Interview mit Vlastimil Hort

"Frauen spielen zielbewusster"

Vlastimil Hort, Foto: Vladimir Jagr
Vlastimil Hort, Foto: Vladimir Jagr

Gender Diversity gibt es auf einem Schachbrett zwar nicht, denn unter den 32 Figuren finden sich nur zwei Damen. Aber Schachspieler wissen: Auf die Qualität der Figuren kommt es an. Die Dame ist die uneingeschränkte Herrscherin auf dem Brett. Zufall? Von wegen, sagt Schachgroßmeister VLASTIMIL HORT. Er spielt besonders gerne als Kopf eines Teams aus Schachveteranen gegen junge weibliche Schachprofis und begründet, warum dank ihrer guten Strategien heute junge Frauen am Zug sind: im Schach, aber auch in der Unternehmenswelt. Die Fragen stellte André Boße.

Vlastimil Hort ist seit 1965 Schach-Großmeister. Der 67-Jährige kam in der ehemaligen Tschechoslowakei zur Welt, nahm 1986 die deutsche Staatsbürgerschaft an und ist seitdem konstant einer der besten Spieler des Landes. Der studierte Ökonom mit Schwerpunkt Außenhandel ist Autor diverser Bücher über Schachstrategien und kommentierte für das Fernsehen die TV-Sendung „Schach der Großmeister“

Herr Hort, beim Schach ist die Dame die mit Abstand stärkste Figur auf dem Brett, während der recht hilflose König auf Schutz angewiesen ist. Warum diese Rollenverteilung?
Das Schachspiel orientierte sich seit jeher an den Verhältnissen im wirklichen Leben. Nehmen wir zum Beispiel den französischen Hof: Die Damen hatten die Fäden in der Hand und setzten ihre Interessen durch. Damals wurde der Ausdruck „cherchez la femme“ geprägt …

… der aussagt, man müsse die Frau fragen, um zu erfahren, was wirklich wichtig ist.
Genau. Und diese Weisheit galt längst nicht nur in Frankreich.

Wie setzen Sie persönlich Ihre Dame ein, aggressiv oder eher vorsichtig?
Die Art und Weise, wie jemand Schach spielt, sagt auch etwas über den jeweiligen Charakter des Spielers aus. Ich bin von Natur aus vorsichtig und gehe nicht gerne Risiken ein.

Spielen Frauen eine andere Art von Schach als die Männer?
Ja. Frauen malen ja auch andere Bilder, spielen andere Musik, schreiben andere Bücher.

Glauben Sie denn, dass junge Frauen auch an der Spitze von Unternehmen anders agieren als ihre männlichen Kollegen?
Ich denke, sie pflegen aucheinen anderen Stil, wenn sie als Managerinnen in einem Unternehmen arbeiten. Der größte Unterschied: In vielen Fällen haben Frauen keinen so ausgeprägten Killerinstinkt wie die Männer. Stattdessen besitzen sie einen Riecher für Situationen. Um beim Schach zu bleiben: Sie spielen sehr pragmatisch, unglaublich sachlich. Frauen lassen sich nicht durch weniger wichtige Scharmützel ablenken, denn sie wissen, dass sich die Beschäftigung mit solchen kleinen Ding en nicht rechnet. Nach meinen Erfahrungen – und ich spiele recht häufig gegen junge Frauen – spielen ambitionierte und aufstrebende Schachspielerinnen zielbewusst und eher auf Nummer sicher.

Sind junge Männer beim Schach tatsächlich weniger pragmatisch?
Oh ja. Wenn Frauen einen Bauern verlieren, nehmen sie das hin und fokussieren sich weiter auf die Partie. Aber wenn ein Mann einen Bauern verliert … (lacht) Oh, dann ist das manchmal sehr schlimm. Manche Männer neigen dann zum Drama.

Sie loben die weibliche Spielkunst. Trotzdem gab es bislang noch keine Schachweltmeisterin. Wann schlägt im Schach die Stunde der weiblichen Jungprofis?
Dass bislang nur Männer den Titel geholt haben, lag nicht daran, dass Frauen weniger erfolgreich spielen könnten. Es gibt einfach noch zu wenige Frauen, die Profischach spielen. Es ist also ein statistisches Phänomen, wobei die jungen Frauen im Vormarsch sind – und zwar besonders in wirtschaftlich aufstrebenden Nationen wie China oder Indien. Wobei es übrigens schon einen Fall gab, bei dem eine Dame einen entscheidenden Anteil an einem Titelgewinn hatte: Die wichtigste Schachberaterin des vielfachen Weltmeisters Garri Kasparow war seine Mutter.

Haben Sie eine Vermutung, warum es in den Chefetagen der Unternehmen bis heute so wenige Damen, dagegen aber sehr viele männliche Läufer, Pferde, Türme und Bauern gibt?
Sie können die Chefetagen mit dem Schachbrett vergleichen: Da sind zwar auch nur eine schwarze und eine weiße Dame im Spiel – und doch bestimmen die beiden Figuren das gesamte Spiel.