Generation Y bestimmt den Takt

Foto: Fotolia/Liddy Hansdottir
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Junge Juristen mögen es flexibel und perspektivisch. Sie möchten Familie und Karriere in Einklang bringen und nicht nur mit Spaß, sondern auch möglichst gesund bei der Sache sein. In vielen großen Sozietäten sorgen sie dadurch für einen frischen Wind – und ändern nachhaltig die Kanzleikultur. Von André Boße

Jörg Wulfken ist großer Fußballfan. „Leider nur noch passiv“, wie der Partner der Wirtschaftskanzlei Mayer Brown zugibt. Dennoch: Dass der Jurist, Mitglied des Führungskomitees der internationalen Sozietät, eine Leidenschaft für das runde Leder hat, ist kein Geheimnis. Am Frühstückstisch gehört der erste Blick den Sportseiten – der Wirtschaftsteil kann warten. Und wenn sein Herzensverein, der SV Werder Bremen, am Wochenende gewonnen hat, dann ist dem 53-jährigen Juristen das Glück über drei gewonnene Punkte auch im Büro anzumerken. „Freude an Beruf und Privatleben ist gleichermaßen wichtig“, sagt Wulfken. Natürlich geht es nicht ohne Stress, das weiß der Top-Jurist aus der Erfahrung von 25 Berufsjahren. Entscheidend sei jedoch, wie man mit dem Stress umgehe und sein Arbeits- und Freizeitleben gestalte.

Wenn Einsteiger ihn danach fragen, wie er das gemeistert hat, hilft Wulfken mit einem sportlichen Rat: „Den jungen Kollegen sage ich häufig, dass das Berufsleben ein Marathon und kein Sprint ist.“ Sprich: Man kann sich nicht dauerhaft vollkommen verausgaben. Vielmehr kommt es darauf an, früh ein Gespür für das eigene Tempo zu entwickeln und sich die Wegstrecke sinnvoll einzuteilen. Denn: Wer auch nach einigen Jahren im Beruf noch frisch ist, hat nicht nur mehr Erfolg, sondern arbeitet auch mit mehr Spaß.

Neue Generation ist prägend
Immer mehr Großkanzleien erkennen daher, wie wichtig Themen wie Gesundheitsmanagement und Work- Life-Balance sind – gerade mit Blick auf die junge Generation. Die Sozietät Taylor Wessing, für die in Deutschland rund 300 Juristen tätig sind, hat eine Studie in Auftrag gegeben, um zu erfahren, mit welcher Einstellung talentierte Nachwuchskräfte in den Anwaltsberuf einsteigen. Befragt wurden dafür ambitionierte Juristen der Jahrgänge 1979 bis 1994, die bei normalem Karriereverlauf ab etwa 2020 Führungs- und Managementpositionen in den Großkanzleien einnehmen. Man spricht hier von der Generation Y oder auch den „Millenials“. Das Ergebnis: Nach und nach entstehen Anwaltskanzleien einer „neuen Generation“, geprägt von jungen Juristen, die auf andere Dinge Wert legen, als es ihre älteren Kollegen getan haben.

Besonders spannend sind die Antworten auf die Frage, auf welche Art sich der Nachwuchs für seine Arbeit motivieren lässt: Vorbei die Zeit, als alleine der klangvolle Name einer Großkanzlei, die Aussicht auf internationale Mandanten oder üppige Gehälter für Leidenschaft sorgten – und Wochen mit 60 oder mehr Arbeitsstunden dafür klaglos hingenommen wurden. „Heute sind flexible Arbeitszeiten, Angebote zur Work-Life-Balance und Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung die zentralen Punkte, aus denen Jura- Nachwuchskräfte ihre Motivation ziehen“, formulieren die Autoren der Studie. Besonders bemerkenswert: Die meisten jungen Juristen sind damit einverstanden, weniger zu verdienen, wenn sich dafür die Arbeitszeit in Maßen hält. „An viele Themen wie beispielsweise Burnout gehen junge Generationen einfach bewusster heran – der Gehaltsscheck am Ende des Monats ist nicht mehr alles“, bringt Andreas Ziegenhagen, Managing Partner Deutschland der Kanzlei Dentons, diesen Wandel auf den Punkt.

