Interview mit Petra Hesser

Petra Hesser, Foto: IKEA
Petra Hesser, Foto: IKEA

Seit Anfang letzten Jahres steht eine Frau an der Spitze des berühmtesten Imports aus Schweden: Petra Hesser, 48, ist die Deutschland-Chefin von IKEA.

Zur Person

Petra Hesser, geboren am 5.11.1958 im baden-württembergischen Neckarsulm, ließ sich zunächst zwei Jahre lang bei Hertie in Nürnberg zur Handelsassistentin ausbilden. Anschließend studierte sie Betriebswirtschaft an der Fachhochschule in Mainz. Mit 24 Jahren begann sie als Abteilungsleiterin im Verkaufsservice von IKEA in Wallau und arbeitete unter anderem als Geschäftsführerin einer Niederlassung sowie als Personalleiterin von IKEA Deutschland. 2002 ging sie als Geschäftsführerin in die Niederlande, bevor sie vier Jahre später als Geschäftsführerin von IKEA Deutschland nach Wallau zurückkehrte. Petra Hesser lebt in einer festen Partnerschaft und hat keine Kinder.

Was war Ihr erstes IKEA-Möbelstück, und wann haben Sie es gekauft?
Als ich 1981 angefangen habe zu studieren, habe ich mir bei IKEA ein Ivar-Regal gekauft. Später habe ich es an meinen Bruder verschenkt. Mein Ivar-Regal gibt es mittlerweile nicht mehr, aber die Serie hat IKEA noch immer im Angebot. Das Ivar-Regal ist einer unserer Klassiker.

Sie sind nach Ihrem Studium 1984 bei IKEA eingestiegen und haben sich hochgearbeitet bis zur Deutschland-Chefin. Ist solch eine Karriere heutzutage überhaupt noch möglich?
Um so lange in einem Unternehmen zu bleiben, müssen natürlich verschiedene Faktoren zusammenkommen. Wichtig ist, dass der Mitarbeiter immer neue, herausfordernde Aufgaben erhält und sich dadurch beruflich und persönlich weiterentwickeln kann. Das Unternehmen muss eine entsprechende Weiterbildungs- und Entwicklungsstruktur bieten, die solche Wechsel ermöglicht. Wenn sich Interessensgebiete verlagern, sollten die Mitarbeiter nicht gezwungen sein, für den Rest ihres Lebens auf der Spur zu bleiben, die sie einmal gewählt haben. Wer diese Offenheit für Neues mitbringt, sollte sich auch ein Unternehmen suchen, das diese Offenheit widerspiegelt.

Und IKEA ist solch ein Unternehmen?
Ich denke schon, dass wir unseren Mitarbeitern außergewöhnliche Karrierewege bieten können. Auch ich bin deshalb so lange geblieben, weil ich immer wieder vor neue Aufgaben und Herausforderungen, neue Standorte oder sogar ein neues Land gestellt worden bin. Etwa alle drei bis fünf Jahre habe ich immer wieder etwas Neues begonnen. Ein anderes Beispiel: Einer unserer Mitarbeiter war lange Jahre im Logistikbereich tätig. Später hat er als Chef eines Einrichtungshauses gearbeitet, danach hat er Projektaufgaben übernommen. Jetzt ist er verantwortlich für alle IKEA-Restaurants in Deutschland. Er hat bewiesen, dass er das Interesse, die notwendigen Managementfähigkeiten und den Willen mitbringt zu lernen. Daran glauben wir, und daher setzen wir mehr auf die Motivation unserer Mitarbeiter als auf geradlinige Lebensläufe.

