Interview mit Jan-Hendrik Goldbeck

Der Familienunternehmer

Jan-Hendrik Goldbeck, Foto: Goldbeck
Jan-Hendrik Goldbeck, Foto: Goldbeck

Der Baudienstleister Goldbeck versteht sich als Familienunternehmen. Jan-Hendrik Goldbeck steht für die zweite Generation, schon mit Anfang 30 stieg er in die Geschäftsführung auf. Im Interview erzählt der heute 37-Jährige, wie wichtig für ihn praktische Erfahrungen in Transsilvanien waren und welche Rolle Psychologie auf der Baustelle spielt. Das Gespräch führte André Boße.

Zur Person

Jan-Hendrik Goldbeck, 1976 in Bielefeld geboren, studierte Wirtschaftsingenieurwesen in Karlsruhe und Lausanne und verfasste seine Diplomarbeit in München zum Thema Immobilien. Als Einsteiger arbeitete er bei IVG Immobilien, erst als Trainee, später als Assistent des Vorstands. Ende 2005 stieg er dann in das Unternehmen seines Vaters ein. Er war zunächst als Bauleiter bei Goldbeck International tätig. Später verantwortete er als Projektleiter unter anderem den Bau eines neuen Nokia-Werkes in Rumänien. 2008 wechselte Goldbeck in die Geschäftsführung der übergeordneten Gesellschaft, der Goldbeck GmbH mit Sitz in Bielefeld. Zudem ist er Geschäftsführer der Goldbeck Süd, die sich auf die Geschäfte des Bauunternehmens in Süddeutschland fokussiert.

Herr Goldbeck, wie haben Sie das Bauunternehmen Ihres Vaters als Teenager erlebt?

Positiv, weil mein Vater vor allem seine unternehmerische Leidenschaft mit nach Hause brachte. Er berichtete uns von neuen Errungenschaften und Erfolgen, von Innovationen und Wachstum.

Solche Erzählungen prägen natürlich auch die eigene Berufswahl.
Genau. Mit 14 oder 15 hatte ich kurz überlegt, eher in eine musikalische oder literarische Richtung zu gehen. Das hätte durchaus meinen Neigungen entsprochen. Aber dann habe ich mich doch entschieden, darauf hinzuarbeiten, auch ins Unternehmen einzusteigen.

Was gab letztlich den Ausschlag?
Ich habe geschaut, welcher Bereich mir die größeren Einflussmöglichkeiten und Gestaltungsfreiräume gibt. Und da lag der Vorteil beim Familienunternehmen und der Baubranche – zumal mir dieser Gestaltungsfreiraum auch die Möglichkeit gibt, das kreative Element einzubringen. Sprich, ich kann meine Ideen einbringen und dafür Verantwortung übernehmen.

Wo erleben Sie konkret das Kreative in Ihrer Arbeit?
Der universitäre Kosmos war sehr stark von der Problembehandlung innerhalb einer gegebenen Situation geprägt, die Parameter waren limitiert. Kommt man dann in die Realität der Bauwirtschaft, erlebt man plötzlich einen Raum mit unendlich vielen Parametern. Der Rahmen ist also deutlich komplexer. Nichts ist schwarz oder weiß, es müssen immer Abwägungen vorgenommen werden. Genau das mag ich.

Wie verbinden Sie im Unternehmen diese freie Arbeit mit den systemischen Vorgaben der Bauwirtschaft?
Unser Unternehmen basiert auf zwei Säulen. Da ist zunächst einmal die technisch-prozessuale Säule. Wir versuchen, das Bauen zu systematisieren, indem wir Prozessschritte vordenken und Lösungen vorfertigen. Wir nennen dieses Vorgehen „Elementiertes Bauen mit System“. Die zweite Säule verstehen wir als kulturelle und organisatorische Säule, die durch Begriffe wie Vertrauen und Verantwortung sowie durch Dezentralität geprägt wird. Beide Säulen greifen ineinander: Die technisch-prozessuale Komponente gibt mir die Sicherheit, bei der Nutzung der Freiräume die Risiken zu beherrschen. Das führt dazu, dass wir im Unternehmen jungen Kräften sehr früh Verantwortung übergeben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ausgewählte Einsteiger schon nach zwei oder drei Jahren eigenverantwortlich ein Projekt leiten.

Worauf kommt es bei diesen Tätigkeiten an?
Für Absolventen ist die Realität eigentlich immer eine Überraschung. Zu den technischen Aspekten, die man an der Hochschule gelernt hat, gesellen sich eine Menge neuer Herausforderungen hinzu. Bei Bau- und Projektleitern sind das vor allem die organisatorischen und psychologischen Dimensionen. Diese Dinge kann man nicht im Studium lernen, man muss sie im Beruf erleben.

