Interview mit Karlheinz Kögel

Karlheinz Kögel, Foto: Media Control
Karlheinz Kögel, Foto: Media Control

Manager werden Manager, weil sie hoch hinauswollen. Manchen gelingt das besser als anderen, und ganz wenige erreichen dieses Ziel im wortwörtlichen Sinn. Karlheinz Kögel zum Beispiel. Er ist nicht nur erfolgreicher Gründer und Chef von L’tur, der Media Control GmbH und mehrerer anderer Firmen, sondern auch Pilot. Er hat die Berufspilotenlizenz CPL(A) für Maschinen bis zu 5,7 Tonnen Gewicht und neun Passagiere. Dorothee Köhler traf sich mit ihm an einem denkbar passenden Ort – am Flughafen Frankfurt –, um mit ihm über die Parallelen zwischen Führen und Fliegen zu sprechen.

Zur Person

Er ist ein auf dem Boden gebliebener Überflieger: Medien- und Touristikunternehmer Karlheinz Kögel, 61, startete seine berufliche Laufbahn als Schreiner, bevor er einige Semester Betriebswirtschaft studierte und dann beim Süddeutschen Rundfunk als Volontär, Redakteur und Moderator arbeitete. 1976 gründete er die Media Control GmbH, die in ganz Europa Reichweiten unterschiedlicher Medien (CDs, DVDs, Bücher, Videos) ermittelt. Einige Jahre später stieg er in die Reisebranche ein und gründete unter anderem 1987 den Last-Minute-Spezialisten L’tur, von dem er heute noch Anteile in Höhe von 44 Prozent hält; weitere Aktionäre sind die TUI AG und die Thomas Cook AG.

Woran haben Sie schon als junger Mann gemerkt, dass Sie nach oben streben?
Ich hatte immer nur ein Ziel: selbstständig sein. Ich wollte irgendwann über meine eigene Zeit, über mein Leben selbst bestimmen. Das halte ich auch nach wie vor für ein faszinierendes Thema. Ich kann mir heute meistens aussuchen, mit wem ich mich umgebe. Diesen Grad an Freiheit genieße ich sehr. Mein Ziel war es auch nie, Millionen zu verdienen. Wer ein solches Ziel hat, wird falsch geleitet. Dass ich zu einer Führungspersönlichkeit wurde, hat sich erst entwickelt. Zwangsweise. Ich bin an der Größe meiner Aufgaben immer gewachsen.

Das Fliegen bezeichnen Sie als Ihre Leidenschaft. Was können Manager vom Fliegen lernen?
Sie können lernen, dass das Berufsleben aus denselben Elementen besteht wie ein Flugprofil: Climb, Cruise and Descend – Steigflug, Reiseflug und Sinkflug. Manche Führungskräfte durchlaufen dieses Profil nur einmal. Sie steigen auf, bleiben permanent auf der erreichten Höhe und gehen dann wieder hinunter. Andere wiederholen diese Kurve mehrmals in ihrer Karriere. Letzteres halte ich übrigens für den Normalfall.

Was muss man beim Fliegen und Führen gleichermaßen beachten?
Man muss bei allem, was man tut, immer einen Schritt weiter denken. Während der Pilotenausbildung bekommt man diese Denkweise eingebläut: „Was passiert, wenn ich das jetzt mache? Was ist dann der nächste Schritt? Und der übernächste?“ Ebenfalls wichtig für beide Bereiche: das Multitasking. Beim Fliegen muss man acht bis zehn Instrumente gleichzeitig im Blick haben. Auch beim Führen gibt es vieles, das man permanent im Fokus behalten muss: die Gesellschafter, die möglichst hohen Profit sehen wollen; soziale Kompetenz, mit der man sich im Unternehmen und im Netzwerk bewegt. Alleine kann man als Führungskraft gar nichts erreichen. Man muss Menschen motivieren, ihnen zeigen, wo es hingeht, aufrichtig sein, denn es gibt Dinge, die nicht verziehen werden: Lügen oder Heimlichtuereien. Das Ziel muss immer klar sein, wie beim Fliegen auch, das darf man nie aus dem Blick verlieren.