Haben Sie es jemals bereut, außer bei Ihrer Ausbildung niemals woanders als bei IKEA gearbeitet zu haben?
Bereut habe ich es nicht. Aber manchmal denke ich, ich müsste eigentlich mal gesehen haben, wie es in anderen Unternehmen zugeht, welche Schwierigkeiten sie haben und wie ich sie meistern würde. Aber ich finde es nicht grundsätzlich gut oder schlecht, viele Jahre in einem Unternehmen zu bleiben. Das hängt von den Aufgaben und dem Unternehmen ab sowie vom Anspruch, den der Mitarbeiter an sich und seine Arbeit stellt. Will er möglichst viele Unternehmen kennen lernen und sich immer wieder in neue Aufgaben einarbeiten, ist ein Wechsel sicherlich nicht schlecht. Auch wir haben Mitarbeiter in Top-Positionen, die wir von extern rekrutiert haben und die ebenso erfolgreich sind wie Menschen, die sich im Unternehmen hochgearbeitet haben. Bei uns gibt es beide Wege.

Wann haben Sie die Entscheidung getroffen, in den Handel zu gehen?
Schon recht früh. Ich bin auf dem Land groß geworden, und als ich das erste Mal bewusst in der Großstadt einkaufen war, bin ich in einem Kaufhaus die Rolltreppe hochgefahren und fand den Ort faszinierend. Ich dachte nur: Hier muss ich arbeiten! Gleichzeitig wuchs der Wunsch, dass ich eines Tages Chef eines Kaufhauses sein wollte. Nach dem Studium hätte ich auch die Möglichkeit gehabt, in einer Bank volkswirtschaftliche Analysen zu erstellen. Ich sah mich schon hinter den Ordnern sitzen, ohne Kontakt zu Menschen – das wäre für mich undenkbar gewesen.

Was fasziniert Sie denn so sehr an der Handelsbranche?
Das Gleiche wie am ersten Tag: die Dynamik im Einzelhandel, die Begegnungen mit Menschen, Kunden wie Mitarbeitern. Im Handel kann man sofort den Erfolg seines Handelns erkennen: Hat man den Kunden gut beraten, kauft er etwas. Es bewegt sich einfach so viel.

Sie waren über drei Jahre lang Geschäftsführerin in Holland und haben sogar Niederländisch gelernt. Wie haben Sie davon profitiert?
Dass ich mich mit den Mitarbeitern in ihrer Sprache unterhalten konnte, hat mir sehr viele Türen geöffnet. Daher kann ich jedem raten, bevor er für längere Zeit in ein fremdes Land geht, die Sprache zu lernen, und seien es nur die Grundzüge. Ich habe während meines Auslandsaufenthalts in den Niederlanden viele Expatriates erlebt, die mit ihren Kollegen auf Englisch kommuniziert haben, was ja in Holland kein Problem ist. Aber man bleibt immer ein wenig der Außenseiter. Selbst wenn man die Sprache kennt, ist es schon schwer genug, Teil der Gesellschaft zu werden – ohne gemeinsame Sprache ist es noch schwieriger.

Welche weiteren Tipps können Sie für einen Auslandsaufenthalt geben?
Zeigen Sie Respekt vor der neuen Kultur! Man darf nicht sein eigenes Kulturverständnis ins Land mitbringen und versuchen, dieses dort zu implementieren. Stattdessen sollte man sich die Menschen und ihre Kultur anschauen und erfahren, wie sie miteinander und mit Fragestellungen umgehen. Indem man Dinge ausprobiert, zeigt man Offenheit und nimmt am Leben im Land teil. Davon profitiert nicht nur die persönliche Entwicklung, sondern auch das Verhältnis zu den Kollegen und Mitarbeitern. Man wird schnell als einer von ihnen anerkannt, was vieles erleichtert. Darüber hinaus sollte man sich fragen, welche Werte die Menschen in dem fremden Land haben. Um diese zu erkennen, muss man Empathie mitbringen und auf die Werte eingehen. Das heißt nicht, dass man seine eigenen Werte vernachlässigen und für unwichtig halten sollte. Man muss einfach eine gemeinschaftliche Basis für die Zusammenarbeit finden. Ich empfehle jedem, der ins Ausland gehen will, sich in Seminaren über die kulturellen Unterschiede in den Ländern zu informieren.

