Ing., weiblich, jung, sucht Weg nach oben

Foto: Fotolia/Dudarev Mikhail
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Jana Zaumseil wundert sich nach einem Auslandsaufenthalt über alte Geschlechtsmuster, Ana Super bereitet sich hoch motiviert auf ihre Konzernkarriere vor: zwei Geschichten von Aufsteigerinnen in technischen Berufen – und wichtige Ratschläge einer Karriereexpertin. Von André Boße

Als Jana Zaumseil in den USA und Großbritannien an neuen Erkenntnissen auf dem Feld der Nanoelektronik forschte, kam der gebürtigen Jenaerin gar nicht in den Sinn, dass es im Bereich der technischen Forschung ein Gender-Problem geben könnte. Im Ausland war es nicht ungewöhnlich, dass Frauen die Teams leiteten. Oder dass Professorinnen erste Ansprechpartnerinnen waren. „Die Gruppen waren meistens bunt gemischt“, sagt Jana Zaumseil, sodass sie sich als junge Forscherin aus Deutschland in keiner Weise als Außenseiterin vorkam.

Das änderte sich jedoch, als sie im Herbst 2009 nach Deutschland zurückkam. Jetzt war Jana Zaumseil selber Professorin für Nanoelektronik an der Uni Erlangen. Und plötzlich merkte sie, dass die Genderthematik in Deutschland sehr wohl noch eine Rolle spielt: „Bei meiner Rückkehr nach Deutschland wurde die Tatsache, dass ich eine Frau bin, plötzlich zum Thema. Ich fand das ziemlich irritierend.“ Ihr Urteil über den Status quo: „Leider haben sich die gesellschaftlichen Rollenbilder in den vergangenen Jahren in Deutschland kaum geändert. Frauen und Mädchen, die sich für Technik oder Naturwissenschaft interessieren, werden immer noch als Ausnahme dargestellt. Wenn sich das nicht ändert, werden auch weiterhin wenige junge Frauen eine technische Laufbahn wählen.“ Dass sich eben doch etwas ändert, dazu trägt die 35-Jährige nun selber bei. Jana Zaumseil ist so etwas wie ein Star in der Szene der technischen Wissenschaften – und damit ein ideales Vorbild für ambitionierte junge Frauen. Im Jahr 2010 erhielt die Wissenschaftlerin den Alfried-Krupp-Förderpreis für junge Hochschullehrer. Dotiert ist dieser Preis mit einer Million Euro. Das Geld darf sich die Forscherin natürlich nicht selbst einstecken; die Vorgabe ist es, mit der Million die Forschung voranzutreiben, neue Geräte anzuschaffen oder Doktorandenstellen zu schaffen.

Es fehlt an einer Mutmachkultur
Wenn man Jana Zaumseil fragt, was genau sie und ihr Team tun, sagt die Wissenschaftlerin zunächst einmal einen sehr komplizierten Satz: „Wir untersuchen die Ladungstransportund Lichtemissionseigenschaften von Nanomaterialien wie Kohlenstoffnanoröhrchen und halbleitenden Nanopartikeln.“ Einfacher wird es, wenn man sich der Sache über künftige Anwendungsbereiche nähert: Zaumseil und ihr Team suchen nach Materialien, die für optoelektronische Bauelemente genutzt werden können – also für Elemente, in denen elektrisch erzeugte Daten oder Energien in Lichtemission umgewandelt werden und umgekehrt. Begehrt sind solche Innovationen in der Telekommunikationsbranche. „Es handelt sich um ein sehr interdisziplinäres Gebiet, das Erkenntnisse aus der Chemie, Physik, Nanotechnologie und Elektrotechnik vereint“, sagt die Forscherin. Nur wenn man die Problematik aus verschiedenen Blickwinkeln und mit Zuhilfenahme verschiedenster Methoden betrachte, könne man zu einer Lösung kommen. Forschungsgruppen, die sich mit diesem Thema befassen, sind daher automatisch bunt gemischt. Auch das Geschlecht ist hier kein Thema. Umso überraschter war Jana Zaumseil, als sie merkte, dass sie sich in Deutschland immer wieder diesem Thema stellen muss: „Ich versuche, in meiner Arbeitsgruppe ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis zu schaffen, was aber an einer technischen Fakultät sehr schwer ist, da es eben einfach insgesamt wenige Frauen gibt.“

