Interview mit Stefan Dräger

Der Tüftler

Stefan Dräger ist nicht nur ein erfolgreicher Manager, sondern auch ein ehrgeiziger Ingenieur, der sich nicht vor Herausforderungen drückt. Wenn alle bloß vom Elektroauto reden, baut er eins. Mit dem gleichen Ehrgeiz stellt er sich seinen Aufgaben als Manager des Lübecker Familienunternehmens. Im Interview mit dem karriereführer sprach er über die Leitung eines Familienunternehmens, darüber, wie er in seine Rolle als Manager hineinwuchs und über private und berufliche Herausforderungen. Die Fragen stellte Meike Nachtwey.

Zur Person

Stefan Dräger wurde 1963 in Lübeck geboren. Zum Studium der Elektrotechnik und Nachrichtentechnik ging er 1984 nach Stuttgart. Nach seinem Studium blieb er zunächst im süddeutschen Raum und arbeitete als beratender Ingenieur für Prozesstechnik. Anfang der Neunziger-Jahre trat er ins Familienunternehmen ein. Er ging zunächst für zwei Jahre in die USA, wo er den Vertrieb für Gaswarnsysteme bei National Dräger aufbaute. 1995, zurück in Lübeck, begann er seine Laufbahn zur Führungskraft, indem er verschiedene Abteilungen leitete und 2003 in den Vorstand gewählt wurde. Zwei Jahre später übernahm er den Vorstandsvorsitz von seinem Onkel Theo Dräger. Er ist damit der sechste Dräger, der diesen Posten innehat. Stefan Dräger lebt mit seiner Familie in Lübeck.

Herr Dräger, was halten Sie eigentlich von den Buddenbrooks?
Den neuen Film habe ich noch nicht gesehen, den Roman habe ich allerdings sehr gerne gelesen, schließlich ist er ja auch sehr heimatnah für mich. Ähnlichkeiten mit damals lebenden Personen sollen ja ausgeschlossen sein (lacht).

Das Unternehmen Dräger wird bereits in der fünften Generation von einem Familienmitglied geführt. Wie schafft man das heutzutage überhaupt bei einem börsennotierten Unternehmen?
Dafür braucht man natürlich einen gewissen Ehrgeiz, das Unternehmen innerhalb der Familie zu halten und dennoch profitabel zu führen. Das heißt, dass der Geschäftsführer, in diesem Fall ich selbst, viele unterschiedliche Tätigkeiten ausüben muss – außerhalb und auch innerhalb des eigenen Unternehmens – und sich so die Qualifikation erarbeitet, die einem objektiven Vergleich mit anderen Kandidaten standhält. Natürlich muss ich mich selbst ständig fragen, ob ich wirklich der beste Kandidat bin. Wirklich zufrieden bin ich nur dann, wenn ich noch höher qualifiziert bin als die anderen. Das ist ein hoher Anspruch und kann eine große Belastung sein. Aber auch daran kann man sich gewöhnen.

Wird nach Ihnen wieder ein Herr Dräger – oder vielleicht sogar eine Frau Dräger – Ihren Job machen?
Das Ziel ist natürlich, dass nach Möglichkeit meine Kinder nachrücken, wenn sie die Qualifikation haben und die Verantwortung übernehmen wollen. Ob das mein Sohn oder meine Tochter wird, ist eigentlich egal. Jungen und Mädchen sind gleich gut geeignet.

Sie sind Vater von drei Kindern. Wie bringen Sie die alleinige Leitung eines Unternehmens mit über 10.000 Mitarbeitern und Ihre Familie unter einen Hut?
Das ist immer eine Frage der Planung und der Prioritäten, denn die Zeit ist natürlich begrenzt, ein Abwägen von dringlich und wichtig. Den Kindern etwas von mir mitzugeben, so dass das oben genannte Ziel erreicht werden kann, das braucht natürlich Zeit, aber es ist immens wichtig.

