Spielt und seid achtsam

Foto: Fotolia/tai11
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Die moderne Hirnforschung kennt die Voraussetzungen dafür, dass die grauen Zellen in Schwung kommen. Zwar wirken Impro-Theater, musikalische Spiele oder Achtsamkeitsübungen im Geschäftsleben zunächst seltsam, aber die Wissenschaft belegt: Wer achtsam ist und im Austausch mit anderen Menschen steht, dessen Gehirn ist besonders kreativ und innovationsfreudig. Von André Boße

Sebastian Purps-Pardigol ist als Coach für Führungskräfte tätig. Er besucht Unternehmen und durchleuchtet sie, spricht mit Mitarbeitern und Top- Managern. Dabei treibt ihn die Frage an: Wie kann es gelingen, dass die Menschen, die für das Unternehmen arbeiten, zufriedener sind? Manchmal ist dieser Job nicht einfach. Vor kurzem war er bei einem Konzern zu Gast, und als die Geschäftsleitung ihn vorstellte, tat sie das mit den Worten „Dieser Herr ist unsere letzte Chance!“. Er hat den Auftrag dann nicht angenommen, denn wenn ein Coach die letzte Chance ist, dann kann die Geschichte nicht gut ausgehen. Dann ist die Chance zum Kulturwandel schon vertan. Häufig bekommt es Sebastian Purps-Pardigol zudem mit Managern zu tun, die den Begriff des „Wandels“ sehr lange vor allem technokratisch betrachteten. Veränderungen, ja. Aber bitte nur solche, die nichts mit Menschen zu tun haben. Also werden Effizienzprogramme aufgelegt, um auch noch das letzte Schräubchen zu optimieren. Das bringt zwar am Ende kaum noch zählbare Verbesserung, ist aber bequemer, als sich mit den Menschen auseinanderzusetzen. „Was in der deutschen Arbeitswelt lange fehlte, war die Notwendigkeit, sich mit dem Denken anderer zu beschäftigen“, sagt Purps-Pardigol. „Stattdessen wurden immer weitere technische Projekte gestartet, um die Effizienz zu optimieren.“

Burnout bleibt Thema
Was die Optimierungen betrifft, ist in vielen Fällen also das Ende der Fahnenstange erreicht. Zeitgleich wird deutlich, dass in einem anderen Feld einiges im Argen ist. „Mitarbeiter melden sich immer häufiger krank, das Thema Burnout verschwindet nicht, die Überlastungen lassen sich nicht mehr mit Hilfe von Programmen zur Work-Life- Balance abfangen“, erläutert der Coach. Nach und nach setzt sich daher bei den Unternehmen die Erkenntnis durch: Wandeln muss sich der generelle Umgang mit Menschen im Unternehmen. Damit das gelingt, benötigen die Unternehmen Führungskräfte, die in der Lage sind, bei ihren Leuten Begeisterung zu entfachen und aus Teams lebendige Gemeinschaften zu machen. Warum dies so wichtig ist, zeigt die Hirnforschung: Ist ein Mensch leidenschaftlich und mit anderen zusammen bei der Sache, läuft das Gehirn zur Hochform auf. Dann entfaltet sich das gesamte kreative Potenzial der Mitarbeiter. Und das ist für Unternehmen viel wertvoller als das hundertste Effizienzprogramm. „Gelingt der Wandel in der Unternehmenskultur, dann kommen die Mitarbeiter wieder gerne zur Arbeit“, fasst Sebastian Purps-Pardigol zusammen und prognostiziert, dass die Zahl der psychisch bedingten Krankheitsfälle dann deutlich zurückgehen werde: „Wir erleben das heute schon bei Unternehmen, die man als Best-Practice-Beispiele bezeichnen kann: Den Menschen dort geht es einfach besser.“