Als großes Problem für Frauen, die als Ingenieurinnen oder Forscherinnen den Weg nach ganz oben finden wollen, identifiziert sie die leisen oder lauten Zweifel, die Frauen auf dem Karriereweg begleiten. „Man steht sich generell oft selbst im Weg. Zum Beispiel, wenn man denkt, dass man nicht gut genug für ein Stipendium ist. Dann braucht man Leute um sich herum, die einen unterstützen und Mut machen.“ Und genau daran fehle es in Deutschland noch: an einer Mutmachkultur für junge Frauen, es selbstverständlich schaffen zu können.

EXIST-ING

Viele technische Unternehmen, in denen Männer über Generationen hinweg die Hauptrolle spielen, tun sich schwer damit, weibliche High Potentials zu identifizieren und zu fördern. Hier will EXIST-ING helfen: Das Projekt bietet Ansätze, um den Anteil an Ingenieurinnen in Führungspositionen zu erhöhen. Für Ingenieurinnen bietet es Schulungen, um die Führungskompetenzen zu verbessern. Zudem informieren die Experten von EXIST-ING die Geschäftsführungen und Personalleitungen der technischen Unternehmen über die Vorteile von Gender Diversity und begleiten sie, wenn es darum geht, das Thema im Qualitätsmanagementsystem zu verankern.
www.exist-ing.de

Demografischer Wandel
Aber: Es tut sich was. Initiativen wie EXIST-ING (siehe Kasten), Think-Ing oder „MINT – Zukunft schaffen“ widmen sich ausschließlich oder mit Schwerpunkten der Förderung des weiblichen Ingenieurnachwuchses. Es wäre auch fatal, dies nicht zu tun: Noch immer beklagen die technischen Unternehmen einen eklatanten Fachkräftemangel, gerade auch, was die Führungspositionen betrifft. Durch den demografischen Wandel werden in den kommenden Jahren viele Top- Stellen frei. Ohne Frauen können diese nicht besetzt werden – wobei sich Personalexperten einig sind, dass jüngere Frauen die älteren Männer nicht nur ersetzen, sondern mit ihren Eigenschaften und Führungsstilen dazu beitragen, dass sich die technischen Unternehmen positiv wandeln.

MBA ist wichtiger Karriereschritt
Eine dieser weiblichen Top-Ingenieurinnen von morgen könnte Ana Super sein, 27 Jahre alt und derzeit in der Motorenentwicklung für Nutzfahrzeuge bei Daimler tätig. Verantwortlich ist sie dort zusammen mit ihrem Kollegen für die mechatronischen Bauteile und Systeme – von der Aktorik, wo elektrische Signale in mechanische Bewegungen umgesetzt werden, über die Erstellung von Datensätzen bis hin zur Entwicklung von motorübergreifenden Funktionen wie der Motorbremse. Zurzeit koordiniert die Nachwuchsingenieurin ein internationales Projekt, bei dem sie mit japanischen und amerikanischen Kollegen zusammenarbeitet. „Bei dem Projekt handelt es sich um eine technische Innovation“, sagt sie. „Es ist wahnsinnig spannend, an etwas mitzuarbeiten, das es in der Form noch nie gegeben hat. Darüber hinaus lerne ich dabei viel: von der technischen Entwicklung bis zum Projektmanagement.“

