Weich – aber nicht weniger wichtig

Foto: Fotolia/Leonid Ikan
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Der Fokus von Unternehmen bei der Auswahl von Führungskräften verändert sich: Soft Skills werden immer wichtiger – das bestätigt eine Studie der Personalberatung Boyden. Auf Platz eins der Wunschliste stehen schon heute Offenheit und Sensibilität (87 %), gefolgt von Anpassungsfähigkeit (82 %). Für angehende Ingenieure eine seltsame Sache: Da hat man den Hochschulabschluss in der Tasche, fühlt sich bestens auf die Karriere vorbereitet – und dann werden plötzlich diese weichen Kompetenzen verlangt. Warum sind sie für Ingenieure wichtig, welche Bedeutung spielen sie im Bewerbungsprozess, und wie kann er sie weiterentwickeln? Wir haben technische Unternehmen befragt – und dabei alles erfahren, was man als Nachwuchskraft über Soft Skills wissen muss. Von André Boße und Kerstin Neurohr

Unter Hard Skills versteht man das Fachwissen, unter Soft Skills alle sozialen und kommunikativen Fähigkeiten, die für den Beruf wichtig sind. Und Ingenieure brauchen beides: Die harten und die weichen Fähigkeiten müssen heute Hand in Hand gehen. „Der Ingenieur der Zukunft wird sein Fachwissen situationsgerecht vermitteln – ob in der Zusammenarbeit mit seinen Entwicklungskollegen, mit Fachabteilungen oder im direkten Kundengespräch“, sagt Vera Winter, Leiterin Personalmarketing bei Bosch. Will heißen: Das technische Wissen zu besitzen, reicht nicht mehr aus. Es gehört dazu, es an andere weiterzugeben. Und dazu braucht man soziale und kommunikative Fähigkeiten.

Trotzdem glauben noch immer viele Hochschulabsolventen, es sei ausreichend, fachlich fit zu sein. Weit gefehlt, denn die Arbeit in den technischen Unternehmen hat sich grundlegend gewandelt. „Es gibt heute deutlich weniger Ingenieurstellen, bei denen man sich in ein Büro oder ein Labor setzen kann und wieder herauskommt, wenn man ein Ergebnis hat“, bringt es Martin Töpler, Leiter des Personalmanagements der Gebr. Heller Maschinenfabrik auf den Punkt. Seine Bewertung der Soft Skills: „Wir reden hier tatsächlich von Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches Arbeitsleben.“ Für Rüdiger Bechstein, Personalchef des Reinigungsgeräteherstellers Kärcher, hängt es vom Jobprofil ab, wie bedeutend Soft Skills sind: „Für Ingenieure, die als Führungskräfte oder als Projektleiter tätig sind, sind die Soft Skills genauso wichtig wie die fachlichen Kompetenzen. Dies gilt ebenso, wenn Ingenieure in direktem Kontakt mit Kunden stehen.“

<img title=“Dr.-Ing. Thao Dang, Foto: Daimler AG“ alt=“Dr.-Ing. Thao Dang, Foto: Daimler AG“ src=“https://www.karrierefuehrer.de/magazin/bilder/thao-dang.jpg“ width=“107″ height=“120″ /> Dr.-Ing. Thao Dang, Foto: Daimler AG

Dr.-Ing. Thao Dang, 38 Jahre,
Ingenieur für Elektrotechnik,
Senior Engineer Autonomous Driving

Hochschulabsolventen tun sich oft schwer damit, ihre sozialen Kompetenzen einzuschätzen. Viele haben sich nie bewusst darum gekümmert – aber erworben und geschult haben sie diese Kompetenzen meist dennoch. Die Personaler sind sich einig, dass die Universitäten und Fachhochschulen gute Arbeit leisten: „An den Hochschulen wird heute deutlich mehr Wert auf die Vermittlung von Soft Skills gelegt“, sagt Heller-Personaler Töpler. Früher sei es vorgekommen, dass man einem Ingenieurabsolventen, der fachlich hervorragend ausgebildet war, nach dem Einsteig erst einmal den Umgang mit anderen Menschen vermitteln musste. „Dies ist heute in aller Regel nicht mehr der Fall“, so Töpler. Sein motivierendes Urteil: „Wer heute ein Ingenieurstudium erfolgreich abschließt, hat bewiesen, dass er kognitiv etwas drauf hat und sich genug Wissen angeeignet hat, um in seinem Beruf erfolgreich zu starten.“

