Wirtschaftsprüfung – Arbeitswelt im Wandel

Wirtschaftspruefung Arbeitswelt im Wandel, Foto: Fotolia/adam 121
Wirtschaftspruefung Arbeitswelt im Wandel, Foto: Fotolia/adam 121

Je komplexer die Wirtschaft, desto größer der Bedarf an Analysten. Unternehmen sehen Wirtschaftsprüfer daher längst nicht mehr nur als gesetzlich vorgeschriebene Instanzen. Sie nutzen die Kenntnisse der Prüfer, um Schwachstellen zu finden und Chancen zu nutzen. Einsteiger treffen damit auf eine spannende Wachstumsbranche, die vom Nachwuchs erwartet, sich insbesondere in IT-Themen einzuarbeiten. Von André Boße

Es geht um Autos und die Energieversorgung, Handel und Konsum, Transport und Logistik, Maschinen- und Anlagenbau, Medien und Telekommunikation, Pharma und Gesundheit. Und das ist nur ein Auszug aus der Branchenliste der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Nein, Langeweile kommt da nicht auf. Wobei, Wirtschaftsprüfer? Sind das nicht die Zahlenmenschen, die ihre Köpfe wochenlang in meterdicke Akten stecken, um dann mit ernster Miene die Zahlen zu bewerten?

„Vor zehn Jahren erledigten wir unsere eigene Dokumentation tatsächlich noch weitestgehend auf Papier“, sagt Andrea Reese, Partnerin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO. Heute dagegen erfolgt die Dokumentation komplett elektronisch. „Dadurch hat sich unser Arbeitsalltag stark verändert: Während wir früher zwischen Bergen von Aktenordnern voll mit Arbeitspapieren saßen, reichen uns heute Notebook und Scanner als Arbeitsmaterialien.“

Die Branche als „Big Four“ bezeichnet man in der  Branche die vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die vor allem das Geschäft mit den börsennotierten großen Unternehmen dominieren. Laut der 2015er-Liste des Marktanalysten Lünendonk lag beim Umsatz in Deutschland  PwC auf Platz eins, dahinter KPMG, EY (früher Ernst & Young) sowie Deloitte. Neben den vier Großen gibt es in Deutschland eine Reihe von gut aufgestellten größeren Gesellschaften sowie mittelständischen Gesellschaften, die sich teilweise in Netzwerken zusammengetan haben. Die Lünendonk-Liste 2015 ist zum freien Download erhältlich:
www.luenendonk-shop.de

Und noch etwas hat sich geändert: Früher lag der Fokus der Arbeit eines Wirtschaftsprüfers häufig darauf, „Plausibilitäts- und Einzelfallprüfungen durchzuführen“, wie Andrea Reese sagt. Also: Ins Unternehmen kommen, schauen ob alles passt – und dann weiter zum nächsten Mandanten. Was mitunter fehlte, war der Blick auf das große Ganze, womit der analytischen Arbeit Grenzen gesetzt wurden – Grenzen, die es heute nicht mehr gibt.

Digitalisierung schafft tiefe Einblicke

Die digitalen Werkzeuge sorgen dafür, dass Prüfer sehr viel tiefere Einblicke in die Unternehmen erhalten, für die sie tätig sind. Und dieses Wissen stellen sie ihren Mandanten zur Verfügung: „Aufgrund der heute vorliegenden Datenmengen – Stichwort: Big Data – setzen wir heute den Fokus verstärkt auf Analysen des gesamten Buchhaltungsstoffs“, sagt die BDO-Partnerin und Leiterin des Branchencenters Energieversorgung. Dadurch ändere sich der Anspruch an die Arbeit der Wirtschaftsprüfer: Während man früher von „Prüfergeneralisten“ sprechen konnte, sind sie heute als „Experten und Spezialisten in verschiedenen Branchen und Fachbereichen tätig“, so Andrea Reese.

Ein Beispiel dafür, wie weit sich die Tätigkeitsfelder von Wirtschaftsprüfern öffnen, ist das IT-Audit – eine Dienstleistung, mit der Prüfungsgesellschaften wie BDO ihr Geschäftsfeld erweitern. Zum einen analysieren die Wirtschaftsprüfer bei der Jahresabschlussprüfung das IT- Umfeld der Mandanten. Zum anderen bieten die Gesellschaften aber auch an, die Mandanten bei der Auswahl und Einführung neuer Software zu unterstützen.