Geboren ist Ana Super in Kroatien, dort hat sie Elektrotechnik studiert, bevor sie nach Stuttgart zog und beim deutschen Konzern das Traineeprogramm absolvierte. Um sich auf einen weiteren Schritt in Richtung Managementkarriere vorzubereiten, absolviert sie derzeit berufsbegleitend ein MBAStudium an der Uni Mannheim. „Ich bin sehr wissbegierig und lerne gerne Neues“, begründet sie diesen Schritt. Die Ingenieurin ist sich sicher, dass sie sich durch das Studium noch besser ins Unternehmen einbringen können wird. „Ich kann neben meinem Fachwissen weiteres interdiszplinäres Know-how in meine Entscheidungen einbeziehen – vom Controlling bis zur Logistik. Es macht mir einfach Spaß, ein Unternehmen als Ganzes zu betrachten.“

Gläserne Decke gibt es noch
Das klingt nach einem guten Plan für einen sehr erfolgreichen Werdegang in einem der weltweit größten Autokonzerne. Hindernisse auf ihrem persönlichen Weg musste Ana Super bislang noch nicht überwinden, wie sie sagt. Doch dass diese kommen werden, je weiter es nach oben geht, davon sind viele Expertinnen überzeugt. „Die Gläserne Decke ist weiterhin ein tatsächliches Problem dieser Zeit ist – und keines, das sich vor 20 Jahren erledigt hat“, sagt Anke Domscheit-Berg. Die ehemalige Top-Managerin bei Microsoft berät mit ihrer Firma fempower.me sowohl ambitionierte Frauen als auch Unternehmen, die ihren Frauenanteil im Management erhöhen wollen. Dabei hat sie festgestellt, dass auch top-qualifizierte, selbstbewusste und neugierige junge Frauen unweigerlich an Punkte gelangen, an denen es problematisch wird – insbesondere in technischen Unternehmen mit ihrer hohen Männerquote im mittleren und oberen Management. „Ich kenne keine Top- Managerin, die nicht irgendwann einmal eines der zwei folgenden Etiketten zu hören bekam. Entweder: ,Du bist zu still. Keiner bekommt mit, was du weißt und tust. Du musst dich mehr zeigen.’ Oder: ,Du bist profilierungssüchtig, dominant und nur an deiner Karriere interessiert.’ Es scheint, als gibt es für Frauen nichts dazwischen“, sagt sie.

Ihr Ratschlag an ambitionierte Ingenieurinnen: nicht nachts wach liegen und Strategien überlegen, wie man am nächsten Tag sanfter und zurückhaltender wirken kann. „Das ist nämlich die Karrierebremse schlechthin.“ Wer weiter nach oben möchte, müsse damit leben, regelmäßig gegen das Schubladendenken zu verstoßen. Das kann anstrengend sein – lohnt sich aber, denn eines ist klar: Die Zeit der Ingenieurinnen in Führungspositionen wird kommen.

11,3 Prozent der Ingenieurinnen in Führungspositionen

Laut den neuesten Zahlen des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) ist der Frauenanteil bei den Ingenieuren gestiegen, und zwar von 14,7 Prozent im Jahr 2005 auf 16,5 Prozent im Jahr 2010. Da der Frauenanteil unter den Absolventen seit längerer Zeit bei mehr als 20 Prozent liegt, ist mit einem weiteren Anstieg dieses Anteils zu rechnen, wie der VDI in seiner Studie „2013: Ingenieure auf einen Blick“ formuliert. Dass noch Luft nach oben ist, verdeutlicht eine andere Zahl: Nur rund jede 20. Absolventin verlässt die Uni mit einem Abschluss in Ingenieurwissenschaften. Mit dieser Quote liegt Deutschland in Europa auf dem 19. Platz. Führend sind die Portugiesinnen mit einem Ingenieurinnen- Anteil von 9,5 Prozent. Kein Wunder, dass in Portugal der Anteil von Ingenieurinnen, die eine Führungs- und Aufsichtsfunktionen wahrnehmen, mit 27,1 Prozent am höchsten liegt. Die Quote in Deutschland: 11,3 Prozent.
Quelle: www.vdi.de