Breite Palette
Engagement und emotionale Intelligenz sind ganz wichtige Soft Skills – aber es gehört noch mehr dazu: Fähigkeiten im Umgang mit sich selbst, beispielsweise Eigenverantwortung und Selbstdisziplin, und im Umgang mit anderen Menschen, beispielsweise Kritikfähigkeit, Hilfsbereitschaft und interkulturelle Kompetenz. Außerdem zählen Qualifikationen, die bei der Zusammenarbeit wichtig sind, etwa Kommunikationsfähigkeit und Führungsqualifikationen, darunter Verantwortung und Konsequenz. Die Palette an Soft Skills ist breit, für Absolventen sind aber einige davon besonders wichtig: „Generell werden bei einem technisch orientierten Berufseinstieg neben einer fundierten technischen Qualifizierung auch Teamfähigkeit, Offenheit gegenüber Trends sowie Flexibilität und Veränderungsbereitschaft erwartet“, formuliert es Boris Wörter, Leitung Human Resources beim Automatisierungstechnik-Spezialisten Festo mit Zentralsitz in Esslingen. Das ist die Soft-Skill-Basis. Je nach Unternehmen und Aufgabengebiet kommen weitere weiche Fähigkeiten hinzu. Ist der Ingenieur in einem Bereich tätig, in dem er häufig auf Kunden oder Kollegen trifft, kommt es vor allem auf den Auftritt an, wie Rüdiger Bechstein von Kärcher sagt: „Da unsere Ingenieure nicht als Einzelkämpfer unterwegs sind, zählt in erster Linie die Fähigkeit, mit anderen auf angemessene Art und Weise umzugehen. Dazu gehören alle Facetten der Kommunikation, also verbal und nonverbal.“

In der globalisierten Arbeitswelt ist nicht nur Mobilität gefragt, sondern auch die Bereitschaft und Fähigkeit, mit Kollegen, Kunden und Partnern im Ausland zusammenzuarbeiten. Das bestätigt auch die Boyden-Studie: „Für komplexe Aufgabenstellungen brauchen Unternehmen eher offene und sensible Persönlichkeiten, die sich auch im Ausland den dortigen Gegebenheiten anpassen können“, so die Autoren. Jörg Kasten, Managing Partner bei Boyden, bestätigt: „Vor 20 Jahren haben Führungskräfte in der Regel in deutschen Unternehmen mit deutschen Teams an deutschen Problemen gearbeitet. Das ist heute nur noch ganz selten der Fall. Man sollte wissen, dass in Frankreich, Großbritannien oder Indien die Dinge anders laufen als bei uns in Deutschland. Und man sollte auch auf dem Schirm haben, was für ein Image wir Deutschen in anderen Ländern besitzen, damit man genau diesem Klischee gerade nicht entspricht. Ein Beispiel: Wir Deutschen gelten in der Welt als relativ humorlos. Wenn Sie daher auf einer internationalen Teamsitzung reden und die Kollegen zum Lachen bringen, dann ist das schon die halbe Miete, um später inhaltliche Ziele durchzusetzen.“ Wer als Einsteiger interkulturelle Kompetenz beweise, habe gute Aufstiegschancen, meint der Personalberater: „Man muss daher die Bereitschaft mitbringen, offen für andere Menschen und andere Kulturen zu sein. Wenn man das kann, dann werden automatisch schnell weitere Karriereschritte folgen.“

Aktuelle Studie

Die Personalberatung Boyden hat in Kooperation mit der EBS Business School die Umfrage „Recruiting 2020“ entwickelt. Ergebnis: Top-Managern mit Soft Skills gehört die Zukunft.
www.boyden.de/mediafiles/attachments/7673.pdf

Starke Partner
Für viele Soft Skills gibt es im Unternehmen eigene Experten wie Kommunikationsprofis oder Verkäufer. Keine Angst – an Ingenieure werden andere Anforderungen gestellt, als an diese Fachleute. Kommunikation und Marketing sind für die Spezialisten die Hard Skills, die sie wiederum an den Hochschulen gelernt haben. Daher raten Personaler den jungen Ingenieuren, auf Teamwork zu setzen, statt zu versuchen, diese Experten zu überholen. Mit Blick auf Kundengespräche empfiehlt Stefanie Püpcke, Human Resources Managerin beim global tätigen Telekommunikations- und Netzwerkausrüster Alcatel-Lucent: „Suchen Sie sich im Team den richtigen Partner, zum Beispiel aus dem Vertrieb, um gemeinsam ihre Stärken im Tandem zu präsentieren und beim Kunden einen kompetenten und überzeugenden Eindruck zu hinterlassen.“

Weil Soft Skills so wichtig geworden sind, spielen sie natürlich auch schon in den Bewerbungsgesprächen eine Rolle. Kein Unternehmen schaut ausschließlich auf Noten und die schriftliche Vita. „Wir legen bei unseren Vorstellungsgesprächen großen Wert darauf, auch einen Eindruck von der Persönlichkeit unserer Bewerber zu bekommen“, sagt Martin Töpler von Heller. Sehr analytisch widmet sich Festo den Soft Skills: Ein Kompetenzmodell unterscheidet zwischen Kompetenzen, die nur für bestimmte Rollen im Unternehmen wichtig sind, und Basis-Skills wie Leistungsmotivation, Lösungsorientierung, Kommunikation, Teamfähigkeit und Toleranz. „Diese Basis-Skills gelten für alle Funktionen und Hierarchien“, sagt Boris Wörter. Abgefragt werden sie über teilweise standardisierte Interviews; zudem fragen die Festo-Personaler nach Einstellungen und der Motivation.

