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Interview mit Dr. Bettina Anders

Der Blick auf den Rhein und den Düsseldorfer Fernsehturm ist fantastisch. Aber Dr. Bettina Anders hat vorsorglich die Jalousien an den bodentiefen Fensterfronten heruntergelassen. Nichts soll ihre Konzentration stören – weder die Aussicht noch die Sonnenstrahlen, die ihr Büro zu jeder Jahreszeit aufheizen. Interviewerin Prem Lata Gupta darf Platz nehmen, wo sie will. „Ich sitze vor kopf“, bestimmt Bettina Anders. Dafür rückt sie eigenhändig ihren Schreibtisch-Sessel an das schmale Ende des Konferenztisches.

Zur Person

Dr. Bettina Anders, 47, studierte Geografie und Mathematik in Münster, bevor sie die Promotion zum Dr. rer. nat. absolvierte. Nach zwei Jahren als Leiterin des Studienzentrums der FernUniversität Hagen stieg sie bei den Victoria Versicherungsgesellschaften ein. 2000 wurde sie Mitglied der Geschäftsführung der ITERGO Informationstechnologie GmbH, dem IT-Dienstleister der ERGO Versicherungsgruppe, unter deren Dach sich große Versicherungsunternehmen wie die Victoria, Hamburg-Mannheimer, DKV und D.A.S. befinden. Im Oktober 2007 wurde sie zum Mitglied des Vorstands der ERGO Versicherungsgruppe AG und ist dort verantwortlich für Kundenservice, Betriebsorganisation und IT.

Frau Dr. Anders, seit Oktober sind Sie Mitglied des Vorstandes der ERGO Versicherungsgruppe. Lässt sich solch eine Laufbahn planen?
Nicht planen, aber aktiv mitgestalten. Das ist auch mein Rat an Nachwuchsführungskräfte: Nicht nur die Leistung und der Anspruch an sich selbst zählt, sondern man muss den Anspruch, führen zu wollen, offen formulieren und nach außen tragen.

Haben Sie das ebenso gemacht?
Ich denke schon. Mir ist nie eine Position oder eine Funktion angetragen worden, die ich nicht haben wollte. Aber das Ganze gilt auch umgekehrt …

Inwiefern?
Auch wenn ein Vorgesetzter bei seinen Mitarbeitern Potenziale sieht – man kann niemanden zu seinem Glück zwingen. Karriere kann nicht in den Schoß gelegt, sondern muss gewollt werden. Sonst lässt sich zu wenig abrufen, was in Top-Management-Positionen gebraucht wird. Wie etwa ein hohes Maß an Disziplin.

Was war der entscheidende Kick in Ihrem Leben?
Es passierte, als ich ein Studienzentrum der Fernuniversität Hagen aufgebaut habe. Es war der Tag nach dem Mauerfall, ich saß mit Studenten zusammen und sagte: „Wir müssten eigentlich dort sein. In Berlin.“ Da stand für mich fest, dass ich am Puls der Zeit sein wollte. Da, wo Dinge wirklich passieren und bewegt werden. In diese Phase fiel auch meine Entscheidung, in die Wirtschaft gehen zu wollen.

Sie haben bei der Victoria in der Anwendungsentwicklung angefangen und haben auch als Assistentin eines Vorstands gearbeitet. Was war Ihre Motivation dazu?
Ich bin in das Unternehmen gegangen, als ich merkte, was man da mitgestalten kann. Und als ich mich aus der Assistenzzeit verabschiedet habe, wusste ich: Das will ich von Vorstandsebene aus tun.

