„Relativieren Sie Ihre Leistung nicht“

Foto: TÜV Rheinland Cert GmbH
Foto: TÜV Rheinland Cert GmbH

Interview mit Gabriele Rauße

Gabriele Rauße weiß um ihre Ausnahmeposition: Die studierte Maschinenbauerin ist Geschäftsführerin von TÜV Rheinland Cert – und damit verantwortlich für die Geschäfte eines technischen Unternehmens. Warum die 46-Jährige versucht, einen anderen Führungsstil vorzuleben, und welche Hürden sie auf dem Weg nach oben nehmen musste, erklärt sie im Interview. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Gabriele Rauße, geboren am 5.10.1967 in München, studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Verfahrenstechnik an der TU Darmstadt. Sie begann ihre Karriere 1992 als Projektingenieurin beim Ingenieurdienstleister Lahmeyer. Es folgte der Wechsel zum Zertifizierungsunternehmen DQS, wo sie zwölf Jahre lang als Leiterin Key Account Management tätig war. Von 2007 bis 2011 war sie Geschäftsführerin von BSI Management Systems und Umweltgutachterin, bevor sie Anfang 2012 die Geschäftsführung des TÜV Rheinland Cert übernahm.

Frau Rauße, wie gestaltet sich für Sie ein durchschnittlicher Arbeitstag?
Mein Tag ist durchgetaktet mit Terminen, bei denen ich sehr schnell Entscheidungen treffen muss. Diese betreffen ganz unterschiedliche strategische und operative Themen. Sie reichen von der Abstimmung des Vertriebskonzepts über die Neukundenakquise bis hin zur Personalentwicklung. Diese thematische Vielfalt bereitet mir sehr viel Freude. Ich muss mich immer wieder auf neue Situationen und Aufgaben einstellen. Das erfordert Flexibilität. Zudem muss ich mich schnell in neue Themen einarbeiten und Zusammenhänge erfassen. Gleichzeitig ist es wichtig, den Überblick zu bewahren und zusammen mit dem Team das Gesamtziel im Fokus zu halten.

Technische Unternehmen beklagen einen Fachkräftemangel bei Ingenieuren, an weiblichen Führungskräften fehlt es besonders. Was, glauben Sie, sind die Gründe dafür?
Das Ingenieurwesen in Deutschland ist eine klassische Männerdomäne. In vielen Ländern Osteuropas ist das übrigens anders. Ich denke, Frauen haben immer noch Scheu, sich in einer Männerwelt zurechtzufinden und sich zu behaupten. Auch übernehmen viele Frauen innerhalb der Familien noch immer den größeren Part. Sie glauben dann, den familiären Anspruch nicht mit einer Führungsposition vereinbaren zu können. Neben diesen gesellschaftlichen und familiären Gründen beobachte ich zudem häufig auch ein Manko in der weiblichen Selbstdarstellung. Frauen sind oft sehr gut ausgebildet, fleißig und leistungsorientiert. Das sind alles Eigenschaften, mit denen sie gut das mittlere Management erreichen. Geht es aber in noch höhere Ebenen, spielen plötzlich andere Attribute eine große Rolle: eine gute Selbstdarstellung, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Ich bemerke dann, dass Frauen besonders in Verhandlungssituationen zu wenig kämpferisch für ihre Ideen und Ziele eintreten.

Wenn Sie an Ihren Werdegang zurückdenken, wann mussten Sie als Frau Hürden überspringen, die Männern vielleicht nicht im Weg gestanden hätten?
Extreme Hürden standen mir bisher noch nicht im Weg. Als junge Frau und Managerin hatte ich allerdings das Gefühl, mich stärker beweisen zu müssen als Männer. Dies lag an der zuweilen distanzierten und abschätzenden Haltung von Kollegen, die sich zu fragen schienen: „Hat sie überhaupt die Kompetenz und das Wissen für Technik und Management?“ Ab einem gewissen Alter ließ dieser Druck aber nach. Viele trauten mir dann die Erfahrungen und technischen Fähigkeiten zu, die mit einem Maschinenbaustudium gekoppelt sind.