Wie haben Sie damals den Schritt von der Uni in den Beruf erlebt?
Ich habe nach dem Studium zunächst einmal drei Jahre lang in der Vorstandsassistenz eines börsennotierten Unternehmens gearbeitet. Danach ging es dann in die Bauleitung eines Projekts – und das war schon ein kleiner Kulturschock. Trotzdem würde ich jeder Nachwuchskraft raten, diese Erfahrung zu machen. Als Bauleiter erhält man die embryonalen Stammzellen für eine Karriere in der Baubranche. Aus einem Bauleiter von heute kann morgen alles werden, weil er weiß: Was passiert auf der Baustelle? Wie sind die Zusammenhänge? Wann läuft etwas gut, wann schlecht? Alle diese Dinge sind wichtig, um später ein gutes Bauchgefühl für unternehmerische Entscheidungen zu entwickeln – wobei das Bauchgefühl ja nichts mit dem Bauch zu tun hat, sondern sich als Substrat meiner individuellen Erfahrungen ergibt.

Nun befand sich Ihre erste Baustelle als Projektleiter nicht in heimischer Umgebung, sondern in Transsilvanien. Da hat Sie Ihr Vater aber direkt ins kalte Wasser geworfen.
Kann man so sagen. Für mich war es in dieser Situation natürlich besonders wichtig zu wissen, dass es ein erprobtes technisches System gibt, auf das ich auch auf einer Wiese in Transsilvanien zurückgreifen kann. Auf der technischen Seite war also klar, wie man an das Projekt herangeht, und erfahrene Mitarbeiter waren an meiner Seite. Nun ging es also darum, sich den organisatorischen und kulturellen Herausforderungen zu stellen.

Und welche waren das?
Auf der Baustelle befanden sich Mitarbeiter aus 15 verschiedenen Nationen. So ein Team muss man erst einmal organisieren. Meine Arbeit war daher weniger technisch orientiert. Entscheidend war es herauszubekommen, wen man wann anspricht, wie direkt diese Ansprache sein darf und welche Prioritäten man setzt – diese Fragestellungen waren vor allem zum Kunden hin von höchster Wichtigkeit.

Wie entscheidend sind diese soziokulturellen Aspekte für den Erfolg eines Bauprojekts?
Sie sind mitentscheidend, jedoch nicht alleinentscheidend. Die Prozess- und Technikthemen müssen schon auf sehr hohem Niveau abgearbeitet werden. Das ist die Basis. Es ist die hohe Schule, dazu auch noch die psychologischen Themen zu beachten: Projektleiter, die auch auf dieser Klaviatur spielen, haben später in der Regel die größeren Erfolge. Wobei man sagen muss, dass es in der Baubranche auch heute noch Positionen gibt, in denen es verstärkt auf das numerische oder zeichnerische Abarbeiten ankommt und in denen soziokulturelle und psychologische Aspekte keine so große Rolle spielen. In den operativen Führungspositionen, die zum großen Teil auf Interaktion basieren, jedoch schon. Da ist die menschliche Komponente unverzichtbar.

Von welchen Personen reden wir hier?
Neben den Projektleitern zum Beispiel von den Vertriebs- und Konzeptingenieuren, die beim Kunden agieren, die Bauvorhaben anhand des Kundennutzens durchdenken, die Preise gestalten und den Auftrag schließlich an Land ziehen. Aber auch von den Planungsmanagern, die den gesamten Planungsprozess eines Baus koordinieren.

Zum Unternehmen

Goldbeck ist ein familiengeführter Baudienstleister mit Stammsitz in Bielefeld. Das Unternehmen wurde 1969 von Ortwin Goldbeck gegründet und fokussierte sich zunächst auf klassischen Stahlbau. Im Laufe der Jahre kamen immer neue Geschäftsfelder hinzu. Das Unternehmen wuchs und ist heute als Generalunternehmer Spezialist für gewerblichen und kommunalen Hochbau. 2008 zog sich Unternehmensgründer Ortwin Goldbeck aus dem operativen Geschäft zurück. Seine Nachfolge traten die drei Söhne an: Während Jörg-Uwe und Jan-Hendrik Goldbeck die Geschäfte leiten, führt Joachim Goldbeck die Solar-Sparte. Derzeit beschäftigt das Unternehmen in 38 Niederlassungen in Deutschland und Europa sowie sechs Werken rund 3300 Mitarbeiter.