Bei BDO werden junge Mitarbeiter nach einer intensiven allgemeinen Ausbildung auf Fachthemen wie das IT-Audit sowie auf besondere Branchen wie Banken- und Finanzdienstleister oder die Gesundheitsbranche spezialisiert, beschreibt Andrea Reese. Die Struktur einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wie BDO mit eigenen Branchencentern zeigt, wie differenziert das Geschäftsmodell dieser Unternehmen aufgestellt ist. Bei dieser großen Vielfalt stellt sich die Frage: Was genau ist denn die Kernaufgabe eines Wirtschaftsprüfers?

Sabine Stadie, Personalleiterin bei der Prüfungsgesellschaft Warth & Klein Grant Thornton (WKGT), nennt als rechtlichen Rahmen des Berufes den Paragrafen 2 der Wirtschaftsprüfungsordnung:„ Danach kann man grundsätzlich die Aufgaben einteilen in Prüfungstätigkeit, Steuerberatung, Unternehmensberatung, Gutachtertätigkeit, Treuhandtätigkeit sowie Rechtsberatung.“ Derzeit würden besonders Empfehlungen sowie Unterstützungen bei „prüfungsnahen Dienstleistungen“ nachgefragt, so Sabine Stadie, also bei Prozessen, die unmittelbar mit der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabe der Jahresabschlussprüfung zu tun haben. „Dabei geht es um Fragen zu den International Financial Reporting Standards (IFRS), also den international gültigen Rechnungslegungsvorschriften für Unternehmen, oder auch um die Optimierung von internen Prozessen im Rechnungswesen.“

Empfehlungen gewünscht

Doch die Mandaten wünschen sich von ihren Wirtschaftsprüfern verstärkt eben auch weiterreichende Empfehlungen: Zu M&A-Geschäften und steuerlichen Optimierungen, zu Restrukturierungen und Sanierungen. „Auch die Themen Risikomanagement und Compliance haben an Bedeutung gewonnen, wobei der Fokus hier zunehmend auf Aspekten der IT-Sicherheit liegt“, so Sabine Stadie von WKGT.

Wichtig ist der Personalleiterin, den Nachwuchs zu ermutigen, neben der Einarbeitung in die fachlichen Themen einen offenen Blick zu behalten: „Es geht darum, die bekannte kritische Grundhaltung eines Wirtschaftsprüfers mit einer breit angelegten Perspektive zu verknüpfen.“ So könne es gelingen, den Beruf des Wirtschaftsprüfers anders als früher sehr zukunftsorientiert zu interpretieren. „Ging es damals primär um die vergangenheitsorientierte Prüfung historischer Finanzdaten, wird es heute immer wichtiger, einen Ausblick auf die Entwicklungschancen und Risiken des Unternehmens zu geben und zu bewerten“ – und das könne nur dann geleistet werden, wenn „der Wirtschaftsprüfer das zu prüfende Unternehmen in seiner Gesamtheit betrachtet und versteht“.

Wiwis treffen auf ITler

Direkter Weg in den Beruf

In Deutschland gab es lange kein Hochschulstudium,  das geradlinig zum Wirtschaftsprüferberuf  führte. Mit dem Wirtschaftsprüfungsexamens- Reformgesetz  änderte sich das. Ein spezieller zweijähriger  Masterstudiengang bietet eine fundierte  wissenschaftliche Ausbildung mit  hohem Praxisbezug, der berufsbegleitend  auf die Anforderungen des Wirtschaftsprüfungsexamens  ausgerichtet ist und  dieses durch die Anrechnung von Studienleistungen  verkürzt, heißt es bei der  Akademie des Instituts der Wirtschaftsprüfer  (IDW). Derzeit bieten acht Hochschulen  diesen Masterstudiengang an.
Mehr Infos unter: www.idw.de

Einen immer größeren Anteil an dieser Gesamtheit besitzen im Zeitalter der Digitalisierung die IT-Strukturen. Absolventen der Wirtschaftswissenschaften, die Lust auf eine Prüferkarriere entwickelt haben, sind gut beraten, neugierig auf digitale Themen zu sein. Die Prüfungsgesellschaften, für die sie tätig sein werden – übrigens egal ob groß oder klein (siehe Kasten) – wappnen sich ihrerseits für die neuen digitalen Geschäfte.