Wie haben Sie die Zeit als Vorstandsassistentin erlebt?
Es war eine anstrengende Zeit, aber auch sehr gewinnbringend. Ich hatte nicht nur mit fachspezifischen Dingen zu tun, sondern auch mit organisatorischen, der Beziehung zum Kunden. Das versuche ich auch unserem Führungsnachwuchs zu vermitteln: dass es bei uns nicht um Kaufen geht, sondern um Verkaufen. Endverbraucher freuen sich über ihr neues Auto. Aber niemand steht morgens unter der Dusche und sagt: „Hey, heute kaufe ich mir eine Haftpflicht. Das ist toll!“

Inzwischen haben Sie selbst Assistenten …
Ja, und die gehen einen harten Abschnitt mit. Sie müssen die Ansprüche des Vorgesetzten verstehen und mittragen. Umgekehrt will ich ja nicht nur Aufgaben zuweisen, sondern Entscheidungen auch verständlich machen. Das erfordert einen intensiven Austausch. Ich will vernetztes Denken vermitteln, will verdeutlichen, welche Konsequenzen eine Entscheidung auch für andere Unternehmensbereiche hat.

Der amerikanische Management-Experte Henry Mintzberg hat herausgefunden, dass Top-Manager 50 Prozent ihrer Zeit in Besprechungen verbringen und ihre Aufmerksamkeit maximal neun Minuten auf ein Thema richten. Stimmt das?
Letzteres würde ich nicht unbedingt unterschreiben. Aber ich habe auch Meetings im Stundenrhythmus zu ganz unterschiedlichen Fragestellungen. Als Top-Manager muss man sich sehr schnell umstellen können, sich kurztaktig konzentrieren und immer das Wesentliche erfassen.

Fühlen Sie sich eigentlich als Frau im Top-Management als Exot?
Ich bin es durchaus gewohnt, einzige Frau in Leitungsgremien zu sein, das ist für mich nichts Ungewöhnliches. Aber amüsant sind nach wie vor nicht nur die häufigen Anreden mit „Sehr geehrte Herren …“, sondern vor allem die anschließenden wortreichen Entschuldigungen.

Wie gehen männliche Kollegen damit um, wenn man CIO des Jahres 2006 wird?
Es war der dritte Platz – ich glaube, einige Kollegen waren schon überrascht. Aber wichtiger war für mich, dass meine Führungsmannschaft diesen Preis voller Stolz gefeiert hat, denn es ist ja auch ihre Auszeichnung.

Immer wieder wird behauptet, Soft Skills seien wichtiger als Fachkompetenz. Sehen Sie das genauso?
Ja, den Anteil von solider Fachkompetenz würde ich mit 40 Prozent ansetzen. Aber ein hoher Anteil meiner Arbeit besteht darin, langfristige Szenarien zu entwerfen und zu vermitteln. Zwar kann man Achtungserfolge durch sehr schnelle, konsequente Entscheidungen erzielen – und damit auch nach außen punkten. Aber Stabilität erzeuge ich, indem ich ein Klima schaffe, in dem alle eine Entscheidung mittragen. Die Menschen mitzunehmen, ist sehr wichtig. Das ist jüngeren Führungskräften oft nicht bewusst. Auch ich musste das lernen.

Wie haben Sie es eigentlich bewerkstelligt, die IT-Systeme von vier Unternehmen komplett neu an den Start zu bringen?
Es war das wahrscheinlich größte Projekt in der europäischen Finanzdienstleistungsindustrie. Wir mussten 1700 Projektmitarbeiter bewegen. Ich habe mir gesagt: Gut, dann müssen eben vier Stunden Schlaf reichen. Das geht, obwohl der gesamte Prozess zweieinhalb Jahre gedauert hat. Ich hatte schlaflose Nächte. Man lebt mit einem solchen Projekt und kämpft jeden Tag. Aber das gilt nicht nur für mich, sondern für alle, die dieses Projekt vorangetrieben haben.

Wie hält man das durch?
Ich hatte keinen Zweifel, dass wir die operativen Schwierigkeiten in den Griff bekommen. Aber dennoch muss man sich motivieren. Speziell in dieser Zeit habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, mich zwar auf Probleme einzustellen, aber mir genauso morgens schon bewusst zu machen, dass jeder Tag mindestens einen kleinen Erfolg, einen Grund, sich zu freuen, mit sich bringt. Das ist übrigens ein Rezept, das einen im Top-Management über jeden Tag trägt.

