Genau in der Sache, geschätzt im Team

Foto: Fotolia/MP2
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Zwischen Rechtsmonopol und Beratungsauftrag: Erfolgreiche Wirtschaftsanwälte punkten, wenn die Mandanten ihnen vertrauen. Dafür brauchen sie Erfahrung und Wissen, Kontakte und Talent. Recruiting-Verantwortliche deutscher Wirtschaftskanzleien erzählen, wie sich Nachwuchsjuristen diese Dinge aneignen können – und warum es wichtig sein kann, die erste Wahl fürs Bierchen am Abend zu sein. Von André Boße

Vor wenigen Monaten standen die Anwälte von BDO Legal, der beratenden Kanzlei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, vor einem kniffligen Problem: Ein Mandant hatte erwogen, ein anderes Unternehmen zu übernehmen. Das Ergebnis einer ersten Analyse: ein risikoreiches Unterfangen. Die M&A-Spezialisten erarbeiteten einen Weg, um die aufgedeckten Risiken im Rahmen der Übernahme zu decken. „Während der Verhandlungen bekamen wir jedoch zusätzlich ein ungutes Gefühl, da sich diverse Angaben und Äußerungen der Verkäufer und der Zielgesellschaft widersprachen“, erinnern sich die beiden Geschäftsführer von BDO Legal, Erika Kutz-Benger und Parwäz Rafiqpoor. Doch der Mandant beharrte zunächst auf seinem Plan: Er wollte die Übernahme unbedingt durchziehen. Die Anwälte saßen lange mit dem Mandanten zusammen, wogen das Für und das Wider ab – und überzeugten ihn schließlich davon, die Verhandlungen nicht fortzusetzen. Eine richtige Entscheidung: „Heute ist das Unternehmen, das übernommen werden sollte, insolvent – und unser Mandant froh und dankbar.“

Branchenkenntnisse wichtig
Die Episode macht deutlich, wie sich das Berufsverständnis von Wirtschaftsanwälten in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Vorbei die Zeit, als die Juristen ausschließlich auf Handlungen und Absichten ihres Mandanten reagierten und ihre eigene Meinung tunlichst unterdrückten. Zwar trifft noch immer der Mandant die wirtschaftlichen Entscheidungen. „Aber der anwaltliche Berater sollte diese so betrachten, als wären es seine eigenen Chancen und Risiken, die es zu bewerten gilt“, formulieren es die Geschäftsführer von BDO Legal. Klingt logisch. Bringt aber einiges mit sich. Wer heute als Wirtschaftsanwalt in einer großen Kanzlei einsteigt, muss in der Lage sein, die Chancen und Risiken zu erkennen und zu bewerten. Und zwar nicht nur aus juristischer Sicht, sondern auch aus der Perspektive seines Mandanten. Dafür muss der anwaltliche Berater verstehen, wie Unternehmer ticken. Er muss aber auch begreifen, was die Branche auszeichnet, in welcher der Mandant tätig ist. Muss ihre Eigenarten einschätzen und Zeichen des Wandels erkennen können.

Fester Ansprechpartner
Für den Beruf des Wirtschaftsjuristen bedeutet dieses Jobprofil einen Paradigmenwechsel. „Wer heute sein Jurastudium absolviert hat, dem stellt sich nicht mehr nur die Frage, in welches Rechtsgebiet er einsteigen möchte, sondern auch in welche Branche“, sagt Stefan Kursawe, Partner der Münchener Wirtschaftskanzlei Heisse Kursawe Eversheds. Viele große Sozietäten haben damit begonnen, ihre internen Strukturen an die neuen Herausforderungen anzupassen: Weg von den Praxisgruppen für bestimmte Themen und Rechtsgebiete, hin zu Gruppen, die sich an Sektoren und Branchen ausrichten. So bildet sich zum Beispiel eine Gruppe „Energie“, die sich dann mit allen möglichen Aspekten des Energiesektors beschäftigt – von gesellschafts- bis zu verwaltungsrechtlichen Fragen.