Sie haben selbst eine Ausbildung zum Diplomingenieur für Elektro- und Nachrichtentechnik absolviert und zunächst auch als Ingenieur gearbeitet. Wie fanden Sie die Umstellung auf eine Führungsrolle?
Das ist natürlich erst einmal eine Umstellung, aber ich bin ja bei Dräger sehr behutsam an das Unternehmen herangeführt worden. Bevor ich in den Vorstand kam, war ich bereits elf Jahre weltweit in unterschiedlichen Funktionen im Unternehmen tätig gewesen. Da habe ich natürlich die Unternehmensstrukturen, die unterschiedlichen Arbeitsbereiche und Menschen kennengelernt. Es war also mehr eine stetige Zunahme an Verantwortung. Man wird ja nicht von einem auf den anderen Tag zum Manager. Inzwischen habe ich in meiner heutigen Rolle enorm viel mit Menschen zu tun; das möchte ich gar nicht mehr missen.

Bevor Sie in das Familienunternehmen eingestiegen sind, haben Sie für diverse andere Unternehmen gearbeitet. Was haben Sie dort als Angestellter für Ihre heutige Position gelernt?
Ich habe als beratender Ingenieur in vielen Projekten gearbeitet. Das waren immer wieder neue Aufgabenstellungen für neue Kunden mit neuen Kollegen. Erfolgsfaktor war dabei weniger die Technik als vielmehr die Definition von Schnittstellen.

Inwiefern spielt Ihre technische Ausbildung heute überhaupt noch eine Rolle in Ihrem Arbeitsalltag?
Eigentlich spielt sie leider keine so große Rolle mehr, aber sie hat dennoch den Vorteil, dass ich auf Augenhöhe mit unseren Ingenieuren diskutieren kann. Davon gibt es nun einmal eine ganze Menge im Unternehmen. So verstehe ich nicht nur, worum es technisch geht, sondern kann mich auch in die spezifische Denkweise und Arbeitssituation versetzen.

Fehlt Ihnen das technische Arbeiten manchmal?
Ja, das fehlt mir tatsächlich ab und zu. Aber dafür habe ich ein entsprechendes Haus gebaut, in dem ich die gesamte Regel- und Steuerungstechnik selbst entwickelt habe.

Im Managermagazin war zu lesen, dass Sie ein selbstgebautes Elektroauto fahren. Was hat Sie dazu veranlasst, ein eigenes Elektroauto zu bauen?
Ganz einfach: Wie heute immer noch, haben die Autohersteller schon vor 20 Jahren – und so alt ist mein Fahrzeug jetzt schon – immer nur von Elektroautos geredet, aber nicht geliefert. Damit wollte ich mich nicht abfinden. Da habe ich mir eben selbst eins gebaut.

Brauchen Sie immer neue Herausforderungen?
Ja. Sowohl privat als auch im Job. Herausforderungen machen den Arbeitstag und das Leben überhaupt immer wieder spannend.

Was wird Ihre nächste Herausforderung sein?
Meine Nachfolgeregelung (lacht).

Wussten Sie schon zu Beginn Ihres Studiums, dass Sie eines Tages das Familienunternehmen führen würden?
Gewusst habe ich es nicht, aber geahnt. Und vorstellen konnte ich es mir schon.

Wie unterscheidet sich eine Karriere wie die Ihre von der eines anderen Managers?
Gibt es überhaupt vergleichbare Karrieren? Ich glaube nicht. Jeder Mensch muss schließlich seinen eigenen Weg gehen, einen eigenen Stil entwickeln. Es gibt viele verschiedene Wege zum Glücklichsein, und wenige sichere Wege zum Unglücklichsein.

Was bedeutet Ihnen Erfolg?
Erfolg bedeutet Zufriedenheit. Die Frage ist allerdings, was man selbst als Erfolg bereit ist zu verbuchen.

