Nichts geht mehr

Foto: Foto: Fotolia/lassedesignen
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Hilfe vom Psychologen? Was früher mal tabu war, ist heute ein anerkannter Weg, um mit Krisen und seelischen Problemen klarzukommen. Die Beratungsstellen der Hochschulen kennen viele Auswege – und die sind häufig nicht nur im Studium hilfreich, sondern auch auf dem weiteren Berufsweg. Von André Boße.

Im Sommer stand Bruce Springsteen wieder auf den größten deutschen Bühnen. Vor ihm Zehntausende Fans, die jeden seiner Songs mitsangen. Fans und Journalisten nennen ihn „Boss“. Es gibt kaum einen Rockstar, den man so sehr mit Begriffen wie Kraft und Leistung in Verbindung bringt. Was viele Fans nicht wissen: Der „Boss“ kennt auch Tage, an denen nichts geht. In seiner Biografie „Bruce“ spricht Springsteen offen über das Thema Depression. Er sagt: „Du kannst eine ganze Zeit lang eine gute Phase haben, doch dann löst plötzlich irgendwas die ganze Geschichte wieder aus.“ Erstaunlich, oder? Da schenkt ein Mann Millionen von Menschen mit seiner Musik Kraft. Dabei ist er selbst an manchen Tagen kraftlos. Psychologen warnen seit langem davor zu glauben, Leistungsträger, die in der Öffentlichkeit stark auftreten, dürften keine Schwäche zeigen.

Psychische Krankheiten haben in der Regel etwas mit Stress und Druck zu tun. Und darunter leiden heute fast alle: Top-Manager, Fußballprofis, Politiker – und nicht zuletzt Studierende.

Anfang 2013 stellte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen den „Stressreport 2012“ vor. Darin heißt es, dass Arbeitnehmer im Jahr 2011 in Deutschland an 59,2 Millionen Tagen wegen psychischer Erkrankungen krankgeschrieben wurden – das ist ein Anstieg von mehr als 80 Prozent in den letzten fünfzehn Jahren. Wer als Student heute Anzeichen psychischer Probleme erkennt, weiß, dass er damit nicht alleine ist. Und er kennt Stellen, wo er Hilfe findet.

Gut beraten

Eine Übersicht aller Beratungen geben die Deutschen Studentenwerke: www.studentenwerke.de

Unter Druck
Aber warum sind die Studenten heute so anfällig für psychische Störungen? Der Psychotherapeut Peter Schott ist seit vielen Jahren Leiter der Zentralen Studienberatung der Uni Münster und sagt: Die Einführung von Bachelor und Master war ein Einschnitt. „Der große Unterschied zwischen der Zeit vor und nach Bologna ist, dass die Bachelor- und Master- Studierenden niemals frei von Prüfungsstress sind.“ Die heutige Studenten- Generation zeige eine stärkere Bereitschaft, diesen Stress auch zu benennen. „Es ist zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden, sich von den Umständen stressen zu lassen. Auch Studenten sind immer weniger bereit, Dinge auf sich zukommen zu lassen.“ Dabei, so Schott, könnten sie sich das mit Blick auf Studium und Job durchaus leisten: „Die Berufschancen für Akademiker sind objektiv betrachtet so gut wie nie zuvor.“ Dennoch: Der Druck ist da. Und der Psychotherapeut der Uni Münster glaubt, dass es sich dabei um einen besonders problematischen Druck handelt. Anders als früher wird er nicht von Autoritäten wie den Eltern oder besonders strengen Professoren ausgeübt, sondern vom System und nicht zuletzt von jedem Einzelnen selbst. „Dadurch wirkt er subtiler und diffuser – was es schwerer macht, damit umzugehen.“

Was in der Beratung passiert
Die Psychotherapie kennt viele Ansätze, um Menschen mit seelischen Problemen zu helfen. „Zu Beginn ist es wichtig, dass die jungen Menschen sich ihrer Probleme bewusst werden“, beschreibt Gabriele Bensberg, Leiterin der Psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerks Mannheim, den Einstieg in die Beratung. Die Studenten erhalten zum Bespiel einen Fragebogen, auf dem sie potenzielle Probleme gewichten – von 0 wie „trifft gar nicht zu“ bis 5 wie „belastet mich sehr“. Auf der Liste stehen Schwierigkeiten wie Probleme beim Lernen oder bei der Erbringung der notwendigen Leistungen, Selbstwert- und Entscheidungsprobleme oder auch die Angst vor dem Scheitern.

