschaftlichen Nutzen und der Effizienz mit Blick auf die Nachhaltigkeit. Ja, das ist komplex. Aber natürlich erhöht sich dadurch auch der Gestaltungsspielraum für Ingenieure. Zumal es um den Aus­tausch mit anderen Fachbereichen wie der Informatik, der Ökonomie oder der Ethik geht. In diesem Sinne sind wir Ingenieure diejenigen, die Antworten erfinden können, die uns voranbringen. Wir zählen ohne Frage zu den Gestal­tern der Zukunft.

Was entgegnen Sie kritischen Stim­men, die sagen, erst die Technik habe uns viele der Probleme eingebrockt?
Ich finde hier den Gedanken des Wis­senschaftstheoretikers Jürgen Mittel­straß zielführend, der in seinem Buch von der „Leonardo-Welt“ schreibt, die Menschen hätten zu da Vincis Zeit damit angefangen, die Welt so zu gestalten, dass sie besser wird. Nun haben wir Menschen mit unseren Gestaltungen ohne Zweifel dafür gesorgt, dass sich ernsthafte Probleme ergeben, allen voran der Klimawandel. Die Lösung kann aber nun nicht sein, die Technik abzuschalten. Wobei ich wiederum auch kein konstruktivisti­scher Mensch bin, der sagt: Noch mehr Technik! Sondern: mehr Verstehen.

Wo liegt die Mitte?
Sie liegt dort, wo Ingenieure mit Hilfe ihrer Methoden ihrer ethischen Verant­wortung gerecht werden. Ich bin über­zeugt, dass Ingenieure dann einen gro­ßen Lösungsbeitrag leisten können.

Ingenieure lernen zunehmend, ein Verständnis dafür zu erhalten, was in der Gesellschaft diskutiert wird, und sich zu fragen: Was können wir hier sinnvollerweise beitragen?

Wann überfordert man die Ingenieurwissenschaften?
Wenn man voraussetzt, dass sie Wunder vollbringen. Was nicht bedeutet, dass es nicht dazu kommen kann: Wie anders als ein Märchen hätte es geklungen, wenn jemand zur Zeit der Gebrüder Grimm die Geschichte von Röhren erzählt hätte, in denen sich Menschen auf bequeme Stühle setzen und mit Getränken versorgt werden, um nach wenigen Stunden in der Luft in einer ganz anderen Welt aus dieser Röhre zu steigen? Was ich sagen will: Manche Dinge kann man sich heute noch nicht vorstellen – aber gerade Ingenieure legen die Hände nicht in den Schoß. Weshalb ich, bei allem Verständnis für ihre Ziele, nicht verstehen kann, dass sich eine Gruppe von Klima-Aktivisten als die „Last Generation“ bezeichnet. Das ist mir viel zu fatalistisch – es gibt immer eine nächste Generation. Ingenieure lernen zunehmend, ein Verständnis dafür zu erhalten, was in der Gesellschaft diskutiert wird, und sich zu fragen: Was können wir hier sinnvollerweise beitragen?

Haben Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrer Forschungsarbeit?
Nehmen Sie das Tissue Engineering, also die künstliche Herstellung biologi­scher Gewebe, indem man Zellen kulti­viert – mit dem Ziel, bei einem Patien­ten individuell zu therapieren. Das erscheint zunächst einmal als ein Thema für die Nano- und Mikrobiolo­gen, klar. Aber wir am Fraunhofer-Insti­tut für Produktionstechnologie sind da natürlich auch involviert, wenn es um die Anwendung der Erkenntnisse der Automatisierungstechnik geht. Es ist super, wenn biologische Merkmale erreicht werden – aber für den Transfer in die Individualmedizin braucht es jemanden, der hier die Herstellung übernimmt. Und das sind wir Ingenieu­re. Hier sehe ich eine große Chance unseres Bereichs: Wenn ein junger Mensch sagt, er möchte einen sinnhaf­ten Beruf ergreifen, mit dem er die Möglichkeiten der Medizin um ein Viel­faches erweitert, dann kann er das auch tun, indem er als Ingenieur die techni­sche Umsetzung entwickelt. Und das gilt genauso für Fragen der Energieeffi­zienz, Mobilität, Umwelttechnik oder Textiltechnik. Ich denke sogar, hier liegt eine der großen Stärken der deutschen und europäischen Industrie: Dass wir Ingenieure in der Lage sind, relevante Fragestellungen rasch zu identifizieren, Lösungen zu entwickeln und unsere technische Umsetzungskompetenz auf einer Vielzahl von Feldern, die für unse­re Gesellschaften auf diesem verletzli­chen Planten wichtig sind, nutzen- und sinnstiftend anzuwenden.

Fraunhofer IPT

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT erarbeitet Systemlösungen für die vernetzte, adaptive Produktion nachhaltiger und ressourcenschonender Produkte. Dabei optimieren die Forschenden neue und bestehende Methoden, Technologien und Prozesse für eine effiziente und ökologische Produktion, die Klimaschutz und Umweltverträglichkeit in ihre Kalkulation einbezieht. An konkreten Anwendungen arbeitet das IPT mit Unternehmen aus Branchen wie der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Energiewirtschaft sowie aus den Bereichen Medizintechnik, Biotechnologie und Pharma.
www.ipt.fraunhofer.de

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