„Wir müssen alle an unserer medialen Inszenierungskompetenz arbeiten“

Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer, Foto: © Fraunhofer IAO
Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer, Foto: © Fraunhofer IAO

Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer ist geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart. Außerdem berät er Politik und Wirtschaft, ist Autor von zahlreichen wissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen und Lehrbeauftragter an den Universitäten Stuttgart und Hannover. Im Jahr 2012 erhielt Prof. Bauer die Ehrung des Landes Baden-Württemberg als „Übermorgenmacher“. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf Unternehmen hat und was sie für Berufseinsteiger bedeutet. Die Fragen stellte Sabine Olschner

Wie sind die deutschen Unternehmen Ihrer Ansicht nach durch die Corona- Krise gekommen?
Mein Eindruck ist, dass deutsche Unternehmen bislang noch gut durch die Corona-Krise kommen. Zu diesem Schluss kommt auch eine weltweite Umfrage unter 2.600 Firmen der Großbank HSBC, veröffentlicht im August 2020. Demnach ist der Anteil der Unternehmen, die durch die Pandemie stark beeinträchtig sind, in Deutschland mit 53 Prozent am geringsten. Der Grund liegt laut HSBC in der schnellen und umfangreichen Reaktion staatlicher Institutionen. Ich glaube aber, dass dazu auch die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden selbst einen wichtigen Beitrag geleistet haben: Lockdown und Quarantäne haben vielen Unternehmen die Kontrolle über die Gestaltung und Feinsteuerung der Arbeit entrissen. Notgedrungen ist auf einmal gelebte Realität, was bisher nur als die Zukunft der Arbeit im Raum stand. Die Unternehmen arbeiten agil! Sie mussten kurzfristig Abstandsregelungen und Mehrschichtsysteme improvisieren.

Zwangsläufig haben viele Unternehmen auf Homeoffice umgestellt und nutzen die technischen Möglichkeiten, von unterschiedlichen Orten gemeinsam zu arbeiten. Die Führungskraft ist fern, eine enge Anleitung und Kontrolle der Beschäftigten ist weder sinnvoll, noch durchführbar. Mit viel Eigeninitiative und Kreativität bewältigen die Betroffenen Arbeit, Kinderbetreuung, räumliche Enge und technische Herausforderungen. Weil eine lückenlose Erfassung fehlt, ist Vertrauensarbeitszeit gelebte Praxis in der Zusammenarbeit geworden. Dieses hohe Maß an Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Disziplin von uns allen hat in Kombination mit den staatlichen Rahmenbedingungen und Sofortprogrammen dazu geführt, dass die Welt auf Deutschland und seinen Umgang mit der Corona-Krise schaut.

Was haben die Unternehmen aus dieser Ausnahmesituation gelernt?
Die Corona-Krise zeigt uns schonungslos Stärken und Schwächen auf. Wir haben definitiv gelernt, dass wir „Krise können“. Das darf aber nicht dazu führen, wieder zur Normalität überzugehen. Wichtig ist daher, den Blick nach vorn zu richten und sich mit Themen zur eigenen Unternehmensstrategie, zur Passgenauigkeit des Geschäftsmodells, zur Unternehmenskultur und zum zukünftigen Investitionsverhalten zu beschäftigen. In all diesen Bereichen werden meines Erachtens Fragen zu Technologie, Innovation, Resilienz und Nachhaltigkeit eine zentrale Bedeutung haben.

Wie können sich Unternehmen und ihre Mitarbeitenden auf mögliche weitere Pandemien oder Krisen vorbereiten?
Eine gezielte Vorbereitung würde bedeuten, dass wir genau wissen, was als nächste Krise auf uns zukommt – und das wiederum entspricht nicht dem Naturell von Krisen. Wir müssen uns daher weiterentwickeln und beispielsweise die jetzt auf die Schnelle eingeführten Prozesse einer verteilten und dezentralen Arbeitsorganisation zum „New Normal“ verstetigen. Aus meiner Sicht spielt hier der Begriff der Souveränität eine entscheidende Rolle. Die Basis zur souveränen Bewältigung von Herausforderungen sind Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Jede Maßnahme, die zur Schaffung einer Souveränität in Bezug auf Technologie, Innovation, Wertschöpfung und Organisation unter der Maxime einer Kosteneffizienz führt, dient der Vorbereitung auf zukünftige Herausforderungen und auch Krisen.

