Interview mit Rudi Assauer

Der Ballancier

Aufs Gymnasium will er nicht. Eine Lehre im Handwerk steigert den Ehrgeiz fürs Fußwerk. Zur Berufung wird eine „große alte Dame“ des Deutschen Fußballs, für die der „Stier“ später eine Arena bauen lässt. Schalke heißt sie, ist 98 und er ihr jugendlicher Liebhaber. Wie es zu seiner beruflichen „Viererkette“ kam, wie er die Bal(l)ance zwischen Mannschaft und Management hält und warum er heute noch ein Libero ist, erzählt Rudi Assauer im Gespräch mit dem karriereführer. Von Viola Strüder, aus karriereführer bauingenieure 2002.2003

Der Handschlag mit Rudi Assauer findet unter einem gewaltigen gläsernen Fußball statt, der das Foyer der Geschäftsstelle des FC Schalke 04 überragt. Jungenhaft in blauen Jeans und weißem Hemd gekleidet, geht der Hausherr schnellen Schrittes voraus, deutet auf den sonnigsten Teil des Raumes – und besorgt Getränke. Ein Mann, der die Ärmel hochkrempelt, sich nicht vom Leben bedienen lässt. Vor Kopf des Tisches nimmt er Platz und zündet sich entspannt eine Zigarre an. Selbstbewusste Haltung, fester Blick: Natürliche Autorität strahlt er aus, Ruhe. – Und Schalk.

Spiel mit Ziel
„Ich hab’ als Kind schon gepöhlt“, sagt Rudi Assauer und erklärt schmunzelnd die Vokabel aus dem Ruhrgebiet: „Gepöhlt? Das heißt gekickt.“ In Katzenbusch im westfälischen Herten aufgewachsen, verbringt der gebürtige Saarländer seine Kindertage mit so genannten „Straßenkämpfen“: Wenn „die Jungs aus der Augusta- gegen die aus der Herner Straße“ spielten. Als Lehrer ihm den Besuch des Gymnasiums empfehlen, weigert er sich: „Zu den Hochnäsigen, die nicht Fußball spielten, höchstens Handball oder turnten, wollte ich nicht.“ Ein ablehnender Zug umspielt den Mund.

Alltag ist auch heute Balltag
Seit neun Jahren steht der 58-Jährige an der Spitze des FC Schalke 04 und hat ihn zu einem der erfolgreichsten Fußball-Vereine Deutschlands geformt. „Ich freue mich auf den Tag“, sagt er beherzt und meint damit die „12–14 Stunden“, die er dem Club täglich widmet. Das Jobportfolio? Er verpflichtet Spieler, handelt Sponsoren-Verträge aus, ist Repräsentant der königsblauen Philosophie, Chefverkäufer des „Produktes“ Schalke 04, Mitglied des Vorstands, Geschäftsführer aller Tochtergesellschaften des Vereins, Ideengeber, Weg-Frei-Räumer, Lenker, Massenbändiger. Und am Spieltag sitzt Rudi Assauer auf der Bank. Mannschaftsnähe mit Empathie. „Für die Spieler möchte ich ein Vertrauensmensch sein, zu dem sie Tag und Nacht mit allen Lebensfragen oder Problemen kommen können.“ Von den „Jungs“ erwartet er, „dass sie Charakter beweisen und alles dafür tun, damit wir gemeinsam Erfolg haben“. Charakter – ein typisches Assauer-Wort. „Ehrlich und geradeaus sein“ sind Ansprüche, die er an Menschen stellt, die ihn umgeben. Er setzt auf Vertrauensvorschub, bei ihm gilt das gesprochene Wort:

„Abmachungen, die ich per Handschlag treffe, stehen auch später so in der Schriftform.“ Die Vorstellungen von sportlicher und menschlicher Qualität begründen sich aus seiner Biografie, in der sich schon früh Ehrgeiz und unbedingter Erfolgswille abzeichnen.

Den Meister nass gemacht
Als Rudi Assauer mit 14 Jahren die Schule verlässt, beginnt er eine Stahlbauschlosser-Lehre. „Ein schwerer Beruf“, kommentiert er rückblickend. Nebenbei kickt er bereits bei der Spielvereinigung Herten. Um sich auf das Abitur vorzubereiten, besucht er zudem die Abendschule – bis zu jenem Mittwoch, an dem der Fußball für immer den Unterricht besiegt: „Im Fernsehen lief das Spiel Lissabon gegen FC Barcelona“, betont er noch heute fasziniert. Spiel geguckt – Abendschule geschmissen. Und die Lehre? „Die habe ich nach Meinung meines Meisters mit viel zu guten Noten abgeschlossen“, grinst er und fügt lachend an: „Ich hab’ ihn mal nass gespritzt.“ Sein Gesellenstück? „Eine Bremse für eine Lore.“ Offenbar die letzte seines Lebens, denn fortan hat er „Gas gegeben“.