„Juristen sollten die Sektoren und Branchen kennen und sich in sie einarbeiten“, fordert Stefan Kursawe. Beispiel Automobilindustrie: Anwaltliche Berater müssen wissen, was diese Branche auszeichnet. Dass die Gewerkschaften stark sind. Oder dass die Branche aus einem einzigartigen Geflecht aus Autobauern und Zulieferern besteht. „Ein Mandant aus einer Branche erwartet, so weit wie möglich über die Fachbereiche hinaus einen einheitlichen Ansprechpartner zu haben“, sagt Parwäz Rafiqpoor von BDO Legal. Für die Mandanten ist die rechtliche Materie komplex genug – da ist es verständlich, dass sich Unternehmer bei der Kanzlei ihrer Wahl einfache Strukturen wünschen, die den persönlichen Aufwand und nicht zuletzt die Beratungskosten verringern.

Jura-Know-how bleibt Voraussetzung
Doch was bedeutet dieser Paradigmenwechsel für Einsteiger? Ganz sicher nicht, dass das klassische Fachwissen an Bedeutung verloren hat. Exzellentes juristisches Know-how ist und bleibt die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Karriere – schon alleine, um sich als anwaltlicher Berater von den strategischen Unternehmensberatern abzugrenzen: „Der klassische Unterschied zum Consultant sollte sein, dass der Anwalt im Sinne seines Mandanten nicht seine Kernkompetenz aufgibt: Der Jurist ist der Experte für die Rechtsfragen. Er weiß, was rechtlich erlaubt ist und was nicht“, sagt Stefan Kursawe. „Hier kann der Unternehmensberater nicht mithalten. Und diesen Vorsprung sollte der Anwalt dann auch nutzen.“

Gute Nachricht für Absolventen: Die für das Recruiting verantwortlichen Partner in den großen Wirtschaftskanzleien sind zufrieden mit dem juristischen Wissensstand der Einsteiger. „Die Unis vermitteln weiterhin das klassische Handwerkszeug eines Juristen“, sagt Stefan Kursawe. „Ein Absolvent ist damit nach dem Studium in der Lage, sich einem für ihn bislang unbekannten Rechtsgebiet zu nähern – ein Können, das zwingend notwendig ist.“

Doch das Notwendige reicht alleine nicht aus. „Das Beratungsgeschäft ist ein People-Business“, sagt Stephan Brandes. Der für das Recruiting verantwortliche Partner der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz glaubt sogar, dass die Mandanten eine Kanzlei nicht in erster Linie wegen des guten Namens beauftragen. „Entscheidend ist, dass sie den persönlichen Kontakt zu den Anwaltspersönlichkeiten schätzen.“ Eine Sicht, die auch Alexander Schwarz, Partner der Düsseldorfer Wirtschaftskanzlei Gleiss Lutz bestätigen kann: „Am Ende kommt es häufig auf die Chemie zwischen Unternehmen und Kanzlei an. Ein Mandant sagte mir einmal: ,Ich weiß, dass dieses rechtliche Problem in Deutschland auch noch ein paar andere lösen können – und ich entscheide mich für den, von dem ich denke, dass man mit ihm abends auch mal ein Bier trinken kann.’“

Thema der Stunde: Compliance

Nach Ansicht vieler Experten ist Compliance in großen Wirtschaftskanzleien das Thema der Stunde – und zwar nicht nur in den klassischen Compliance- Bereichen wie dem Kartellrecht, sondern zum Beispiel auch im Gesellschaftsrecht: Hier arbeiten Gesellschafts- und Aktienrechtler eng mit Strafrechtlern zusammen, um die Unternehmen und ihre Vorstände umfassend zu beraten. Das Neue: Unternehmen treten an Kanzleien heran und wünschen sich den Aufbau eines Compliance-Systems, bevor Not am Mann ist und die Behörde an die Tür klopft. Alexander Schwarz von Gleiss Lutz: „Das macht die Arbeit einerseits entspannter. Andererseits sind natürlich gerade solche vorausschauenden Mandate unter den Kanzleien besonders beliebt und entsprechend umkämpft.“


Gute Erfahrungen mit Generation Y

Kein Wunder, dass „Jura-Maschinen“ mit Einserexamen, aber Defiziten auf der sozialen Seite bei vielen Großkanzleien durchs Raster fallen: „Gut ist, wenn ich von Beginn an spüre, dass ein Kandidat Spaß am gesellschaftlichen Kontakt hat und gut mit Menschen umgehen kann“, sagt Alexander Schwarz – und meint damit Menschen aus allen Teilen der Erde, „schließlich sind rund 80 Prozent unserer Mandate international“. Grund zur Klage hat der Recruiter für Gleiss Lutz beim Blick auf die Einsteiger von heute jedoch nicht. „Bewerber aus der sogenannten Generation Y bieten häufig spannendere Lebensläufe, weil es für sie als Studenten nicht nur das Jura-Studium gab, sondern ihnen auch andere Dinge wichtig waren. Diese Kandidaten sind besonders offen und neugierig – zwei sehr wichtige Eigenschaften für exzellente Juristen.“

