Ziele vor Augen

Foto: Fotolia/yanlev
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Hochschulabsolventinnen, die gut informiert ihre Karriere planen, sind im Vorteil. Wie Einsteigerinnen die Quotenziele der großen Unternehmen interpretieren und nutzen können – und was die Unternehmen tatsächlich für ihren weiblichen Nachwuchs tun. Von André Boße

Kommt die gesetzliche Frauenquote – oder kommt sie nicht? Soll man sie starr oder flexibel gestalten? Ist sie aus rechtlicher Sicht überhaupt wasserdicht? Und die wichtigste Frage: Ist sie überhaupt das richtige Instrument, um ambitionierten Einsteigerinnen zu helfen? Kann eine Quote die „gläsernen Decke“ sprengen, die in kleinen wie großen Unternehmen längst noch nicht verschwunden ist? Die gesellschaftliche und politische Diskussion über eine Quote, die den Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöhen soll, sorgt für Fragezeichen. Viele weibliche Nachwuchskräfte, die sich jetzt aufmachen, um in Unternehmen Karriere zu machen, fügen eine weitere Frage hinzu: Wie gehe ich heute sinnvoll an meine Karriereplanung heran?

„Sich bei den Unternehmen umschauen“, empfiehlt Christof Kleinmann, Anwalt für Arbeitsrecht und Managing Partner der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen, als ersten Schritt. „Karrierewillige Frauen sollten sich daran orientieren, wie sich ihr Wunschkonzern in den kommenden Jahren aufstellen möchte.“ Der Jurist hat die 30 deutschen DAX-Unternehmen in dieser Hinsicht unter die Lupe genommen. Lange suchen musste er nicht: 29 der 30 DAX-Unternehmen haben Quotenziele definiert und öffentlich gemacht. Und um aus weiblicher Sicht die Chancen auf eine erfolgreiche Karriere in einem dieser großen Unternehmen zu bestimmen, ist keine höhere Mathematik notwendig: „Je größer die Lücke zwischen aktuellem Frauenanteil und dem Quotenziel, desto mehr Führungsjobs gehen demnächst an weibliche Bewerber“, sagt Christof Kleinmann.

In kurzer Zeit viele Top-Managerinnen
Aktuell stehen nach Christof Kleinmann die Chancen bei den Konzernen Adidas, Volkswagen, Deutsche Börse sowie Allianz am besten: „Diese Unternehmen wollen ihren Frauenanteil in den Chefetagen zum Teil erheblich steigern – und haben sich dafür relativ wenig Zeit gegeben. Qualifizierte Frauen können hier in den nächsten Jahren schneller Karriere machen als in anderen Konzernen.“ Zwar sollten Nachwuchskräfte, die ihre erste Stelle antreten, gedanklich nicht zu viel Zeit in der Chefetage verbringen. Doch Konzerne, die kurzfristig hochgesteckte Ziele erreichen möchten, stellen damit die Weichen für einen Kulturwandel: Frauen, die es morgen ins Top-Management schaffen, sind die Förderinnen und Mentorinnen für die Top-Kräfte von übermorgen.

Generell empfiehlt Christof Kleinmann allen ambitionierten Einsteigerinnen, selbstbewusst und gut informiert in die Bewerbungs- und ersten Mitarbeitergespräche zu gehen. So sollten Frauen wissen, welche Ziele sich das Unternehmen, bei dem sie sich bewerben, gesteckt haben. Ein Verweis auf diese Quotenziele im Personalgespräch sei aber nicht nötig: „Viele große Unternehmen haben sich ja schließlich selbst verpflichtet, ein bestimmtes Quotenziel zu erreichen“, so Kleinmann. Neugierig sollte man als weibliche Nachwuchskraft jedoch auf die speziellen Förderprogramme für Frauen sein. „Danach“, so der Arbeitsrechtler, „sollten sich gut qualifizierte Frauen in jedem Fall erkundigen.“

Worauf es Frauen wirklich ankommt
Beispiel Adidas: Die Unternehmensgruppe beschäftigt weltweit fast 47.000 Mitarbeiter, davon sind 50 Prozent weiblich. In den Führungspositionen sieht das noch anders aus: 2011 lag die Quote an weiblichen Führungskräften bei Adidas-Deutschland bei 25 Prozent. Das soll sich nun ändern: Der Sportartikelhersteller hat sich selber zum Ziel gesetzt, diesen Anteil bis ins Jahr 2015 auf 32 bis 35 Prozent zu erhöhen. Damit das gelingt, investiert das Unternehmen auf der einen Seite in die gezielte Förderung von Frauen mit Führungspotenzial – „zum Beispiel, indem wir darauf achten, dass schon in den Entwicklungsprogrammen der Frauen- und Männeranteil ausgeglichen ist“, sagt Danja Frech, Senior Vice President im Bereich Group Functions, Diversity & Inclusion. Auf der anderen Seite will das Unternehmen dafür Sorge tragen, dass Frauen auf dem Weg nach oben Unterstützung erfahren, um auch wirklich in den Führungspositionen aller Unternehmensbereiche anzukommen. „Hierzu gehören Programme, die vor allem Mitarbeitern mit Kindern die Option geben, Karriere und Familie zu vereinbaren, unabhängig vom Geschlecht“, so Danja Frech.