Bekannte Führungsstile

Die Theorien über Führungsstile lassen sich anhand ihrer dimensionalen Ausrichtung in drei Teilabschnitte untergliedern:
1. Eindimensionaler Führungsstil-Ansatz:
Führungskontinuum nach Tannenbaum und Schmidt
2. Zweidimensionaler Führungsstil-Ansatz:
OHIO-Studien und die Weiterentwicklung der Aussagen resultierend aus den OHIO-Studien in Form des Verhaltensgitters nach Blake und Mouton
3. Mehrdimensionaler Führungsstil-Ansatz:
– Situationsanalyse von Hersey und Blanchard
– 3-D-Ansatz nach Reddin

Quelle: www.personaler-online.de

Versuchen Sie, einen anderen Führungsstil zu leben als Männer?
Ich pflege einen teamorientierten und damit weniger patriarchalisch geprägten Führungsstil. Und ich denke, dass dieser Stil dem Unternehmen guttut: Ich habe den Eindruck, dass wir uns während der vergangenen zwei Jahre meiner Geschäftsführungstätigkeit immer mehr zu einem Team formiert haben, das gemeinsam Ziele verwirklichen will. In der Zusammenarbeit mit meinen technischen Mitarbeitern kommuniziere ich strukturiert, klar und geradlinig. Ich spreche einfach die Sprache der Techniker.

Sie treten sehr selbstbewusst als Ingenieurin in Leitungsposition auf. Sehen Sie sich als Vorbild für junge und ambitionierte Ingenieurinnen?
Als Geschäftsführerin in einem technikaffinen Umfeld besitze ich sicherlich eine Vorbildfunktionen für Frauen. Allerdings übernehme ich dabei nicht die männlichen Charakteristika, um zu demonstrieren, wie man sich auf dieser Managementebene behaupten kann. Ich möchte Frau bleiben – und pflege daher einen charmanten und verbindlichen Stil. Ich ermuntere Frauen dazu, mutig zu sein und selbstbewusst zu ihren Fähigkeiten und Leistungen zu stehen. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an: Frauen neigen zur verbalen Bescheidenheit. Oft schmälern sie ihren Erfolg und lassen Lob nicht zu. Wenn ich zu einer Frau sage: „Das haben Sie gut gemacht!“ – dann quittiert sie dieses Lob nicht selten mit einem: „Ja, aber …“. Ich sage dann: „Relativieren Sie Ihre Leistung nicht!“

Wie fördern Sie konkret weibliche Ingenieure?
Im Rahmen eines wöchentlichen Jour fixe biete ich insbesondere jungen weiblichen Fachkräften meine Unterstützung an. Wenn sie es wünschen, nehme ich an ihren Meetings teil und frage, an welchen Stellen sie meinen Rat oder meinen aktiven Support benötigen. Ich übernehme also selbst Coachingaufgaben, biete den Frauen aber auch ein externes Coaching an, da bei gewissen Führungstätigkeiten externe Coaches sehr hilfreich sind – zum Beispiel, wenn ein Team zusammengestellt oder neue Aufgaben übernommen werden müssen.

Zum Abschluss: Gibt es ein Erlebnis, das sinnbildlich dafür steht, dass Sie seinerzeit das richtige Studium gewählt und die richtige berufliche Laufbahn eingeschlagen haben?
Mein Studium hat mir sehr viel Spaß gemacht, und ich habe nie an meiner Entscheidung gezweifelt. Nach meinem Abschluss habe ich in einem Planungsunternehmen für Gas- und Dampfturbinenkraftwerke gearbeitet. Ich hatte bei einem Projekt die Verantwortung für den Teil eines Kraftwerkes. Nachdem das Geplante schließlich umgesetzt und verbaut war, hat mich die gewaltige Konstruktion beeindruckt. Es war für mich ein erhebendes Gefühl, daran mitgewirkt zu haben.

Redaktionstipp: Videotraining

Es ist bekannt: Stille und zurückhaltende Menschen haben es in der dynamischen und lauten Businesswelt ungleich schwerer als die allseits präsenten und eloquenten „Tausendsassa“. Als introvertierter Mensch kann ich aber genauso viel erreichen wie die Lauten, das ist die zentrale Botschaft von Sylvia Löhken an die Leisen im Lande. Die promovierte Sprachwissenschaftlerin zeigt jetzt mit ihrem Videotraining bei der Pink University, wie introvertierte Menschen das schaffen können.
Infos unter www.leise-menschen.com