Interview mit Just Schürmann

Der Kosmopolit

Just Schürmann, Foto: The Boston Consulting Group
Just Schürmann, Foto: The Boston Consulting Group

Was er in seiner Kindheit begonnen hat, führt Just Schürmann bis heute fort:Reisen in die verschiedensten Länder gehören zu seinem Arbeitsalltag als Strategieberater. Als „Nebenjob“ sucht er die besten Köpfe für einen Einstieg bei der Boston Consulting Group – und schafft es bei all der Arbeit, noch genügend Zeit für seine Familie zu haben. Mit Sabine Olschner sprach er über Beraterstress, Heimatgefühle und den Wert von Musicals.

Zur Person

Just Schürmann wurde 1968 in Teheran geboren und wuchs in Kabul und San Francisco auf. Er studierte BWL und VWL an der Universität Passau und der London School of Economics. Zuvor hatte er bei der Siemens AG eine Lehre zum Industriekaufmann absolviert. Seit Mitte 1996 ist Just Schürmann Berater im Münchner Büro der Boston Consulting Group, 1998 verbrachte er 18 Monate im BCG-Büro in Madrid. Seine Kunden kommen vor allem aus der Konsumgüterindustrie und dem Handel. Anfang 2005 wurde er Geschäftsführer und Partner von BCG und übernahm die Verantwortung für die Nachwuchssuche von BCG in Deutschland. Just Schürmann ist verheiratet und hat eine Tochter. In seiner Freizeit ist der begeisterte Mountainbiker, der auch eine Alpenüberquerung nicht scheut, gern in den Münchner Hausbergen unterwegs.

Sie sind als Kind viel herumgekommen: Teheran, Kabul, San Francisco, München …Wo fühlen Sie sich heimisch?
In Deutschland und hier speziell in München. Über die eigene Familie bekommt man ein gewisses Kulturgut mit, egal wo man lebt. Dabei spielt sicherlich die Sprache eine wichtige Rolle: Zu Hause habe ich mit meinen Eltern Deutsch gesprochen, in der Schule oder mit Freunden Englisch. Die Familie prägt die persönliche Identität und auch das Heimatgefühl.

Haben Sie das Reisen in Ihrer Kindheit und Jugend als positiv empfunden?
Rückblickend bin ich sehr dankbar, dass ich in verschiedenen Ländern aufwachsen konnte.Man gewinnt eine gewisse Flexibilität und Sicherheit im Umgang mit anderen Kulturen. In Amerika aufgewachsen zu sein, hat mir sehr viel gebracht, auch für meinen Beruf: Zum einen natürlich die englische Sprache, zum anderen aber auch die Erfahrung mit der vielfältigen amerikanischen Kultur. Die verschiedenen Nationalitäten und ethnischen Gruppierungen, die dort auf einem Fleck zusammenkommen, öffnen den eigenen Horizont. Man begegnet dem Neuen grundsätzlich erst einmal offen und neugierig.

Welches Land würden Sie einem Studenten für einen Auslandsaufenthalt empfehlen?
Der Auslandsaufenthalt an sich hat schon einen hohen Wert, unabhängig von dem Land, in das man geht. Es zählt viel mehr, dass man dort mit einer anderen Kultur konfrontiert wird. Sich in Polen, Portugal oder Korea zurechtzufinden, ist sicherlich eine größere Herausforderung, als in England, der Schweiz oder den USA zu leben.

Stimmt es, dass Consultant ein stressiger Beruf ist?
Für mich ist es ein herausfordernder Beruf. Man wird laufend mit neuen Themen und Unternehmen konfrontiert, betreut mehrere Projekte gleichzeitig und reist viel. Ich brauche diese Abwechslung und würde tägliche Routine eher als belastend empfinden. Consulting ist auf andere Art stressig als vergleichbare Jobs, in dem man jede Minute unter Hochspannung steht und ständig in kürzester Zeit die richtige Entscheidung treffen muss.