Der Geselle wird Meister– in einem anderen Fach
Was ihn voranbringt: „Extra-Training und viel Spaß am Spiel.“ Während der Bundeswehrzeit wird der Fußball-Jungspund entdeckt und zum Bundesliga-Club Borussia Dortmund vermittelt. Rudi Assauer hat sein Traumziel erreicht: Er ist Profi-Fußballer – mit 19 Jahren. Schon drei Jahre später feiert der Libero als jüngster Spieler seinen größten sportlichen Triumph. „Schwarz-gelb“ erringt mit ihm den Europapokalsieg.

Bankkaufmann wird er spielend
Im besten Spiel-Alter macht Rudi Assauer während seiner Zeit bei Borussia Dortmund eine weitere Ausbildung: Er wird Bankkaufmann. Ballverluste muss er hierfür nicht in Kauf nehmen. „Die Lehre war vom Verein so organisiert, dass ich weiter spielen konnte.“ Drei Jahre ist er Banker und Spielmacher zugleich.

Manager: In 48 Stunden
1970 erfolgt der Transfer zum SV Werder Bremen. Sechs Jahre später beendet Rudi Assauer in der Weserstadt nach 307 Bundesligaeinsätzen seine Karriere als Fußball-Spieler. Resümee: „Damals war man mit 32 Jahren ein alter Mann. Wir haben alles falsch gemacht: Training und Ernährung. Und die heutige gute Pflege gab es auch noch nicht.“ In Bremens Club-Präsident Dr. Franz Böhmert, ehemals Vereinsarzt, findet er einen Förderer. Noch heute verbindet beide eine enge Freundschaft. Werder Bremen hält eine neue Aufgabe für ihn bereit: „Samstags habe ich mein letztes Spiel gemacht, montags saß ich am Schreibtisch und war Vorgesetzter“, beschreibt er die Einwechslung zum jüngsten Manager eines Bundesligaclubs. Nebenbei bleibt er voll im Training. Fußball-Management, ein Beruf ohne Lehrbuch. Er erlebt, erfährt, erlernt ihn praktisch – von Marketing bis Steuerberatung, vieles autodidaktisch und mit „Aug’ und Ohr“, wie Rudi Assauer es nennt. Im sportlichen Bereich entdeckt er ein anderes Talent an sich: Die Gabe der schnellen Beurteilung. „Nach einer Halbzeit weiß ich, ob ein Spieler ins Team passt oder nicht“.

Glück auf, Glück ab: Ein-, Ab-, Auf- und Ausstieg
1981, nach Saisonende steigt er als Manager beim FC Schalke 04 ein. Die folgenden fünf Jahre gehören hier dem Wechselspiel aus Ab- und Aufstieg. Für ihn enden sie 1986 mit dem Ausstieg. „Auslöser war ein Zerwürfnis mit dem damaligen Vereins-Präsidenten“, berichtet er nachdenklich und noch ins Geschehen vertieft. Rudi Assauer wird entlassen – ein „ungerechter Rausschmiss“.

Sieg in der zweiten Halbzeit
Noch im selben Jahr geht er zurück nach Bremen und arbeitet als Immobilien-Manager. Vorübergehend. Vier Jahre. „Eine schöne Zeit war das damals.“ Der Satz kommt schnell, leise und ohne Geste. Wieder in Ballkontakt gelangt er 1990, als er das Management des Zweitligisten VfB Oldenburg übernimmt. Die Überraschung indes bringt der Jahresbeginn 1993: „Per Telefon eröffnete mir der Präsident von Schalke 04, dass es Schwierigkeiten gibt“, teilt Rudi Assauer mit. Und er ist auserwählt, den „mit 20 Millionen Mark verschuldeten Verein“ aus der Krise zu führen. – Zurück in die Zukunft. Zu den Knappen. Nach sieben Jahren.