Kann man die Kommunikation im Cockpit vergleichen mit der in einem Unternehmen?
Nur bedingt. An Bord hat man lediglich eine One-to-one-Kommunikation mit dem Boden. Und bei der Kommunikation zwischen den beiden Piloten ist die Situation fast schon widersprüchlich: Einerseits muss zwischen ihnen zu jedem Zeitpunkt klar sein, wer der Kapitän ist. Aber gleichzeitig sollten beide auf gleicher Augenhöhe sein, damit es keine Hierarchie gibt und womöglich aus Angst etwas nicht gesagt wird, was vielleicht wichtig oder gar überlebenswichtig wäre. Eine solche Situation findet man in Unternehmen eher nicht vor. Zu Recht, denke ich. Aus meiner Sicht funktionieren Doppelspitzen nicht, weil da die Rollen oft nicht klar sind. Einer muss führen. Einer ist „in charge“, in der Verantwortung.

Was sind weitere Erfolgsfaktoren, die für das Fliegen und das Führen gleichermaßen unabdingbar sind?
Disziplin und Präzision sind die obersten Gebote beim Fliegen. Dazu gehören viele Dinge, zum Beispiel darf man zwölf Stunden vor einem Flug keinen Alkohol mehr trinken. Nachlässigkeiten irgendwelcher Art kann man sich nicht erlauben, denn es gibt zu viele Regeln, die eingehalten werden müssen. Präzision ist beim Fliegen unerlässlich, und zwar hundertprozentige Präzision. 99 Prozent reichen hier nicht. Man muss sich zu jeder Sekunde darüber klar sein, welche Verantwortung man trägt: für sich selbst, für den Co-Piloten und für die Menschen, die hinter einem sitzen.

Gelten diese Erfolgsfaktoren auch für das Führen?
Auch hier ist Präzision immens wichtig. Man muss zwar nicht alle Details beherrschen, sollte jedoch Menschen um sich herum haben, denen man zutraut, diese Details zu stemmen. Man kann vieles delegieren. Aber Dinge und Abläufe nur flüchtig zu betrachten, einfach darüber hinwegzuhuschen, halte ich für einen großen Fehler. Es kann natürlich nie eine hundertprozentige Präzision erreicht werden. Aber eine Führungskraft sollte zumindest die Vision haben, wie es laufen müsste, und die Mitarbeiter, die diese Vision erfüllen. Nichts ist schlimmer, als wenn etwas vereinbart und dann nicht erledigt wurde. Das treibt mich persönlich zum Wahnsinn! Auf der anderen Seite darf man sich als Führungskraft nicht so sehr in Details vertiefen, sonst verliert man sich im Mikromanagement und kommt nicht mehr zum Führen. Hier gilt es, eine vernünftige Balance zu finden.

Welche Probleme gibt es in beiden Bereichen?
Man muss mitunter sehr schnell Entscheidungen treffen. Mir hat einmal ein Linienmaschinen-Pilot gesagt: „Ich bekomme meine 10.000 Euro für die eine Minute, in der etwas schiefgeht. Der Rest ist Routine.“ Das kann man beim Manager allerdings nicht so sagen. An Manager und an Führungskräfte werden permanent sehr hohe Ansprüche gestellt, nicht nur in Krisensituationen.

Was hat Ihnen persönlich das Fliegen für den Job gebracht?
Ich habe Weitsicht gelernt. Weil ich immer einen Schritt weiter denke, als man das normalerweise tut. Und ich habe eine große Gelassenheit entwickelt, die es mir erlaubt, mit dem Auf und Ab im Leben und im Beruf entspannt umzugehen. Ich bin immer wieder fasziniert davon, dass so viele glauben, es ginge permanent nur nach oben. Die haben den Misserfolg nicht programmiert. In jedem Businessplan kann man lesen: Nächstes Jahr werden wir vier Prozent mehr Gewinn machen, im Jahr darauf mindestens fünf Prozent. Niederlagen sind nicht vorgesehen. Aber sie gehören zum menschlichen Leben. Und als Flieger weiß man, dass es runtergehen muss. Sonst kann es nicht mehr hochgehen.