Wie schaffen Sie es, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen?
Ich setze sehr genau Grenzen und trenne Beruf und Privatleben.Wochenenden sind für mich heilig. Dafür muss ich halt in der Woche intensiver arbeiten. Und ich habe immer wieder längere Auszeiten genommen, zum Beispiel drei Monate lang nach der Geburt meiner Tochter.Wenn ich unterwegs oder beim Kunden bin, halte ich per Telefon engen Kontakt zu meiner Familie. Und ich bemühe mich, trotz wenig Freizeit meinen Freundeskreis zu pflegen. Dies alles hilft mir, die Bodenhaftung bei meiner Arbeit zu behalten.

Sie haben Top-Absolventen in einer Studie befragt,worauf es ihnen bei einem potenziellen Arbeitgeber ankommt. Die wichtigsten Ergebnisse?
Die Absolventen wollen einen Arbeitgeber, bei dem sie sich persönlich weiterentwickeln können, intellektuell arbeiten und gleichzeitig selbst etwas bewegen können. Bei der Frage nach der Work-Life-Balance geht es den Absolventen gar nicht so sehr darum, Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen: Sie sind durchaus bereit, sich stark zu engagieren, erwarten aber im Gegenzug auch Freiräume. Sie wollen Job, Familie, Freunde und vor allem Perspektiven. Je mehr Entwicklungsmöglichkeiten sie geboten bekommen, umso mehr sind sie bereit, viel Zeit in ihre Arbeit zu investieren, weil sie auch für sich persönlich viel dazulernen können.

Können Consultingunternehmen den Absolventen bieten,was sie erwarten?
Die Strategieberatung bietet anspruchsvolle Aufgaben und abwechslungsreiche Tätigkeiten mit den großen Themen in Unternehmen. IT- und Prozessberatung sind stärker standardisiert und bieten damit eher ein berechenbares Umfeld, in dem man seine Fähigkeiten entfalten kann. Generell sind Beratungen aufgrund der Projektarbeit sicherlich im Vorteil gegenüber Industrieunternehmen, wenn es um persönliche Freiräume geht.Wir ermöglichen auf jeder Karrierestufe eine Auszeit,während eine Führungsstelle in einem Industrieunternehmen nicht einfach drei Monate verwaist sein kann.

Sie sind Berater und Personalchef – welcher Job gefällt Ihnen besser?
Wenn ich mich für eines entscheiden müsste,wäre es die Beratung,weil mir die intensive Zusammenarbeit mit meinen Kunden viel Spaß macht. Im Grunde gefällt mir aber die Kombination aus beidem: Ich bin für eine Abteilung und alle dazugehörigen Aufgaben verantwortlich. Dadurch kann ich die Probleme meiner Kunden, die ebenfalls eine solche Führungsverantwortung tragen, besser verstehen.

Vor Ihrem Berufseinstieg haben Sie ein Musical geschrieben.Wie kam es dazu?
Ich hatte schon in der Schule ein großes Faible für Theater und bin auch selbst aufgetreten.Während meines Studiums habe ich mit meinem Mitbewohner, einem Musiker und Komponisten, und einem weiteren Kommilitonen ein Musicalunternehmen gegründet. Ich habe die Texte geschrieben, und gemeinsam haben wir das Stück produziert, aufgeführt und auf CD aufgenommen.

Was hat Ihnen dieses Projekt beruflich gebracht?
Ein eigenes Unternehmen zu gründen und so viele Leute als Mitwirkende und Zuschauer zu begeistern,war für mich eine wichtige Erfahrung. Mehr als hundert Personen waren über zwei Jahre lang an dem Projekt beteiligt.Wenn man Spaß an einer Sache und eine Vision vor Augen hat, kann man unglaublich viel erreichen. Diese Erfahrung hat mir für meine Beratertätigkeit und auch für meine Führungsrolle sehr viel gebracht.

Sollten alle angehenden Berater einmal im Leben ein Musical geschrieben haben?
Im übertragenen Sinne ja: Jeder sollte neben Studium oder Job etwas machen, für das er sich begeistert und das seinen Horizont erweitert. Genau das sind die Kandidaten, nach denen wir suchen. Bewerber, die nur perfekte Noten haben und im Ausland gewesen sind, aber deren Lebenslauf sonst weder Passion noch Persönlichkeit erkennen lässt, sind weniger interessant für uns.Wofür das Herz konkret schlägt, ist uns egal. Bei mir war das die Oper, bei anderen ist es soziales Engagement, Sport oder etwas ganz anderes.