50 Urlaubstage pro Jahr
Auch die Großkanzleien reagieren auf die Bedürfnisse des Nachwuchses. Mayer Brown zum Beispiel bietet seit 2012 ein Modell mit 50 Urlaubstagen pro Jahr an. Die üblichen 28 Tage werden bezahlt, die zusätzlichen können bei entsprechenden Gehaltsabschlägen in Anspruch genommen werden. Seit etwas mehr als einem Jahr setzt die Kanzlei das Angebot um. „Die Nachfrage ist etwas geringer, als wir erwartet hatten“, berichtet Partner Jörg Wulfken. „Allerdings fragen Bewerber oft danach.“ Das Interesse sei also vorhanden, jedoch beobachte er, dass Einsteiger zunächst lieber voll durchstarten möchten. Wulfken: „Sie sind neugierig auf den Berufsalltag in einer internationalen Kanzlei und wollen möglichst viel sehen und lernen. Wir haben aber den Eindruck, dass sie die Option schätzen, zu einem späteren Zeitpunkt auf das Modell zurückgreifen zu können.“

Bezahlte Sabbaticals auch für Associates
Die Wirtschaftskanzlei Gleiss Lutz machte im Sommer 2013 durch die Einführung von vierwöchigen Sabbaticals auf sich aufmerksam: Nach drei Jahren in der Kanzlei können Associates die erste Auszeit einlegen, nach weiteren drei Jahren eine zweite – ohne Einbußen beim Gehalt. Alexander Schwarz, personalverantwortlicher Partner der Kanzlei, beobachtet, dass die Generation Y dieses Thema vermehrt in der Kanzleikultur etabliert. „Vor zehn Jahren hat so eine Auszeit noch niemanden interessiert, heute fragen die Bewerber aktiv danach. Maßnahmen für eine ausgeglichene Work-Life- Balance wie das Sabbatical werden von der Generation Y erwartet – und da gehen wir gerne mit.“

Schwarz glaubt, dass im Wettbewerb um die großen Talente solche Angebote genau das entscheidende Quäntchen sein können, das den Ausschlag für eine Kanzlei gibt. Für Partner gibt es bei Gleiss Lutz schon länger unbezahlte Sabbaticals, die auch regelmäßig in Anspruch genommen werden. Häufig werden sie für die Erfüllung lang gehegter Wünsche genutzt: Reisen nach Australien oder zu Freunden in Europa, Klavierunterricht, um Rachmaninov spielen zu lernen. Anfang 2014 begannen nun die ersten Associates ihre einmonatigen bezahlten Sabbaticals – und zwar, um Zeit mit ihren kleinen Kindern zu verbringen. Unterstützung erfahren junge Eltern in der Sozietät auch durch flexible Arbeitszeitmodelle: „Eine familienbedingte Teilzeit gehört bei uns mittlerweile zur Kanzleikultur“, sagt Alexander Schwarz – und das gelte für Frauen und Männer.

Expertise Gesundheitsmanagement

Work-Life-Balance und Gesundheitsmanagement sind nicht nur innerhalb der Kanzleien ein Thema: Immer mehr Unternehmen aus fast allen Branchen führen Maßnahmen ein und bieten ihren Mitarbeitern attraktive und flexible Arbeitszeitmodelle. Für Arbeitsrechtler entsteht hier ein interessantes neues Gebiet: Wie können diese Angebote sattelfest formuliert werden? Welche gesetzlichen Vorgaben zum Gesundheitsschutz der Mitarbeiter gibt es? Wie müssen Vorgesetzte mit erkrankten Mitarbeitern umgehen? Die Anwaltssozietät CMS Hasche Sigle erörtert im Info-Blatt „Update Arbeitsrecht 09/13“ die wichtigsten Fragen und Entwicklungen.
www.cms-hs.com/Update_Arbeitsrecht_0913