Muss sich die Art der Führung ändern?
Die Zukunft des „New Normal“ liegt in einer hybriden, flexiblen und nachhaltigen Arbeitswelt. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des Fraunhofer- Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, die wir gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) durchgeführt haben. Dabei gaben uns Top-Führungskräfte vornehmlich aus dem HR-Bereich aus 500 Unternehmen hochaktuelle Einsichten. Corona wird tatsächlich den Blick auf das Büro als den Hauptarbeitsort verändern und die Grunderwartung jedes Beschäftigten, dass man „zur Arbeit geht“, deutlich erschüttern. Überwältigende 56 Prozent („stimme voll und ganz zu“) bzw. 33 Prozent („stimme eher zu“) kommen zu der Einschätzung, dass Homeoffice in größerem Umfang realisiert werden kann, ohne dass hieraus Nachteile entstehen. Die annähernd gleichen Prozentzahlen ergeben sich bei der Frage, inwieweit auch Dienst- bzw. Geschäftsreisen in Zukunft virtuell z.B. über Videokonferenzen abgewickelt werden können. Die Studie hat aber auch gezeigt, wo noch Aufholbedarf vorhanden ist. Es gibt eine Reihe von Handlungsbereichen, die sich stark auf die größeren, längerfristigen Veränderungen durch die Arbeit auf Distanz konzentrieren. Sie umfassen die Prävention negativer gesundheitlicher Folgewirkungen (insbesondere der Entgrenzung von Berufs- und Privatleben), die Führung auf Distanz, notwendige Kompetenzen im Bereich der Mediennutzung sowie Ansätze, die informelle Strukturen und Kommunikation zwischen den Menschen stützen.

Welchen Einfluss hat die Krise auf die weitere Berufsentwicklung von Absolventen und Berufseinsteigern?
Unabhängig von fachlichen Qualifikationen, die über das Berufsleben hinweg immer aktuell gehalten und angepasst werden müssen, werden meines Erachtens die eher weichen Faktoren an Bedeutung gewinnen. Dabei handelt es sich weniger um Fähigkeiten als um Fragen der persönlichen Disposition wie Neugierde, Aufgeschlossenheit, Mut zum Neuen und auch zum Scheitern. Was mir die Zeit mit der Pandemie aber auch gezeigt hat ist, dass wir alle an unserer medialen Inszenierungskompetenz arbeiten müssen. Die nächste Telko, der dringende Skype-Call, die x-te Video-Konferenz und das virtuelle Einstellungsgespräch sind zunehmend selbstverständlicher Bestandteil unseres Arbeitstags. Und dort sehen wir selbst jeden Tag: Es gibt brillante Performende und mediale Naturtalente, aber auch viele, die mit der Kamera fremdeln und am liebsten im Grau der Tapete verschwinden.

Es gibt CI-konforme und ästhetisch ansprechende Bildschirmhintergründe genauso wie schlecht ausgeleuchtete Besprechungssituationen, die die Mimik eher ahnen lassen. Gar nicht zu denken an die Qualitätsunterschiede in Darbietungen, die womöglich karriereentscheidend sind: das entscheidende Bewerbungsgespräch oder der entscheidende Strategie- Pitch. Ich bin überzeugt davon: Das rein technische Bedienwissen zum Umgang mit all diesen virtuellen Plattformen muss ergänzt werden durch mediale Inszenierungskompetenz. Die sich auf mein eigenes Bühnenbild, meinen eigenen Auftritt, aber auch meine Interaktion mit den anderen Beteiligten, den Spannungsbogen und reibungsfreie Nutzung aller möglichen „Bühnentechniken“ beziehen muss.

Wie wichtig ist die Fähigkeit der Resilienz in beruflichen Krisensituationen?
Die Fähigkeit zur Resilienz im Allgemeinen halte ich für sehr wichtig. Unsere Lebens- und Arbeitswelt lässt sich immer weniger trennen. Diese Erfahrung haben wir alle auch während der Corona-Krise ein ums andere Mal gemacht. Wichtig daher ist, dass wir in der Lage sind, in Krisensituationen bedacht, optimistisch und selbstbewusst zu agieren, uns mit dem was vor uns liegt auseinanderzusetzen und nicht über Vergangenes zu hadern. Resilienz ist daher eine Frage des Bewertungsstils und hilft uns, aus Krisen gestärkt hervorzugehen. Egal ob im privaten oder im beruflichen Umfeld. Dies gilt dann übrigens im übertragenen Sinne nicht nur für Individuen, sondern auch für Organisationen und Unternehmen.

Kann man Resilienz für das Berufsleben lernen?
Die gute Nachricht ist: Resilienz ist kein Schicksal. Jede*r Einzelne kann seinen individuellen Bewertungsstil verändern und beispielsweise schädliche Assoziationen verlernen. Klar ist aber auch, dass eine solche Veränderung nicht mal eben schnell geschaffen werden kann. Hier handelt es sich um einen Lernprozess, der stark auf Erfahrungen und Lessons Learned aus bereits Erlebtem beruht. Mit einem Besuch eines Resilienzseminars ist es daher sicher nicht getan.