Damit Einsteiger ihre Offenheit und Neugier schnell beweisen können, setzen die erfolgreichen Wirtschaftskanzleien darauf, die jungen Juristen schnell ins Tagesgeschäft mit einzubeziehen. Viele Tage in Hinterzimmern gehören genauso der Vergangenheit an wie Dutzende Termine als „schweigend lernender Nachwuchs“ an der Seite eines erfahrenen Partners. „Der wichtigste Erfahrungsschatz resultiert aus der Praxis“, weiß SZA-Partner Stephan Brandes. „Wir bemühen uns daher, junge Kräfte in ein breites Feld unterschiedlicher Tätigkeiten einzubinden. So bieten wir ihnen die Möglichkeit, vielfältige Erfahrungen zu sammeln und ihre Neigungen kennenzulernen.“

Entscheidend für den Karriereeinstieg ist dabei häufig das Verhältnis zum vorgesetzten Partner: Gelingt es dem Nachwuchsjuristen, diesen als Mentor und persönlichen Fürsprecher zu gewinnen, sind die Weichen für einen ausgezeichneten Einstieg häufig schon gestellt. Fast alle Großkanzleien bieten heute Strukturen, die ein enges Verhältnis zwischen angestelltem Anwalt und Partner möglich machen. „Wir legen viel Wert darauf, dass der Einsteiger eng mit dem betreuenden Partner zusammenarbeitet“, sagt Alexander Schwarz von Gleiss Lutz, wo auf einen Partner in der Regel nicht mehr als zwei Anwälte kommen. „So ist gewährleistet, dass der Partner auch die Zeit hat, sich dem jungen Kollegen zu widmen und regelmäßiges Feedback zu geben.“

Vertrauen ist der schönste Lohn
Doch die Verantwortung liegt nicht nur beim Vorgesetzen: Die großen Sozietäten wünschen sich Nachwuchsjuristen, die ihre kommunikativen Stärken auch darlegen. „Juristen müssen bei uns Teamplayer mit ausgeprägter Leidenschaft für wissenschaftliches Arbeiten, wirtschaftliche Zusammenhänge und einem Talent für Kommunikation sein: genau in der Sache, geschätzt im Team“, bringen es Erika Kutz-Benger und Parwäz Rafiqpoor von BDO Legal auf den Punkt. Wer es versteht, diese Attribute zu vereinbaren, darf damit rechnen, schon bald zu einem Kanzleiteam zu gehören, in dem Wirtschaftsanwälte nicht nur Juristen, sondern langfristige Partner an der Seite des Mandanten sind.

„Einer unserer Mandanten rief uns letzte Woche an und bat um Rat in einer Angelegenheit, die keinerlei juristischen Hintergrund hatte“, erzählen die beiden Geschäftsführer von BDO Legal eine zweite Episode aus ihrem Arbeitsalltag. „Es handelte sich um eine für den Mandanten ungewohnte Situation, und er hatte das Bedürfnis, gemeinsam mit uns zu überlegen, wie er sich in dieser am besten verhält.“ So kann es gehen, wenn der Mandant seinem Anwalt wirklich vertraut. „Wenn ein Wirtschaftsanwalt dort angelangt ist, hat er als juristischer Berater alles richtig gemacht.“

Thema von morgen: Innovation und Recht

Innovation ist ein Schlüsselwort für die Unternehmen – aber auch ein Feld, auf das sich noch nicht so viele Juristen spezialisiert haben. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Unternehmen werden immer größer, zugleich befindet sich hier nach Ansicht von Experten noch viel juristisches Brachland. Ein Thema ist zum Beispiel eine engere Verschränkung von Arbeits- und Patentrecht: Unternehmen fragen sich verstärkt, welche Vergütungsmodelle es für erfinderische Mitarbeiter geben soll oder wie Innovationsmanagement organisiert werden kann. Stefan Kursawe von Heisse Kursawe Eversheds: „Hier kennt sich noch kaum ein Jurist aus, doch Fragen wie diese werden verstärkt in den Fokus rücken.“