Die Hand Pottes
Temperamentvoll wirft Rudi Assauer ein: „Alle Pläne, die ich mit Schalke hatte, habe ich eins zu eins umgesetzt.“ Der Tradition des einstigen Bergarbeiter-Clubs schenkt er respektvoll Raum, die Zukunft geht er mit Visionen an. Im Gedächtnis fest verankert ist ein „Sonntag im November 1994“, an dem der Macher erste Gespräche über seine Idee eines neuen Fußball-Stadions führt. Mehrere Jahre kämpft er sein anspruchsvolles Herzblut-Projekt durch, sichert die Finanzierung – „ohne öffentliche Mittel“. Sportliche Erfolge bestätigen überdies seinen eingeschlagenen Weg, allen voran der Gewinn des UEFA-Cup 1997.

Ein Jahr später beginnen die Bauarbeiten zur neuen Arena. Nach drei Jahren Bauzeit „mit vielen spannenden Momenten“ wird 2001 Europas modernstes Fußballstadion, die „Arena AufSchalke“ eingeweiht. Ein Vorzeige-Objekt des Vereins, das auf die Stadt Gelsenkirchen und das Ruhrgebiet Glanz abstrahlt. 2006 wird die „Arena AufSchalke“ zu den Austragungsorten der Fußball-Weltmeisterschaft gehören und 2012 vielleicht auch zu denen der Olympischen Spiele. „Ein solches Stadion mit diesen technischen Finessen wird es in den nächsten 15 bis 20 Jahren nirgendwo geben“, ist sich Rudi Assauer sicher und zeigt Stolz – auch darüber, inmitten des Ruhr-Pottes, der ihm bis heute Heimat ist, etwas bewegt, geschaffen zu haben – allen schlechten Voraussetzungen zum Trotz.

Nach-Spiel-Zeit
Als Gegenpol zu den Stärken, wie steht’s da mit Schwächen? „Bei bestimmten Menschen bin ich lange nachtragend.“ Und was verbindet Rudi Assauer mit Luxus und Bescheidenheit? „Bescheidenheit bedeutet für mich, Dinge in Demut anzunehmen.“ Seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen prägt, sie erdet ihn. Beim Gedanken an Luxus kommt die Natur des Libero, des freien Mannes durch: „Unabhängig den Tag einteilen zu können, Entscheidungen zu treffen“, so die prompte Antwort. Zur Lebensart gehöre bei ihm, mal schön Essen zu gehen, ein gutes Glas Wein zu trinken und eine gute Zigarre zu rauchen – gepafft verströmt sie ihren Duft. Gedanken- und Atempause. „Gesundheit ist das allerwichtigste im Leben“, sprengt er eine kurze Stille.

Szenenwechsel: Kick gibt Kick
Rudi Assauer pöhlt auch heute noch – nicht nur, um am Ball zu bleiben, sondern aus purer Leidenschaft. Gekickt wird mit der Betriebsmannschaft, einem Team aus Profis unterschiedlichster Profession. Die Belohnung liegt an diesem Tag im Himmel, denn der wechselt zu Spielbeginn von Grau auf sonniges Blau-Weiß. „Alles würde ich dafür geben, noch einmal 26 zu sein.“ Das glaubt, wer Rudi Assauer „auf´m Platz“ beobachtet: Spielfreudig, kämpferisch und mit beeindruckendem Stimmvolumen erlebt man ihn dort. Danach stapft er klackend über den Holzboden des Clubhauses: „Beim Fußball-Spielen kann ich mir die Lunge aus dem Hals brüllen, laufen, schwitzen, mich austoben“, sprüht er vor Energie und die Augen leuchten.

Schluss-Pfiff
Mit Blick gen Horizont offenbart er zum Schluss noch einen Zunkufts- und Herzenswunsch: „Einmal noch mit Schalke 04 Deutscher Meister werden.“ – You´ll never walk alone.

Was Rudi Assauer dem Nachwuchs mit auf den Weg gibt

Welche Merkmale halten Sie für wichtig, um erfolgreich zu werden?
„Ehrgeiz und Willensstärke.“

Was empfehlen Sie jungen Menschen?
– Eine Ausbildung, auf der man aufbauen kann
– Sich Ziele zu stecken und sie zu erreichen
– Keine Traumwelten aufzubauen

Sich zu fragen:
– „Was kann ich?“
– „Welche Anforderungen stellt der Markt?“
– „Wo und wie kann ich mich einbringen?“
– Und bei Schwierigkeiten: Nicht gleich aufgeben – durchhalten.