Interview mit Frank Mattern

Hoch hinaus wollte er schon immer – und das ist ihm gelungen. In doppeltem Sinne: Frank Mattern, 45, ist neuer Deutschland-Chef von McKinsey und sitzt in der 21. Etage des Japan Towers am Taunustor.

Zur Person

Es geschah in der Zeit um 1961, als McKinsey-Mann John G. McDonald die Eröffnung des ersten Büros auf dem europäischen Festland vorbereitete: Am Heiligen Abend des Jahres 1961 wird Frank Mattern in Krefeld am Niederrhein geboren.
45 Jahre später ist er Deutschland-Chef von McKinsey. Dazwischen liegen die Jahre seines BWL-Studiums in Münster und London und die Zeit an der Wharton School in Pennsylvania, USA – dort erlangte er seinen Master of Business Administration.
Bei McKinsey ist er seit 1990, wo er schnell zum Experten der Bankenbranche avancierte: Fünf Jahre später ist er Partner, nach weiteren vier Jahren Director, seit Januar 2007 Deutschland-Chef.
Frank Mattern ist begeisterter Golfer und Geschichts-Fan, verheiratet und hat drei Kinder. Ein Weihnachtskind mit einem guten Stern im Leben.

Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie im Januar 2007 McKinsey Deutschland-Chef geworden sind?
Mein Leben und meine Arbeit sind noch vielfältiger geworden. Ich habe eine der attraktivsten Führungsaufgaben in der deutschen Wirtschaft übernommen. Denn als Beratungsfirma, deren höchstes Gut das Wissen ist, sind wir in einem ganz besonderen Maße auf die Qualität und die Motivation unserer Mitarbeiter angewiesen. Das stellt hohe Anforderungen an meine Führungsrolle. Ich lerne viel, aber ich kann auch viel weitergeben.

Welchen Anspruch haben Sie an sich selbst als Führungskraft?
Wir wollen der nächsten Generation eine stärkere Firma überantworten, als wir sie vorgefunden haben. Als Partnerschaft verfolgen wir im Gegensatz zu vielen börsennotierten Unternehmen, die ja zum Teil sehr kurzfristig denken müssen, längerfristige Ziele. Das gilt auch für mich als deutscher Office Manager. Ich will uns als globale Organisation weiterentwickeln – mit Beharrlichkeit, aber auch mit Geduld. Das bietet ein enormes Entwicklungspotenzial für junge, offene Menschen. Für uns gehören Recruiting und Talentmanagement zu den wichtigsten langfristigen Erfolgsfaktoren. McKinsey hat bereits vor Jahren den Begriff „War for Talent“ dafür geprägt.

Was macht generell eine gute Führungskraft aus?

Vor allem: zuhören können. Sie muss ihre Mitarbeiter motivieren und eine Perspektive prägen – andere würden sagen: eine Vision. Jede gute Führungskraft sollte ihren Stil an die unterschiedlichen Bedürfnisse anpassen, die sich je nach Entwicklungsphase des Unternehmens ändern können. Es gibt „Evergreens“ unter den Qualitäten, die von Führungskräften gefordert werden, Lernfähigkeit zum Beispiel oder Kommunikationsverhalten. Doch das Umfeld hat sich entscheidend verändert: Führungskräfte sind immer weniger Teil des operativen Geschäfts, sondern zunehmend Manager unterschiedlichster Stakeholder-Interessen.

Welche neuen Skills braucht eine Führungskraft also?
Die jungen Mitarbeiter stellen Fragen, die weit über interne Angelegenheiten hinausgehen. Fast alle Branchen müssen sich mit den teils dramatischen Konsequenzen der Globalisierung auseinandersetzen. Der Druck der Stakeholder wächst, die heute aus eigenen Überlegungen heraus Strategien entwickeln, unabhängig von den Zielen des Managements. Dazu kommt die rasante Digitalisierung unserer Welt, die unsere Art zu arbeiten oder zu kommunizieren fast täglich neu verändert. Die Nachhaltigkeit unseres Handelns erhält eine immer stärkere Bedeutung. Nehmen Sie nur die Diskussion um das Thema Corporate Social Responsibility oder den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Wirtschaft. Diesen Fragen muss ich mich als Führungskraft stellen können.

