Future Mobility

Ingenieure für mobile Techniken von morgen gesucht

Nanjing: Megacity ohne Stau und Smog

Wann fliegende Autos den Himmel erobern, ist also noch offen. Ein Trend ist jedoch ersichtlich: Die Möglichkeiten, sich von A nach B zu bewegen, werden in den kommenden Jahren deutlich ansteigen. Mobilität von morgen heißt nicht mehr: „Ich fahre mit dem Auto in die Stadt.“ Sondern: „Ich fahre in die Stadt, mal schauen, wie.“ Klingt planlos – wird aber wohl genau das Gegenteil sein. Hinter dem flexiblen Ansatz steckt die große Strategie einer smarten Mobilität. Wichtig sind diese Konzepte vor allem für die großen Städte.

Hype um den Hyperloop

Elon Musk, Chef des Elektromobilitätskonzerns Tesla, spricht schon seit Jahren vom Hyperloop, wenn es um die Mobilität der Zukunft geht. „Ich denke, Hyperloops sind die beste Lösung für einen schnellen und effizienten Transport zwischen Städten, die weniger als 1500 Kilometer entfernt sind“, schrieb er. Sein Konzept: Passagiere steigen in elektrisch betriebene Kapseln, die mit 1200 Stundenkilometern durch Röhren mit niedrigem Luftdruck sausen. Für die Entwicklung und den Tunnelbau gründete er Ende 2016 die Firma The Boring Company. Im Juli 2017 verkündete Musk via Twitter, er habe von der Regierung die Zusage für den Bau eines Hyperloop-Tunnels an der Ostküste erhalten, der Trip von New York bis Washington dauere 29 Minuten. Weitere Hyperloops seien in Kalifornien und Texas geplant.

Wie gut der Mobilitätsmix schon heute funktionieren kann, zeigt ein Blick auf die chinesische Megacity Nanjing: Jeder Bewohner besitzt eine „Citizen Card“, jeder Autofahrer eine „Vehicle Smart Card“. Ausgestattet sind diese Karten mit RFID-Chips, sprich: Die Verkehrszentrale weiß, wer wann wohin unterwegs ist. Hinzu kommen unzählige Kameras und Sensoren, die den Verkehrsfluss messen und beobachten. Rund 20 Milliarden Datensätze pro Jahr erhalten die Verkehrsplaner, mit Hilfe einer Software des deutschen Herstellers SAP werden diese riesigen Mengen nutzbar gemacht. Das System zeigt zum Beispiel an, wie ausgelastet Bus- und Bahnlinien sind, welche Rad-Leihstationen besonders beliebt sind oder wann und wo sich der Autoverkehr gefährlich staut. Die künstliche Intelligenz (KI) entwickelt eigene Algorithmen, um den Verkehrsfluss noch effizienter zu analysieren. Und sie ergreift eigenständig sinnvolle Maßnahmen: Sind die Straßen voll, werden für Busse Ampeln oder eigene Spuren freigeschaltet.

Industrie 4.0 und Mobilität 4.0

Ob die Bewohner in europäischen Städten eine derartige Datensammlung wollen und ob sie dem hiesigen Datenschutzrecht entspricht, muss geklärt werden. Doch zeigt das Beispiel aus China, dass ein smartes Konzept in der Lage ist, nachhaltig komplexe Mobilitätsströme in Millionenstädten zu organisieren. Interessant ist, dass für ein Unternehmen wie SAP die modulare Verkehrsplanung einer Megacity eng mit den Abläufen in einer smarten Fabrik verwandt ist: Industrie 4.0 und Mobilität 4.0 – das sind vergleichbare evolutionäre Prozesse. „Evolutionär deshalb, weil die Techniken wie Kameras oder Sensoren und auch leistungsstarke Computer ja nicht neu sind“, sagt Georg Kube, Global Vice President Industrial Machinery & Component bei SAP.