Ist denn der Unterschied zwischen Deutschland und den Niederlanden wirklich so groß?
Jedes Land ist unterschiedlich, selbst wenn es nur das Nachbarland ist. Ein Beispiel: Weihnachten spielt in den Niederlanden keine so große Rolle wie in Deutschland. Viel wichtiger ist für die Niederländer der 5. Dezember – von dem ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Am 5. Dezember kommt Sinterklaas und bringt die Geschenke. Alle Geschäfte schließen schon um 17 Uhr. Das war für mich ganz neu, und ich musste mich bei meiner Arbeit darauf einstellen.

Der IKEA-Europachef Nord, Werner Weber, hat Sie auf Ihrem beruflichen Weg unterstützt. Wie wichtig ist ein Mentor für die Karriere?
Enorm wichtig. Ich kann von Glück sagen, dass ich immer Menschen um mich herum hatte, die an mich geglaubt haben. Sie haben mit mir zusammen Schritte gemacht und sind dabei hin und wieder vielleicht auch ein Risiko eingegangen – aber es hat mir geholfen zu lernen. Ich erinnere mich an eine Episode während meiner Ausbildung bei Hertie. Ich durfte eigenständig eine 100 Quadratmeter große Fläche als Bildergalerie ausstatten. In meiner Euphorie habe ich nur Bilder gekauft, die mir selbst gefallen haben. Und jetzt raten Sie mal, wie viel ich verkauft habe? Sehr wenig! Mein Abteilungsleiter hat zwar gesehen, was in der Galerie passierte, aber er hat mich meine Erfahrung machen lassen. Nachher haben wir die Sache besprochen – und seitdem habe ich nie wieder Produkte eingekauft, die nur ich gut finde. Fazit: Sie brauchen Menschen, die bereit sind, für Sie einzustehen, die Fehler mittragen und die sich die Zeit nehmen, an Sie zu glauben. Solche Menschen hatte ich zum Glück immer an meiner Seite.

Wie findet man einen guten Mentor?
Das Persönliche spielt eine große Rolle, man muss eine Beziehung zu ihm aufbauen können. Zu dem Verhältnis zwischen Mentor und Mentee gehört viel Vertrauen. Der Mentor muss Sie auf einen Weg schicken können und dabei hinter Ihnen stehen. Wenn es schiefgeht, muss er bereit und in der Lage sein, für den Fehler einzustehen. Er sollte die Abläufe und Strukturen in einem Unternehmen kennen und Ihnen Türen öffnen. Als Alternative für die persönliche Entwicklung kann sich auch ein Coach anbieten. Wir bei IKEA geben unseren Mitarbeitern die Möglichkeit, zum Beispiel bei Veränderungsprozessen oder bei der Übernahme einer neuen Abteilung Coaches in Anspruch zu nehmen. Wer erkennt, dass er Bedarf hat, sollte einfach die Initiative ergreifen.

Ist es richtig, dass Sie täglich zwölf Stunden und mehr arbeiten? Wie hält man solch eine Arbeitsbelastung auf Dauer aus?
Die Arbeit ist mein Leben, und sie macht mir Spaß. Ich schaue daher nicht immer auf die Uhr. Manchmal sind die Tage lang, manchmal mache ich auch früher Feierabend. Sicher, ich komme bestimmt auf 50 bis 60 Stunden in der Woche, aber ich gebe ja nicht zwölf Stunden am Tag permanent Output. Das kann aus meiner Sicht niemand leisten. Auch ich brauche Phasen, in denen ich nachdenken und neue Kraft sammeln kann. Denn Führungskräfte, die viel mit Menschen arbeiten, geben viel von ihrer eigenen Kraft und Energie weiter. Sich mit vielen unterschiedlichen Menschen und Themenstellungen auseinanderzusetzen, ist eine große Herausforderung. Als Ausgleich muss ich hin und wieder auch mal mit mir allein sein, spazieren gehen, lesen, zu Hause sein, mit Freunden, mit meiner Familie – einfach auftanken.