In der Stuttgarter Wirtschaftskanzlei Menold Bezler ist der Altersdurchschnitt der Anwälte vergleichsweise niedrig, ohne Partner liegt er bei 34, inklusive Partnern bei 41 Jahren; der Frauenanteil liegt mit 50 Prozent recht hoch. Entsprechend wichtig sind der Sozietät Angebote zur Work-Life- Balance. „Unser Anspruch ist es, unsere Mitarbeiter in jeder Lebensphase bestmöglich zu unterstützen und so flexibel wie möglich zu sein“, sagt Stefanie Müller, Personalerin der Kanzlei. Neben Eltern- und Promotionszeiten bietet der Arbeitgeber Teilzeitmodelle auf allen Ebenen an – auch für Partner. „Wir haben das Modell der Teilzeit im Gesellschaftsvertrag verankert; derzeit arbeiten bei uns drei Partner und eine Partnerin in Teilzeit.“ Ganz neu ist ein voll ausgestattetes Eltern-Kind- Arbeitszimmer, das alle Mitarbeiter bei Bedarf nutzen können. Weitere Module wie ein Kindertaxi oder die Betreuung von erkrankten Kindern zu Hause sowie ein Zuschuss zu den Betreuungskosten helfen den Eltern unter den Mitarbeitern.

Zwar sei Familienplanung für Einsteiger häufig noch kein Thema, doch würden die Angebote früher oder später relevant – und dann auch gerne genutzt. Wenn man sich bei den großen Sozietäten umhört, wird offensichtlich, dass die Arbeitgeber das Thema Gesundheit nicht als weiches Kann-Thema betrachten, mit dem man jungen Talenten einen Gefallen tut, ohne dass man als Arbeitgeber selber etwas davon hat. „Gesundheit spielt eine wichtige Rolle in unserer Branche, immerhin ist es ein Geschäft, bei dem man mit vielen Menschen im direkten Kontakt steht“, sagt Andreas Ziegenhagen von Dentons. „Und um hohe Leistungen für den Mandanten zu erbringen, muss man gesund sein.“ Ein echter Renner in seiner Kanzlei sind in dieser Hinsicht die wöchentlichen Yoga-Kurse, die sehr großen Zulauf finden. Yoga für Juristen – klingt lustig, hat aber einen ernsten Hintergrund: Nicht nur die Kanzlei profitiert von einer gesunden Belegschaft, sondern auch die Juristen selbst, denn Ausfälle wegen Krankheit führen zu Stress: für den, der krank ist, aber auch für die, die ihn vertreten müssen. Daher organisierte die Kanzlei zudem einen Termin zur gemeinsamen Grippeimpfung. Ziegenhagen: „Wenn sich der Arbeitgeber solcher Themen annimmt, spart man als Mitarbeiter viel Zeit, die man besser nutzen kann, als einen Arzttermin wahrzunehmen.“

Mit diesen und anderen Maßnahmen wie flexiblen Arbeitszeiten und der Möglichkeit zur Elternauszeit für weibliche und männliche Juristen will die Kanzlei dazu beitragen, dass die Mitarbeiter zufrieden und motiviert sind. „Natürlich“, so Ziegenhagen, „sind Privat- und Berufsleben nach wie vor zwei verschiedene Paar Schuhe – aber sie sollten doch jeweils individuell passen.“

Buchtipp

Juristin Iris Riffelt beleuchtet was jemanden erwartet, der sich auf dem Weg in den Burnout befindet und nun die Notbremse ziehen muss. Schwerpunkte des Buches sind dabei die arbeitsrechtlichen Gesichtspunkte und die Abklärung finanzieller Fragen sowie der berufliche Wiedereinstieg.

In dem Ratgeber erfahren Sie, wie Sie geordnet aus dem Berufsleben aus- und später wieder einsteigen können. Dieses Buch informiert Sie über die rechtlichen Probleme, egal ob Sie Arbeitnehmer, Beamter, Arbeitsloser oder Arbeitgeber sind, von der Krankmeldung über die Kündigung bis hin zur Reduzierung der Arbeitszeit. Wie läuft ein Wiedereingliederungsgespräch ab, was muss der Betroffene beachten und wie kann er sich dagegen wehren oder darauf vorbereiten? Ferner werden die Probleme mit den gesetzlichen und privaten Krankenkassen aufgezeigt. Tipps, was die Angehörigen tun können, um den Betroffenen zu entlasten, und vieles mehr.

Iris Riffelt: Zwischenstopp Burnout.
Praktische Hilfe für den geordneten Ausund Wiedereinstieg: Rechte, Finanzen, Versicherungen.
Wiley-VCH Verlag 2012. ISBN 978-3527506620. 16,90 Euro.