Aber wie funktioniert Führung mit Hirn? „Zum Beispiel, indem man Achtsamkeit ins Unternehmen bringt“, sagt Purps-Pardigol. Übungen zur „Mindfulness-based Stress Reduction“ – kurz MBSR, auf Deutsch „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“ – geben dem Gehirn Impulse, damit ein Mensch Dinge anders wahrnimmt als gewöhnlich. Sich selbst. Die anderen. Aber auch die anstehenden Aufgaben. „Es kann somit gelingen, Menschen aus einem subjektiv erlebten permanenten Bedrohungszustand zu befreien“, sagt Purps-Pardigol. „Der Mensch kann sein Gehirn also darin trainieren, Impulsen von außen nicht mehr automatisch eine ungünstig behaftete Bedeutung zu geben, sondern sie auf eine günstige Art neu zu bewerten.“ Der Coach weiß: Dieser Ansatz klingt beinahe esoterisch – doch selbst harte Managertypen begreifen so langsam, wie wichtig das Thema ist. „Wenn ich Investmentbankern zu Beginn eines Trainings auf wissenschaftlicher Ebene erläutere, dass Menschen ein inneres Bedürfnis nach Verbundenheit in sich tragen, erlebe ich häufig, dass sich diese Business- Menschen tatsächlich trauen, Verbundenheit zueinander zu entwickeln. Sie sind dann selbst von sich überrascht und geben offen zu, dass sie einen Begriff wie Verbundenheit im Business- Meeting niemals gebrauchen würden, weil er eben zu esoterisch klingt.“

Feuerwerk fürs Hirn
Dass es bei der Führung mit Hirn um sehr einfache und bekannte Dinge geht, zeigt Christoph Quarch. Gemeinsam mit dem Hirnforscher Gerhard Hüther (siehe Interview ab Seite 14) widmet sich der Philosoph in seinem neuesten Buch, das 2016 erscheinen wird, dem Spiel. „Ich beobachte in den Unternehmen ein wachsendes Interesse am Geist. Gute Führungskräfte brennen darauf zu erfahren: Was sind das eigentlich für Menschen, die ich führe? Und wie kann ich sie darin unterstützen, ihre Potenziale zu entfalten? Wir stehen zwar noch am Anfang einer Bewegung, doch gehe ich fest davon aus, dass Themen wie Führung und Spiel weiter an Bedeutung gewinnen.“ Der Grund dafür liegt auf der Hand. In engen Märkten mit globaler Konkurrenz sind Unternehmen auf kreative Mitarbeiter angewiesen. Diese machen den Unterschied, sie sind Garanten für Innovationen. „Philosophie und Hirnforschung lehren uns in erstaunlicher Einheit, dass sich das kreative Potenzial eines Menschen am besten im Spiel entfaltet“, sagt Quarch. Als Spieler könne der Mensch neue Optionen erproben. „Er kann sich öffnen und zeigen, wie es im normalen operativen Geschäft gar nicht möglich wäre.“

Quarch plädiert tatsächlich für Spielzeit in Unternehmen. Beispiele dafür sind Impro-Theater-Runden oder auch musikalische Spiele. „Ich erlebe immer wieder, wie Menschen im Spiel neue Kommunikationsformen erproben. Für das Gehirn ist das wie ein Feuerwerk, weil dadurch vollkommen neue Verschaltungen und Verbindungen entstehen.“ Wichtig sei jedoch, dass das Spiel nicht für wirtschaftliche Zwecke missbraucht wird. „Es darf nicht für das Geschäft instrumentalisiert werden“, sagt Quarch, der es daher als „Oase der Zwecklosigkeit“ definiert. „Man spielt um des Spielens willen, das Spiel bleibt folgenlos.“ Nur, wenn das Gehirn weiß, dass diese Regel eingehalten wird, läuft es zur Hochform auf.

Redaktionstipps:

In seinem neuen Buch berichtet der Coach Sebastian Purps-Pardigol von seiner Arbeit mit Führungskräften. Er zeigt Best-Practice-Beispiele aus Unternehmen, die den Kulturwandel bereits geschafft haben, und kombiniert dabei wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Hirnforschung mit konkreten Fragen aus der Arbeitswelt.
Sebastian Purps-Pardigol: Führen mit Hirn. Mitarbeiter begeistern und Unternehmenserfolg steigern.
Campus, September 2015. ISBN 978-3593503394. 34 Euro

Dr. Henning Beck ist Neurobiologe, Biochemiker und Deutscher Meister im Science Slam. Er stellt auf humorvolle Art die neuesten Erkenntnisse aus der Hirnforschung vor.
Henning Beck: Hirnrissig. Die 20,5 größten Neuromythen – und wie unser Gehirn wirklich tickt.
Carl Hanser Verlag 2014. ISBN 978-3446440388. 16,90 Euro.
Website des Autors

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