Haben Sie schon einmal Mitarbeiter entlassen müssen?
Ja, sich von Mitarbeitern zu trennen – ob aus Betriebs- oder aus persönlichen Gründen – gehört zu den Aufgaben einer Führungskraft dazu.

Und wie gehen Sie persönlich damit um?
Mir ist es immer wichtig, dass ich die Chance habe, dem Mitarbeiter meine Entscheidung verständlich darzulegen. Ich nehme mir die Zeit, meine Gründe deutlich zu machen. Viele empfinden die Entscheidung sicherlich zunächst als hart und ungerecht, aber ich will, dass derjenige sie versteht, sie nachvollziehen kann. Er soll daraus lernen und die Veränderung positiv sehen. Ich stehe heute noch mit vielen der Mitarbeiter, die ich irgendwann einmal entlassen musste, in Kontakt. Sie melden sich regelmäßig bei mir, um mir über ihre Entwicklungsschritte zu berichten.

Sehen Sie sich als Vorbild für Frauen in Führungspositionen?
Der Unterschied zu vielen anderen weiblichen Führungskräften: Ich habe keine Kinder. Diesen Teil musste ich in meinem Leben niemals managen. Ich habe daher sehr großen Respekt vor Frauen, die in der Lage sind, Familie, Kinder und Beruf in Einklang zu bringen. Für diese Frauen kann ich also kein Vorbild sein. Aber vielleicht kann ich auf einem anderen Gebiet als gutes Beispiel vorangehen: Ich habe mich nie verstellt, nur weil ich eine Frau bin. Ich habe mich niemals als Frau verbiegen wollen und müssen. Dieses Authentischsein ist für mich enorm wichtig.

Welche Voraussetzungen müssen Frauen erfüllen, die wie Sie Karriere machen wollen?
Meiner Meinung nach keine anderen als Männer. Sie müssen eine gute fachliche Grundlage haben, Managementwissen mitbringen und das Thema Führung und Menschen lieben.

Das „Du“ gehört zur Unternehmenskultur bei IKEA. Duzen Sie auch Ihre Mitarbeiter?
Selbstverständlich.

Welchen Einfluss hat diese Anrede auf die Unternehmenskultur?
Das „Du“ hat keinen Einfluss auf unser Miteinander, wir nehmen das gar nicht mehr bewusst wahr. Viel wichtiger ist uns das Führungsverständnis. Ich setze mich immer mit meinen Mitarbeitern auseinander. Wir bestimmen gemeinsam unsere Ziele, entwickeln die Maßnahmen, tauschen uns ständig aus. Ich lasse meine Mitarbeiter an allen Prozessen teilhaben. Aber nachdem man alles durchgesprochen hat, muss einfach einer die Entscheidung treffen, und das ist in der Regel die Führungskraft. Das geschieht jedoch im Einvernehmen mit den Mitarbeitern. Und danach gehen wir zusammen unseren Weg weiter.

Zum Unternehmen

IKEA wurde 1943 vom damals erst 17-jährigen Ingvar Kamprad gegründet. Der Unternehmensname setzt sich zusammen aus den Initialen des Namens des Unternehmensgründers sowie des elterlichen Bauernhofs Elmtaryd und des dem Hof nächstgelegenen Ortes Agunnaryd. Heute beschäftigt IKEA weltweit 104.000 Mitarbeiter, davon rund 13.000 an 40 Standorten in Deutschland. Der weltweite Umsatz stieg im Geschäftsjahr 2006 um 17 Prozent auf 17,3 Milliarden Euro, wobei Deutschland mit 2,95 Milliarden Euro das umsatzstärkste Land ist.