Entscheidend sei, dass diese Technik heute so günstig ist, dass sie auch in großen Mengen verfügbar gemacht werden kann. „Die Preise sind die Treiber der Technik, das war schon immer so und ist bei diesen digitalen Techniken nicht anders“, sagt Kube, von Hause aus Maschinenbauer. „Wir reden daher von einer beschleunigten Evolution, die gerade im vollen Schwung ist.“ Kube hat den „Hype-Zyklus“ der Marktforscher von Gartner vor Augen, der zeigt, wie neue Technologien im Laufe der Zeit wahrgenommen werden: Auf die Neuentwicklung folgen zunächst die überzogenen Erwartungen, dann geht es ins Tal der Enttäuschungen. „Auf dieses folgt der Pfad der Erleuchtung“, sagt Kube, „und da sind wir jetzt: Den Unternehmen geht ein Licht auf, und diejenigen, die früh dabei sind, beginnen mit der Adaption, sodass jetzt tatsächlich sehr reale Internet-der-Dinge- Szenarien entstehen.“

Autokonzerne bieten Innovationsräume

Was modulare Mobilitätskonzepte unbedingt benötigen, sind smarte Fahrzeuge, die in der Lage sind, das System mit Daten zu beliefern. Zwar hat die Elektromobilität den Durchbruch auf der Straße noch nicht geschafft. Wenn Ingenieure an den Verkehr von morgen denken, spielen herkömmliche Autos aber kaum noch eine Rolle. Erstens, weil sich vor allem die Megacitys die CO2- und Feinstaub-Ausstöße der Verbrennungsmotoren nicht mehr leisten dürfen. Zweitens, weil das elektro-digitale Auto von morgen eine zusätzliche Aufgabe erfüllt: Es bringt nicht nur Passagiere von A nach B, sondern ist darüber hinaus ein Bestandteil des Internets der Dinge. Seine Sensoren sammeln Daten, es kommuniziert mit anderen Autos und mit der Infrastruktur.

Dass auch die großen Autokonzerne auf Know-how in diesem Bereich setzen, zeigen innovative und zwanglose Formate wie die „Open Spaces“, die Daimler seit einigen Jahren durchführt – zuletzt im September dieses Jahres bei einem „Hackathon“ im Rahmen der weltweit größten Automobilmesse, der IAA in Frankfurt. Das Kunstwort setzt sich aus dem IT-Begriff Hacken und dem Marathon zusammen, und es geht darum, schnell und im Team kreativ und innovativ zu sein: Die Stärken eines Weltkonzerns sollen mit der Innovationskraft von Start-ups verknüpft werden, heißt es bei Daimler. Zielgruppe dieser Formate sind kommende Absolventen der Elektrotechnik, IT und verwandten Bereichen. Auf der Agenda steht die Suche nach kreativen Lösungsansätzen und Prototypen rund um die Themen Künstliche Intelligenz und „Car-2-X-Technology“, also der Frage, wie smarte Autos untereinander und mit dem System kommunizieren.

„Bei der Digitalisierung geht es uns um das Miteinander“, sagt Markus Hägele, Leiter des Bereichs DigitalLife@Daimler, in dem der Konzern alle Aktivitäten rund um die Digitalisierung bündelt. „Mit innovativen Formaten wie Open Spaces und Hackathons erreichen wir eine hierarchiefreie Ideengenerierung zwischen Mitarbeitern und Top-Management, fördern Vernetzung und nutzen das Potenzial unserer Mitarbeiter für eine innovative und agile Umsetzung.“ Auch andere Autobauer wie zum Beispiel BMW, Volvo oder Toyota investieren in Einheiten, in denen klassisches Ingenieurwissen mit Know-how in künstlicher Intelligenz gekoppelt wird. Gefragt ist ein Pionier- und Abenteuergeist – also genau die Qualitäten, die vor 90 Jahren Charles Lindbergh auf die Idee brachten, auf eigene Faust von New York nach Paris zu fliegen.

Pioniere der Luftfahrt

Während Automobilhersteller heute daran arbeiten, dass das Auto fliegen kann, waren Carl F. W. Borgward und Prof. Dr.-Ing. Henrich Focke 1955 davon überzeugt: „Der Hubschrauber ersetzt das Auto!“ Der Autobauer Borgward beauftragte Focke 1956 mit der Entwicklung des ersten deutschen Helikopters nach dem Krieg. 1958 startete der Kolibri, das „Auto der Lüfte“, zu seinem Erstflug. Drei Jahre später beendete Borgwards Konkurs das Projekt. Heute stellt man sich die Frage: Wäre der Kolibri international konkurrenzfähig gewesen? Hätte er bei der Bundeswehr eine Chance gehabt? Vielleicht war einfach noch nicht die Zeit reif dafür.

Lesetipp

Harald Focke: Borgwards Hubschrauber. Verlag Peter Kurze 2014. 9,95 Euro

DVD-Tipp

Die Focke Brüder – Pioniere der Luftfahrt. Erhältlich bei www.pinguinstudios.de