Konkret bietet der Konzern flexible Arbeitszeiten mit Zeitwertkonten sowie Home-Office-Plätzen. Dazu „Eltern-Kind-Büros“ für Tage, an denen keine Kinderbetreuung verfügbar ist, sowie eine eigene Kinderbetreuung in den Schulferien. Zudem entsteht direkt neben dem Stammsitz im fränkischen Herzogenaurach eine eigene Kita. Und Sabbaticals, die immer beliebteren Auszeiten für Führungskräfte, sind laut Konzern auch als Zeit für und mit der Familie gedacht. Das Ziel dieser Programme: Die Arbeit flexibel zu halten, denn diese Flexibilität ist laut Danja Frech das Hauptbedürfnis von ambitionierten Frauen – egal ob Single oder verheiratet, ob mit oder ohne Kinder. „Aus diesem Grund ist es extrem wichtig, ein breites Spektrum an Maßnahmen zur Integration von Arbeit und Privat- und Familienleben anzubieten“, sagt die Personal-Managerin.

Statusbericht: Ziele der DAX-Unternehmen

Wer sich einen Überblick über die selbstgesteckten Ziele der 30 deutschen DAX-Unternehmen machen möchte, findet den Statusbericht 2012 auf den Internetseiten des Bundesminis teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=187194.html

In der Rubrik „Frauen und Arbeitswelt“ stehen auch weitere Reports und Broschüren zum Download bereit.

Unternehmenskultur muss sich ändern
So wichtig solche Angebote auch sind: Um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen, ist es zudem notwendig, an wichtigen Stellschrauben in der Unternehmenskultur zu drehen. Wie das funktionieren kann, davon berichtet Susanna Nezmeskal, Vice-President Corporate Culture bei Deutsche Post DHL. Der Bonner Konzern meldete 2011 eine Quote von 17,9 Prozent von Frauen in Führungspositionen in Deutschland. Die Selbstverpflichtung: Weltweit und in Deutschland sollen ab sofort 25 bis 30 Prozent aller freien Stellen im mittleren und oberen Management mit Frauen besetzt werden. Das sei laut Konzern ein machbares und realistisches Ziel – auf eine konkrete Quote hat man dagegen verzichtet.

Damit er von der höheren Anzahl an Frauen mit Führungsverantwortung profitiert, beteiligt sich der Bonner Konzern an einem Projekt mit dem Titel „Innovativ! Gemeinsam Führen mit Frauen“. „Ziel ist es, Abläufe, Entscheidungsprozesse und Führungsverhalten so zu gestalten, dass ein gemeinsames Führen von Frauen und Männern auf natürliche Weise gefördert wird“, formuliert Susanna Nezmeskal. Denn eines wolle man nicht: den Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Führungskultur verwischen. „Frauen führen nun mal anders als Männer“, sagt die Personalexpertin – und zeigt auf, was in ihren Augen erfolgreiche Frauen, die bei der Deutschen Post bislang eine glänzende Konzernkarriere hingelegt haben, richtig machen: „Diese Frauen sind sich selbst treu geblieben – und damit authentisch.“ Ihre Empfehlung an Einsteigerinnen mit Ambitionen: „Frauen sollten sich auf ihre eigenen Stärken besinnen und diese einsetzen, anstatt sich mit ihren männlichen Kollegen zu vergleichen. Wer nur nach anderen schaut, verliert sich selbst.“

Frauenförderung auch ohne Quote
Nur eines der 30 DAX-Unternehmen hat auf eine selbstverpflichtende Zielsetzung verzichtet: der Gesundheitskonzern Fresenius. „Es geht doch darum, Frauen langfristig und nachhaltig zu fördern und ihnen die gleichen Karrierechancen zu geben wie gleichermaßen qualifizierten Männern. Das geht nicht über starre Quoten, sondern über geeignete Instrumente“, begründet Personalchef Markus Olbert die Entscheidung. Als Unternehmen wolle man wie bisher nach Qualifikation einstellen – und nicht nach Geschlecht oder anderen Persönlichkeitsmerkmalen. Sowieso habe er als Personalchef die Erfahrung gemacht, dass sich Bedürfnisse und Wünsche von Frauen nicht signifikant von denen ihrer männlichen Kollegen unterscheiden. „Eine Karriere bis ganz nach oben erfordert sehr viel Engagement – und auch Verzicht in anderen Lebensbereichen. Davon sind aber Frauen wie Männer gleichermaßen betroffen“, so Olbert.

Das heißt jedoch nicht, dass Frauen bei Fresenius nicht speziell gefördert werden. Der Konzern aus Bad Homburg nördlich von Frankfurt bietet flexible Arbeitszeitmodelle, um Familie und Beruf zu vereinbaren, außerdem gibt es Weiterbildungsmöglichkeiten speziell für Frauen. Und das Unternehmen engagiert sich beim hessischen Mentorinnen-Netzwerk, das an Hochschulen weiblichen Nachwuchs aus den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik fördert: „Unsere weiblichen Führungskräfte agieren hier als Mentorinnen für junge Frauen“, so Olbert. Das ist ein Plus für Einsteigerinnen von morgen, die hier Mentorinnen treffen. Aber auch ein Plus für die Mentorinnen, die auf diese Weise andere Frauen in Führungspositionen kennenlernen, dadurch ihr Netzwerk erweitern und ihre Führungskompetenz weiter ausbauen.

Gläserne Decke

Erforscht wird die gläserne Decke seit den Achtzigerjahren. Untersucht wird dabei, warum qualifizierte Frauen häufiger als Männer das mittlere Management nicht überwinden.

Literaturtipp:
Elisabeth Welzig: Durch die gläserne Decke. Böhlau Wien 2011.
ISBN: 978-3205783596. 29,90 Euro.

Ein Kurzfilm:
Teresa Serrano hat sich der gläsernen Decke künstlerisch gewidmet:
www.youtube.com/watch?v=mqrye0xQXxI

Eine kritische Auseinandersetzung:
Die amerikanische Psychologin Alice Eagly betrachtet den Begriff in einem Videoclip kritisch:
www.youtube.com/watch?v=tLKQezaz2IA