Es werde derzeit viel IT- Kompetenz aufgebaut, sagt Brigitte Rothkegel-Hoffmeister. Als Zuständige für die Themen Aus- und Fortbildung beim Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) sowie Leiterin der IDW-Akademie kennt sie die Entwicklungen auf dem Markt der Prüfungsgesellschaften und kann die Anforderungen gut ein- schätzen, auf die Einsteiger in der Branche treffen. Ihre Prognose: Die Unternehmen der Branche bauen ihre IT-Schlagkraft nicht alleine durch umfangreiche Aus- und Fortbildungsmaßnahmen auf, sondern auch durch eine neue Vielfalt bei den Mitarbeitern. „Der Berufsstand wird künftig verstärkt Nachwuchs aus den MINT- Fächern, also aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, rekrutieren.“

Nun sollten Wiwis nicht befürchten, dass junge IT-Experten sie bei den Bewerberrunden ausstechen werden. Es ist eher zu erwarten, dass die Arbeitgeber den technischen Nach- wuchs zusätzlich an Bord holen, um in diesem Bereich gut aufgestellt zu sein, ohne beim Stammgeschäft Defizite in Kauf zu nehmen. Für Wiwi-Absolventen wird sich trotzdem etwas ändern: Durch die neuen technischen Schwerpunkte sind die Teams vielfältiger zusammengesetzt, die Sprachen und Methoden der IT-Spezialisten finden Einzug in die Meetings und Arbeitsprozesse.

Aber nicht nur intern kommt es auf IT-Kenntnisse an: Auch die Mandanten verlangen nach Wirtschaftsprüfern, die „die Zusammenhänge der Geschäftsprozesse und der IT im Unternehmen verstehen und ihre Prüfmethodik darauf aufbauen“, wie Brigitte Rothkegel-Hoffmeister sagt. Zum Beispiel treffen Wirtschaftsprüfer in den Unternehmen auf Cloud-Lösungen: „Hier müssen sie in der Lage sein, die Analyse- und Auswertungsmöglichkeiten der Mandantensoftware und deren Ergebnisse zu nutzen.“ Damit das gelingt, sei es entscheidend, auf das Wissen von IT-Experten zuzugreifen. Und das funktioniert wiederum nur, wenn man Grundkenntnisse mitbringt sowie die IT-Themen einschätzen kann.

Flexible Arbeit lockt Frauen

Für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind das gravierende Änderungen. Einsteiger dürfen sich daher darauf einstellen, dass sich auch der Anspruch an die Führungskräfte wandelt. „Die zunehmende Komplexität und Dynamik unseres Umfelds erfordert auch von unseren Führungskräften einen umfassenderen Leadership-Ansatz, als es vielleicht früher einmal der Fall war“, sagt Sabine Stadie von WKGT. Dazu zähle es auch, die Arbeit in den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften anders zu gestalten, sprich: flexibler zu machen.

Das ist auch notwendig, denn die Gesellschaften haben einen großen Bedarf an hochqualifizierten Mitarbeitern und stehen in Konkurrenz mit anderen Playern der beratenden Branchen. „Der Berufsstand hat daher erkannt, dass Frauenförderung nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch einen Wettbewerbsvorteil bietet“, sagt die Leiterin der IDW-Akademie, Brigitte Rothkegel-Hoffmeister. Ihre Einschätzung:„ Der Beruf des Wirtschaftsprüfers bietet Frauen nach dem Berufsexamen eine weitaus größere Flexibilität in der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen als andere Berufe.“

Positiv bewertet sie zudem die neuen Ausbildungswege: Mit dem neu geschaffenen Paragrafen 8a der Wirtschaftsprüferordnung (WPO) wurde in Deutschland erstmals ein akademisches Studium eingeführt, das geradlinig zum Wirtschaftsprüfungsexamen führt (siehe Kasten). „Das bietet dem Berufsnachwuchs mehr Flexibilität in der Lebensplanung“, sagt Brigitte Rothkegel-Hoffmeister. „Künftig kann das Wirtschaftsprüfungsexamen bereits deutlich vor dem 30. Geburtstag bestanden sein. Diese Perspektive dürfte Nachwuchskräften gefallen.“

Nachhaltigkeitsnetzwerk

Nachhaltigkeit ist das Thema der Stunde – auch für Wirtschaftsprüfer. So sind die vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften allesamt Mitglied bei Econsense, dem Nachhaltigkeitsnetzwerk der Deutschen Wirtschaft, in dem auch zahlreiche Konzerne vertreten sind. Unter anderem tauschen sich die Mitgliedsunternehmen zur Messbarkeit von Nachhaltigkeit aus und treiben die ständige Weiterentwicklung des Themas im Gespräch mit Stakeholdern voran.
www.econsense.de

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