Sie sind sehr jung zum Vorstandsvorsitzenden aufgestiegen. Mussten Sie lernen, sich durchzubeißen?
Ja, das Lernen hört nie auf.

Sie haben eine ganze Weile im Ausland, in Kanada und den USA, gearbeitet. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt, was Sie in Deutschland nicht hätten lernen können?
Ich habe gelernt, welchen Unterschied die Ausrichtung der Achse der Waschmaschinentrommel machen kann. Das ist nicht nur ein technischer Unterschied, das ist einfach eine Kulturfrage. Für uns übersetzt heißt das, ein Produkt, das wir für den einen Markt entwickeln, auch wenn es höchsten Ansprüchen genügt, muss deswegen nicht für jedes andere Land der Welt genauso einsetzbar sein. Wir müssen uns an unsere Märkte und die unterschiedlichen Kulturen anpassen – oder anders gesagt, darauf einlassen können, um global erfolgreich zu sein. Deswegen empfehle ich jungen Menschen immer, eine Zeit lang im Ausland zu studieren oder zu arbeiten. Das kann für die Karriere, aber auch für die persönliche Entwicklung nur von Vorteil sein. Je früher man einen Auslandsaufenthalt erlebt, desto besser. Die Globalisierung der Welt fordert diese Offenheit für andere Kulturen.

Worauf achten Sie außerdem noch, wenn Sie einen Hochschulabsolventen bei Dräger einstellen?
Jemand, der bei Dräger arbeiten möchte, muss verstehen, was wir machen. Dräger macht Technik für das Leben. Das ist unsere Motivation und bedeutet die Kombination von Technologie- und Applikationswissen. Um beispielsweise ein Beatmungsgerät mit unserem Anspruch an Therapiequalität zu entwickeln, muss ich neben meinem Ingenieurverstand auch detailliert wissen, wie eine Lunge funktioniert. Das erfordert also eine gewisse Hingabe und Offenheit, sich in fachfremde Gebiete einzudenken. Neben diesem Verständnis muss der brennende Wunsch, sich sinnvollen Aufgaben zu stellen, vorhanden sein. Denn bei uns macht die Arbeit Sinn. Unsere Produkte schützen, unterstützen und retten Leben. Unsere Mitarbeiter müssen daher auch ein ganz bestimmtes Potenzial haben. Sie müssen die Wichtigkeit ihrer Arbeit erkennen und über soziale Stärken verfügen. Der eiskalte Managertyp passt definitiv nicht zu uns.

Haben Sie noch einen Karrieretipp für unsere Leser?
Ja: Auch wenn Sie oft im Detail arbeiten, sollten Sie versuchen, den Blick auch für globale Belange zu bekommen. Das Verstehen der Gesamtzusammenhänge ist nämlich auch für die Detailarbeit äußerst wichtig. Die kann nur dann gut werden, wenn allen das große Ganze klar ist.

Zum Unternehmen

Das Lübecker Unternehmen „Drägerwerk Verwaltungs AG“, das nun schon in der fünften Generation als Familienunternehmen geführt wird, existiert 2009 genau seit 120 Jahren. Bereits im Gründungsjahr meldete der Laden- und Werkstattbetrieb „Dräger und Gerling“, wie er in den ersten drei Jahren seines Bestehens hieß, das erste Patent an. Mit der Einführung eines Inhalations-Narkoseapparats 1904 bereitete Dräger nicht nur den Weg für die moderne Narkosetechnik, sondern sicherte auch seinen festen Platz in der Medizintechnik. Neben dieser ist der Unternehmensbereich Sicherheitstechnik das andere Standbein des Unternehmens. Bereits 1907, also vor über hundert Jahren, begann Dräger, sich international auszurichten und gründete eine Tochtergesellschaft in den USA. Heute ist das Unternehmen in 190 Ländern der Erde vertreten und betreibt in mehr als 40 Ländern Vertriebs- und Servicegesellschaften.