Piloten müssen regelmäßig in einem Flugsimulator ihr Können unter Beweis stellen. Brauchen wir auch einen „Führungssimulator“?
Einen Management-TÜV brauchen wir sicherlich nicht. Letztlich entscheidet Erfolg oder Misserfolg darüber, ob eine Führungskraft gut ist oder nicht. Und die Kompetenz von Führungskräften besteht aus vielen Faktoren, die man zum Teil überhaupt nicht objektiv messen kann. Führungskräfte sind nicht automatisch gut, obwohl sie Qualifikationen wie ein glänzend abgeschlossenes Studium, Praktika und Fremdsprachenkenntnisse vorweisen können. Wenn ihnen die Herzensbildung fehlt, wird dennoch nichts aus ihnen. Eine entsprechende Balance zu halten, ist wichtig für alle, die nach oben wollen. Freunde, stabile soziale Beziehungen, Networking – das ist für mich die Zukunft. Und das kann man nur, wenn man die entsprechende Persönlichkeit besitzt.

Wer fliegt, der weiß: Die Luft oben ist dünn. Gilt das auch für das Führen?
Und wie. Jedes Unternehmen ist mit einer Pyramide vergleichbar. Je weiter man nach oben kommt, desto weniger Menschen befinden sich auf derselben Ebene: weniger Menschen, die einen verstehen, weniger Menschen, mit denen man im Gleichschritt Ziele erfolgreich durchsetzen und erreichen kann. Die Luft ist aber auch dünn, weil man in dieser exponierten Stellung unter einem sehr starken Druck steht: dem Druck, etwas zu zeigen, etwas darzustellen. Tut man das nicht, geht einem die Luft aus. Ganz oben, an der Spitze der Pyramide, habe ich erstaunlicherweise immer wieder Menschen getroffen, die diese Erwartungshaltung gar nicht haben. Die deswegen ganz anders sind als die breitere Basis der Pyramide. Oben sitzen Menschen, die einen sehr hohen Grad an Bürgerlichkeit haben, die Werte haben, die weder aufgeblasen noch abgehoben sind und die auch nicht permanent in Anglizismen reden.

Gibt es Führungskräfte, für die die Luft weniger dünn ist?
Sicher nicht. Die Luft ist für jeden dünn, der hochkommt. Und jeder, der hochkommt, nimmt das billigend in Kauf. Er weiß: Da oben kann ich mehr verdienen, da habe ich größeren Erfolg, ich habe Macht, es ist sexy da oben. Aber er weiß auch: Ich habe keine Ausweichmöglichkeiten mehr, ich kann mich nicht mehr verstecken, ich kann nicht mehr in der Masse abtauchen. Top- Führungskräfte haben meistens Zeitverträge und wenn sie einen Fehler machen, sind sie von heute auf morgen weg. Zwar mit einer guten Abfindung, aber sie sind weg. Auch deswegen ist die Luft oben dünn.

Zum Unternehmen

Kögels Firma Media Control GmbH richtet seit 1992 den Deutschen Medienpreis aus, der an Persönlichkeiten verliehen wird, die sich um eine bessere Welt verdient gemacht haben. Zu den Preisträgern gehören Nelson Mandela, Bill Clinton, Königin Silvia von Schweden und Kofi Annan. Der aktuelle Medienpreis wurde kürzlich an Steffi Graf und Andre Agassi verliehen. Auch privat engagiert sich Karlheinz Kögel immer wieder sozial und ehrenamtlich: Er unterstützt Nelson Mandela und die Aids Foundation und hat mit seinen Kindern – 15, 17 und 19 Jahre alt – vergangenes Jahr in Kambodscha ein Aids-Projekt besucht, um dort bei der täglichen Arbeit mitzuhelfen.