Gab es auf Ihrem Weg nach oben Hürden, die Sie nehmen mussten?
In einer professionellen Karriere gibt es natürlich viele formale Hürden: die Schule, das Studium, die Business School. Ich zum Beispiel musste dafür ein Stipendium gewinnen, sonst hätte ich sie nicht besuchen können, und McKinsey ist ein anspruchsvolles Unternehmen, auch seinen eigenen Mitarbeitern gegenüber. Ich habe all dies aber nie als Hürde empfunden. Wenn Sie mich hingegen fragen, welche Herausforderungen für mich schwierig waren, kann ich sagen: Gerade als junger Berater habe ich viel mit der Frage gekämpft, wie ich mich als 28-Jähriger mit Menschen auseinandersetzen kann, die einen ganz anderen Hintergrund haben als ich, die aus einer anderen Welt kommen. Wie kann ich sicherstellen, dass sie mir vertrauen und zuhören? Wie kann ich es schaffen, eine persönliche Bindung zu ganz unterschiedlichen Menschen aufzubauen? Das war nicht immer einfach und ist mir anfangs schwergefallen – vor allem, wenn man gerade eine stark akademisch orientierte Ausbildung hinter sich hat. Wir bei McKinsey versuchen, diese Einstellung zu ändern: Wir wollen aus den oft kopfgesteuerten jungen Hochschulabsolventen Menschen machen, die mit der Seele, dem Herzen und dem ganzen Verstand arbeiten können. Diese Reise musste ich auch machen.

Gab es Niederlagen, aus denen Sie gelernt haben?
Ich habe Niederlagen nie als Niederlagen empfunden – eher als Enttäuschungen, wenn zum Beispiel etwas nicht funktioniert hat oder ich mich bei einem Klienten blamiert habe. Auch das kommt vor. Ich habe von einem älteren Kollegen, der mittlerweile im Ruhestand ist, gelernt: Solche Enttäuschungen sollte man immer als Chance verstehen, von der man lernen kann. Was hat nicht funktioniert? Warum konnte ich nicht erfolgreich sein? Was mache ich beim nächsten Mal anders? Solche Situationen gibt es oft: Je höhere Ziele man sich setzt, umso häufiger wird man mit Enttäuschungen konfrontiert. Damit konstruktiv umzugehen, ist ein entscheidender Erfolgsfaktor in der Karriere als Führungspersönlichkeit.

Wie wichtig waren Mentoren auf Ihrem Weg nach oben?
Enorm wichtig. Als ich vor 17 Jahren bei McKinsey in Frankfurt anfing, lernte ich dort Partner kennen, die ich sehr interessant und überzeugend fand, und ich habe gemerkt, dass ich bei denen Wichtiges lernen kann. Diese Kollegen haben sich dann über viele Jahre als meine Mentoren entwickelt. Für ein erfolgreiches Mentoring braucht man jedoch immer zwei: einen Mentor, aber auch jemanden, der sich „mentoren“ lassen will – bezeichnenderweise gibt es dafür kein deutsches Wort.

Was ist wichtiger für die Karriere: Spezialisierung oder Generalisierung?
Ich würde nicht das Wort Spezialisierung verwenden, das hört sich zu sehr nach Verengung an. Besser ist es, sich in einem bestimmten Feld Expertise aufzubauen. Es gibt Berufe, bei denen Spezialisierung manchmal sogar unabdingbar ist: in der Wissenschaft, als Rechtsanwalt oder als Mediziner. Viel wichtiger bei der Entwicklung von Führungskräften fürs Management ist die „Diversity“, also die Vielfalt von Erfahrungen in unterschiedlichen Aufgaben. Hinzu kommt die regelmäßige Erneuerung. Wir nennen das „Renewal“.

