Stefan Wenzel

Foto: Jan Vetter
Foto: Jan Vetter

Waldarbeiter, Agraringenieur, Weinhändler, Umweltminister: Die Karriere des Diplom-Ingenieurs Stefan Wenzel mutet auf den ersten Blick kurios an. Auf den zweiten folgt sie einer stringenten Haltung. Von Martin Häusler

Man hätte es ahnen können. Schon damals in der Schule. Dieser Stefan Wenzel wird kein Jurist. Er wird kein Pfarrer und auch kein Manager. Was ein richtiger Öko ist, einer, der es ernst meint mit seiner Empörung um den Raubbau an der Erde und der Sorge um die Menschheit – und Stefan Wenzel war genau das –, der kann über kurz oder lang nur in der Politik landen. Und wenn einer wie Wenzel erst einmal in der Politik gelandet ist, dann kann er sich nicht mit einer Rolle im Fußvolk begnügen, dann muss er in den Landtag. Und ist einer wie Wenzel erst einmal im Landtag, dann reicht es ihm nicht, Anführer der Opposition zu sein, dann muss er irgendwann Minister werden. Umweltminister natürlich. Denn die Umwelt ist sein Lebensthema.

Stefan Wenzel wächst Anfang der Sechzigerjahre in dem von Mooren umgebenen 2500-Seelen-Dorf Resse zehn Kilometer nördlich von Hannover auf. Sein Vater ist Maschinenbauingenieur, überall liegen Fachzeitschriften herum und entsprechende Bücher, in denen der junge Stefan Wenzel ständig blättert. So etwas könnte prägen. Doch weder wird er durch sein Elternhaus beeinflusst, noch wird er gezwungen, den Pfad des Vaters zu beschreiten. Im Gegenteil. Um Einblicke in verschiedene Berufe zu erhalten, sammelt er schon als Schüler in den Ferien Praktika. Was heute selbstverständlich ist, war in den Siebzigern völlig unüblich. Unüblich auch sein erster Job nach dem Abitur: Waldarbeiter. Unüblich auch sein Berufswunsch: Entwicklungshelfer.

Den besten Weg dorthin vermutete Stefan Wenzel im Studium der Agrarökonomie. Die eine Hälfte seiner Kommilitonen an der Georg-August-Universität in Göttingen war in der Tat von der Vision getrieben, mit dem Diplom eines Agraringenieurs in einem Entwicklungsland Aufbauarbeit zu leisten. Die andere Hälfte jedoch bestand aus Hoferben, die nach dem Studium die elterlichen Ställe und Äcker übernehmen wollten. Globale Mission gegen private Tradition also. Wenzel war – längst klar – einer der Missionare.

Doch während seines Studiums veränderte sich die Welt. Nicht nur, dass sich die Politik 1981 das nahe Gorleben als atomares Zwischenlager ausguckte und damit ungeahnte Bürgerproteste provozierte. Am 26. April 1986 explodierte Block 4 im Kernkraftwerk von Tschernobyl. „Politisiert wurde ich durch die Anti-AKW-Bewegung und die ungeklärte Frage der atomaren Endlagerung“, erinnert sich Stefan Wenzel. „Das hat mich als Jugendlicher stark beschäftigt. Dazu kamen die Welternährungslage und die Nutzung der Gentechnik. Aber erst nach der Reaktorkatastrophe bin ich den Grünen beigetreten.“

Als Mitglied des niedersächsischen- Landtages und Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz hat Stefan Wenzel eine eigene Internetseite: www.stefan-wenzel.de

Von 1986 an saß Wenzel 15 Jahre im Göttinger Kreistag, stieg dort auf zum Fraktionsgeschäftsführer der Grünen. Sein Geld verdiente er als Gesellschafter eines Groß- und Einzelhandels für ökologisch angebaute Weine. 1998 wählte man ihn in den Landtag, wo er neun Jahre lang die Grünen-Fraktion führte – bis er nach dem diesjährigen Sieg von Rot-Grün in Niedersachsen zum Umweltminister ernannt wurde.

„Als absolute Bedingung würde ich es nicht ansehen, dass nur derjenige glaubwürdig Umweltpolitik machen kann, der Ahnung vom Fach hat“, sagt Stefan Wenzel. „Aber ich denke, dass es sehr hilfreich ist, weil man die Argumente, die man auf den Tisch bekommt, selber auch überprüfen können muss.“ Und das schaffen Abgeordnete wie Minister im immer schneller werdenden politischen Alltag längst nicht mehr bei jedem Thema. „Ich habe oft erlebt, dass ich etwas erst verstanden habe, wenn ich tief eingestiegen bin, mir selber ein Bild davon gemacht habe und mich dann fragte, was dafür spricht, die Sache so oder so zu entscheiden. Wenn man nur auf Dritte angewiesen ist, neigt man auch schneller zu Fehlentscheidungen.“

Wenzels eigene Expertise ist das wertvolle Relikt aus Studienzeiten, als er tief in die Physik, in die Chemie, in die Mathematik, in die Volks- und die Betriebswirtschaftslehre eintauchen musste und zweifelte, wofür er das ganze Zeug wohl noch wird brauchen können. „Ich habe aber im Nachhinein die Erfahrung gemacht, dass ich sehr viel dieses Wissens in meinem beruflichen Alltag nutzen konnte“, erklärt Wenzel. „Ich habe viel davon profitiert. Viele wirtschaftliche und technische Zusammenhänge verstehe ich nur deshalb besser. Und gerade in der Umweltund Energiepolitik ist es wichtig, sowohl die ökologischen als auch die ökonomischen Zusammenhänge zu verstehen. Für einen Umweltminister ist es absolut hilfreich, ein solches Grundrüstzeug zu haben.“

Doch fachsichere Quereinsteiger haben es schwer, in der Politik Fuß zu fassen. Wer nicht wie Stefan Wenzel von der Pike auf und über viele Jahre zuerst Kommunal- und dann Landespolitik gemacht hat, kommt gegen die alten Bande nur mit äußerster Zähigkeit an. Was? Ein Ingenieur setzt sich so einfach in unsere Ortsverbandssitzung? Das Misstrauen muss man erst einmal mit viel Menschenkenntnis und Überzeugungsgabe zerstreuen.

In 20 Jahren harter Basisarbeit lernte Stefan Wenzel, wie gesellschaftliche Mechanismen funktionieren, worauf die Medien anspringen, was man tun muss, um im Kreistag Mehrheiten zu bekommen, mit welchen Leuten man wie sprechen muss, um Unterstützung für seine umweltpolitischen Ziele zu finden. An dieser Ochsentour führt selten ein Weg vorbei. Dennoch plädiert Wenzel nicht für den Berufspolitiker, der nie etwas anderes gemacht hat, als an seiner politischen Karriere zu basteln. „Man sollte es über den Weg eines Fachthemas in der Politik versuchen“, betont er. „Man darf nicht glauben, man könne ein guter Politiker werden, nur weil man Politik studiert hat oder schon als Teenager in der Jugendorganisation einer Partei gewesen ist. Oft ist es besser, sich für sein Herzensthema zu entscheiden, also Physik, Chemie oder eben Ingenieurwissenschaften zu studieren, um damit in die Politik zu gehen.“