Dabei zeigt die Erfahrung: Gewichten die Studierenden ein Problem auf einer der unteren Stufen, kann man ihnen raten, sich selber zu helfen. „Zum Beispiel über Gespräche mit Freunden oder auch mithilfe von Büchern“, sagt Gabriele Bensberg. Erweisen sich die Probleme als schwerwiegender, greift die Diplom-Psychologin auf einen speziell für die studentische Beratung konzipierten Methodenkoffer zurück – wobei es vor allem darum geht, das häufig negative Selbstbild zu verbessern. „Menschen, die zu uns kommen, haben häufig eine verzerrte Vorstellung von der eigenen Person“, erläutert Gabriele Bensberg. „Ziel der psychologischen Beratung ist es, dass diese Verzerrung verschwindet.“

Ein bewährter erster Schritt ist es, zusammen mit den Studierenden in die Vergangenheit zu blicken, um Erfolge zu identifizieren. Man widmet sich der Frage, was einem im Leben bereits gelungen ist. Oder die Betroffenen sammeln zusammen mit dem Berater ihre positiven Eigenschaften auf einem weißen Blatt. Funktionieren diese Methoden nicht, kann die Beratung sogenannte kognitive Umstrukturierungsstrategien einsetzen. Klingt kompliziert, ist vom Ansatz her aber ganz einfach: Es geht darum, den pessimistischen Blick des Studierenden auf die eigene Person zu widerlegen. „Dafür werden zunächst einmal die negativen Gedanken identifiziert und formuliert“, sagt Gabriele Bensberg. Häufig sind das Feststellungen wie „Ich kann nichts“, „Ich falle bestimmt wieder durch“ oder „Die anderen sind eh besser als ich.“ Dann fragt man sich gemeinsam, welche Argumente für und welche gegen diese Annahmen sprechen. „Auf diese Weise schätzt der Studierende den Realitätsgehalt der Annahme neu ein und findet schließlich einen weniger belastenden, positiveren Kernsatz.“ Dieser kann zum Beispiel lauten: „Wenn ich zu spät mit dem Lernen beginne, steigt die Chance, dass ich durchfalle“, wobei sich damit häufig Ansätze herauskristallisierten, mit denen man das Problem in den Griff bekommen kann – in diesem Fall zum Beispiel ein besseres Zeitmanagement.

Vom Studierenden zum Einsteiger
Die positiven Erfahrungen einer psychologischen Studienberatung helfen auch im Job. Einsteiger können bei einer Beratung lernen, ihren Tag sinnvoll zu strukturieren und erfahren, dass Auszeiten und persönliche Ziele wichtig sind. Sie lernen aber auch kognitive Strategien für den Umgang mit Konflikten kennen. Und dieses Know-how ist wichtig, denn auch wenn die Aussichten für Absolventen gut sind, ist der Schritt von der Uni oder FH in den Job heute krisenanfälliger denn je, wie Martin Griepentrog vom Deutschen Verband für Bildungs- und Berufsberatung, formuliert. Als Grund für die Probleme auf der Schwelle zwischen Studium und Beruf sieht er die Vielzahl an Möglichkeiten, die Einsteiger haben. „Karrieren sind heute nicht mehr so festgelegt wie früher. Jeder kann scheinbar alles machen.“ Genau diese Optionsvielfalt werde jedoch nicht von jedem positiv wahrgenommen. „Einigen fehlt die Orientierung, was dazu führt, dass es ihnen sehr schwerfällt, sich zu entscheiden.“

Viele junge Menschen fühlen sich in dieser Situation wie gelähmt. Man spricht von „gravierenden Überforderungskrisen“, die Experten seit ein paar Jahren deutlich häufiger beobachten als zuvor. Der Beratungsansatz ist hier, Ruhe in die Sache zu bringen und dem Absolventen zu vermitteln, dass beim Übergang vom Studium in den Job keine Entscheidungen anstehen, die später nicht revidierbar sind. „Richtungsänderungen sind weiterhin möglich. Junge Menschen Mitte 20 haben das Recht, auch im Job zu experimentieren, um sich selber zu finden“, sagt Martin Griepentrog. Weder eine Neuorientierung noch ein Studienabbruch sind heute Belege fürs Scheitern.

Abbrecher gefragt

Studienabbrecher denken oft, sie seien gescheitert – dabei sind sie in der Wirtschaft sehr gefragt, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zeigt: www.iwkoeln.de, unter Infodienste – iwd – Archiv – Heft 11, März 2013