Trotzdem hören Sie sich fast durchweg optimistisch an: Gibt es denn nichts, was Sie verärgert oder zweifeln lässt?
(Sie legt die Fingerspitzen aneinander und überlegt kurz) Natürlich gibt es auch weniger schöne Momente. Ich lege zum Beispiel großen Wert darauf, verlässlich zu sein gegenüber Vorstandskollegen und meiner Mannschaft. Wenn es da ausnahmsweise zu Missverständnissen kommt, dann nagt das an mir. Ich will authentisch sein und so auch wahrgenommen werden.

Wie erleben Sie die Young Professionals, die jungen, hoch qualifizierten Menschen im Unternehmen?
Als hungrige Generation. Oft mit internationaler Erfahrung, die sich am liebsten international weiterentwickeln möchten. Es kommt sehr auf uns als Unternehmen an, was wir daraus machen. Wir müssen ihnen Raum geben, frei nachzudenken und ihre Talente zu entwickeln. Sonst kommt es zu einem anderen Phänomen, nämlich zu einer sehr schnellen Assimilation an die bereits bestehende Kultur und vorhandene Strukturen. Wenn das geschieht, können wichtige Potenziale auf der Strecke bleiben. Lieber ist es mir, jemand offenbart eine so gute Idee, dass ich ihn ermuntere, diese weiterzuentwickeln und das Ergebnis vielleicht sogar dem Vorstand zu präsentieren. (Es ist fast Mittag, trotz der Lamellen vor den Fenstern ist sichtbar, dass die Sonne es endgültig geschafft hat, den morgendlichen Dunst zu vertreiben. Das perfekte Wetter für einen Spaziergang.)

Stimmt es eigentlich, dass Sie schon morgens um sechs Uhr Nordic Walking machen?
(erfreutes Lächeln) Ja, allerdings nur dann, wenn es nicht kälter als fünf Grad ist. Ich mag nämlich keine Handschuhe dabei tragen, ich will die Stöcke mit bloßen Händen festhalten.

Und wie entspannen Sie sich sonst?
Ich lese gerne. Es gab Zeiten, da habe ich keine Neuerscheinung meiner bevorzugten Verlage ausgelassen. Aber das schaffe ich nicht mehr. Und ich mag es, ins Konzert oder ins Theater zu gehen. Letzteres am liebsten gemeinsam in der Gruppe – damit wir hinterher noch über das Stück und die Inszenierung diskutieren können.

Funktioniert das denn überhaupt? Von wann bis wann arbeiten Sie normalerweise?
Meistens von etwa acht Uhr morgens bis 21 oder 22 Uhr.

Hat man da noch Chancen auf ein Privatleben?
Man braucht ein verständnisvolles Umfeld. Natürlich passiert es immer wieder einmal, dass ich eine Verabredung wegen eines beruflichen Termins in letzter Minute absage. Da braucht man Menschen um sich herum, die das nicht übel nehmen. Wäre das anders, dann hätte ich auf Sand gebaut. Außerdem gönne ich mir bewusst auch Auszeiten: Im Oktober war ich vier Tage mit meinem Lebenspartner wandern. Da sind wir singend durch die Natur gezogen.

Das klingt ziemlich zufrieden. Würden Sie alles wieder genauso machen?
Ich bin an einen Punkt gelangt, an dem ich genau das tun kann, was ich immer wollte: Strategien entwickeln und durch Veränderungsprozesse die Zukunft eines Unternehmens gestalten. Doch, ich finde, ich habe einen Traumjob.

(Beim Abschied bemerkt die Interviewerin, dass hinter dem Schreibtisch, auf dem sich rote Mappen stapeln, ein großer Lego-Karton an der Wand lehnt.)

Ist das ein Geschenk für Ihr Patenkind?
Nein, das habe ich für eine Führungskräftebesprechung genutzt. Es ging um unsere Unternehmenswerte: Exzellenz, Resultate, Gemeinschaft und Offenheit. Wir haben ein Riesenrad zusammengebaut. Das hat allen sehr viel Spaß gemacht.

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