Welche Rolle spielt das „Renewal“ für beruflichen Erfolg?
Nach sechs bis acht Jahren kommt man im Management, egal auf welche Ebene, erfahrungsgemäß an einen Punkt, an dem eigentlich alles gesagt und getan ist, was gesagt und getan werden konnte. Dann sollte man den nächsten Schritt machen und sich weiterentwickeln, indem man das Umfeld verändert, in dem man arbeitet. Auch ich habe das getan. Die Veränderung kann eine geografische sein oder auch ein Rollenwechsel innerhalb der Firma. Entscheidend ist dabei die Frage, ob ich mich eigentlich noch weiter entwickle oder schon anfange, mich zu wiederholen. Ich sehe bei vielen Führungskräften, dass sie diesen Zeitpunkt verpassen – weil es natürlich bequem ist: Man kennt sich aus, man weiß, wie die Arbeit funktioniert, man hat sein Netzwerk. Doch das reicht nicht.

Ein geradliniger Lebenslauf ist Ihrer Meinung nach nicht mehr unabdingbare Voraussetzung für eine Karriere?
Wichtig ist Weiterentwicklung. Und die ist natürlich auch innerhalb eines geradlinigen Lebenslauf möglich – wenn man ausreichend für Renewal und Bewegung sorgt. Wer sich immer weiter spezialisiert und glaubt, irgendwann unersetzbar zu sein, hat einen Fehler gemacht. Ich würde jedem empfehlen, sich sehr vielfältig zu entwickeln und Expertise aufzubauen, auch in verwandten Feldern. Ich warne auch vor einer sehr linearen Karrierelogik: Bei McKinsey ist der Begriff Karriereorientierung negativ belegt. Wir mögen es nicht, wenn Mitarbeiter ständig die Frage stellen, welche Belohnung sie für eine Aufgabe bekommen. Unsere Antwort ist: Mach deine Sache gut, dann werden schon weitere gute Dinge passieren.

Ist es nicht einfacher, in Zwei-Jahres-Zyklen innerhalb mehrerer Unternehmen Karriere zu machen als langfristig in einer Position?
In zwei Jahren kann man in einer Führungsaufgabe nicht wirklich etwas verändern. Man muss sich schließlich erst einen Namen machen, sich beruflich qualifizieren und gegenüber anderen hervortun, wenn man weiterkommen will. Sehr schnelle Wechsel kann man sich vielleicht am Anfang der Karriere ein- oder zweimal leisten. Aber irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man nicht nur lernen kann, sondern auch Ergebnisse liefern muss, und dafür braucht man Zeit, das lässt sich nachhaltig orientiert nicht in zwei Jahren machen. Ich finde es insgesamt auch viel befriedigender, Dinge über ein paar Jahre zum Erfolg zu führen und dann tatsächliche Ergebnisse zu sehen.

Wie kann man sich für ein Unternehmen unverzichtbar machen?
Ich finde, man sollte sich überhaupt nicht unverzichtbar machen. Auch ich bin nicht unverzichtbar. Niemand ist das. Es ist falsch für das Unternehmen und auch für den Menschen selbst. Stattdessen sollte man überlegen, wo die Leute sind, die einen irgendwann einmal ersetzen können – und wie man sie fördern kann. Ich kann mich immer nur weiterentwickeln, wenn ich Leute hinter mir habe, die ich herangezogen habe. Die Geschichte zeigt: Erfolgreiche Führungskräfte ziehen immer eine ganze Gruppe von guten Leuten nach.