Sind die Soft Skills also dabei, die Hard Skills als wesentliches Kriterium zu verdrängen? Nein, sagen die Personalexperten großer technischer Unternehmen. „Als ein von Innovationskraft geprägtes Unternehmen setzen wir weiterhin auf das technische Fachwissen unserer heutigen und künftigen Mitarbeiter“, sagt Vera Winter, Leiterin des Bosch-Personalmarketings. „Deshalb werden wir in Bewerbungssituationen weiterhin zuerst die fachliche Eignung prüfen, gefolgt von den persönlichen Skills – die jedoch nicht weniger bedeutend sind.“ Auch bei Festo hat das technische Know-how von Ingenieuren nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert bei der Personalauswahl. „Wer an technologisch anspruchsvollen Projekten mitarbeiten und den technischen Fortschritt beeinflussen möchte, kommt an einem fundierten Fachwissen sowie Know-how im Projektmanagement nicht vorbei“, sagt Boris Wörter. Das gelte besonders in stark spezialisierten Funktionen. „Aber auch in Führungspositionen ist die technische Expertise häufig ein bedeutendes Kriterium.“

Kompetenzen entwickeln
Wer im Bewerbungsverfahren überzeugt und den Einstieg geschafft hat, sollte seine sozialen Kompetenzen im Blick behalten und weiter ausbauen. Die befragten Unternehmen unterstützen ihre Einsteiger dabei, schließlich hat sich die Entwicklung der Soft Skills bei Ingenieuren zu einem Kernziel moderner Personalarbeit entwickelt. „Ziel sollte es sein, Menschen mit großer Technikaffinität zu Beginn in einem Umfeld einzusetzen, in dem sie mit ihrer eigenen Persönlichkeit und ihrem fachlichen Wissen am meisten beitragen können“, erklärt Stefanie Püpcke die Strategie bei Alcatel-Lucent. Die Erfahrung zeigt, dass sich Einsteiger dann recht schnell weitere Entwicklungsziele setzen. „Das erfordert neue Kompetenzen, die sich automatisch im Alltag entwickeln oder durch Impulse von außen angestoßen werden, zum Beispiel durch Qualifizierungsgespräche.“ Auch bei Heller wird darauf geachtet, die Nachwuchsingenieure nicht zu überfordern. „Wer als frischgebackener Ingenieur bei uns angefangen hat, fliegt nicht nach einem halben Jahr alleine nach China, um dort mit unseren Kunden die Endverhandlungen zu einem Großprojekt abzuschließen. Wir geben unseren Jungingenieuren die Möglichkeit sich individuell nach ihren Fähigkeiten zu entwickeln“, sagt Human-Resources-Leiter Martin Töpler.

Grundsätzlich gilt natürlich: Soft Skills kann man jeden Tag trainieren, und zwar von Anfang an. Jörg Kasten von Boyden empfiehlt: „Mit Blick auf Einsteiger gebe ich den Rat, soziale Kompetenzen schon früh auszuprobieren und einzusetzen. Man kann auch als fachlich Verantwortlicher in einem kleinen Team Offenheit einüben, dafür muss man nicht warten, bis man in fünf Jahren befördert wird. Wichtig ist dabei, seine sozialen Kompetenzen hierarchieübergreifend einzusetzen. Es hilft nichts, einen guten Draht zum Vorstand zu besitzen, wenn einen gleichzeitig die Sekretärinnen für einen Stinkstiefel halten.“

Stellt man in der beruflichen Praxis Defizite im Bereich der Soft Skills fest, empfehlen die Personaler, sich nicht nur auf das Unternehmen zu verlassen, sondern auch selbst tätig zu werden. Ansätze gebe es genug, sagt Stefanie Püpcke von Alcatel-Lucent. „Die eine Nachwuchskraft erprobt das Angestrebte im privaten Umfeld, zum Beispiel über ehrenamtliche Tätigkeiten. Eine zweite absolviert ein Seminar, nimmt danach die Kompetenzen ihrer Mitmenschen bewusster wahr und lernt durch das Beobachten. Eine dritte wiederum packt die Sache gleich an und probiert ein neues Verhalten direkt in der Praxis aus.“ So verschieden die Persönlichkeiten sind, so unterschiedlich sind die Erfolgsrezepte – wobei Stefanie Püpcke Einsteiger motiviert, pro-aktiv und offen an die Qualifizierung von Soft Skills heranzugehen. Ihr Ratschlag: „Spielen Sie das Spiel der Entwicklung von weichen Kompetenzen selbst – und lassen sie andere Mitspieler zu, mit denen Sie Ihre neu erworbenen Soft Skills ausprobieren können.“

Soft Skills online testen

Die Technische Universität Bergakademie Freiberg stellt ein kostenloses Onlinetool zur Verfügung, mit dem man seine eigenen Soft Skills testen und auswerten lassen kann:
tu-freiberg.de/career/individuelle-beratung/soft-skill-analyse