Wie können junge Führungskräfte in der Wirtschaft demotivierte Mitarbeiter zu guter Arbeit anspornen?
Führungskräfte müssen verstehen, wie die Motivationslage jedes einzelnen Menschen ist. Jedes Unternehmen hat bestimmte Ziele. Die Frage ist: Wie kann ich diese Ziele in Einklang bringen mit den persönlichen Zielen und der Lebenswelt des Mitarbeiters? Wenn ich es nicht schaffe, mich in das sogenannte „Mindset“ meines Mitarbeiters hineinzuversetzen, dann kann ich lange Reden und Predigten halten – ich werde den Menschen nicht wirklich erreichen. Anreiz- und Bonussysteme sind sicher gut und richtig, um Motivation zu steigern. Aber gehen sie wirklich auf die tiefer liegenden Motivationsstrukturen eines Menschen ein? Ich bezweifle das. Motivationsprobleme haben meist überhaupt nichts mit Geld zu tun, sondern eher mit der Frage, wie ich jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter seinen Wertbeitrag vermitteln und wie er seine besonderen Fähigkeiten dafür einsetzen kann. Sich in diesem Maße in einen Menschen hineinzuversetzen, ist die wirkliche Kunst einer Führungskraft. Auf diesem Weg wird sie Leute nicht nur motivieren, sondern begeistern können.

Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus: Wird unbegrenzte Mobilität künftig unverzichtbar werden?
Auf der einen Seite nimmt die Notwendigkeit, sich international zu bewegen, erheblich zu. Weltweit tätige Unternehmen brauchen Führungsnachwuchs, der bereit und imstande ist, in allen Ländern der Welt zu arbeiten. Auf der anderen Seite ist diese Art zu arbeiten nicht für jeden geeignet. Denn der zweite große Trend neben der Mobilität heißt Work-Life-Balance. Vor allem junge Mitarbeiter haben eine andere Einstellung zur Work-Life-Balance: Sie arbeiten hart, sind anspruchsvoll, wollen in ihrem Beruf etwas leisten. Aber sie wollen auch ihr Privat- oder Familienleben schützen. McKinsey reagiert darauf mit mehr Flexibilität, Teilzeitmöglichkeiten oder Vaterschaftsurlaub. Wir ermöglichen es gerade jungen Beraterinnen und Beratern in einem neuen Programm, während ihrer ersten Jahre bei McKinsey auf drei Kontinenten zu arbeiten. Aber wer eine junge Familie hat, hat vielleicht kein Interesse daran, innerhalb von zwei Jahren an drei verschiedenen Orten der Welt zu leben. Die meisten machen das vorher – oder deutlich später, wenn die Kinder aus dem Haus sind.

Worauf legen junge Mitarbeiter aus Ihrer Sicht heutzutage bei der Wahl ihres Arbeitgebers besonderen Wert?
Die Qualität von Produkten und Dienstleistungen spielt bereits seit Jahren eine große Rolle, wie unterschiedliche Studien zeigen. Ich finde das etwas überraschend, weil es auch viele Unternehmen mit weniger bekannten oder attraktiven Produkten gibt, die herausfordernde Aufgaben bieten können. Darüber hinaus legen junge Menschen schon lange Wert auf Karrierechancen, Entwicklungsmöglichkeiten und Herausforderungen. Neue Themen, die für die Wahl eines Arbeitgebers eine Rolle spielen, sind: Internationalisierung und wie kann ich an ihr teilhaben. Und, besonders bei Frauen, die soziale Verantwortung der Firma.

Wie wichtig ist unternehmerisches Denken der Mitarbeiter?
Unternehmerisches Denken ist das Gegenteil von Angestelltenmentalität. Solche Menschen denken: Du willst, dass ich was mache – sag mir, was ich dafür bekomme. Wir hingegen erwarten, dass unsere Leute leistungsbereit sind, dass sie in Vorlage gehen, sich anstrengen, dass sie Dinge ausprobieren und stark eigenengagiert sind. Das sind die Voraussetzungen, auf denen junge Mitarbeiter bei uns eine Karriere aufbauen können.