Eigentum war gestern – heute wird geteilt

Foto: Fotolia/Stauke
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Bisher ging man in einen Laden oder zu einem Onlineshop, kaufte eine Ware ein und war fortan ihr Besitzer. Das neue Wirtschaftsmodell der Share Economy stellt dieses Prinzip infrage: Muss man wirklich alles besitzen, was man benötigt? Oder reicht es vielleicht aus, sich die Dinge für einen begrenzten Zeitraum zu leihen? Durch diese Idee ergeben sich ganz neue Geschäftsmodelle und auch neue Chancen für Absolventen. Von Sabine Olschner

Stadtbüchereien machen es schon seit Jahren vor: Wer ein Buch lesen will, nimmt es für ein paar Tage mit nach Hause und bringt es dann wieder zurück in die Bücherei, wo es der Nächste ausleihen kann. Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich die Freude am Teilen auch auf viele andere Lebensbereiche ausgeweitet: Stadtbewohner nutzen Carsharing statt jeden Abend einen Parkplatz für das eigene Auto zu suchen; mit Leihrädern an der Straßenecke hat man einen fahrbaren Untersatz, wenn man ihn gerade braucht; Kostümverleiher bieten komplette Karnevals-Outfits, die nach der Feier zurückgegeben werden … Die Beispiele für Share Economy ließen sich noch weiter ausführen und zeigen eindrücklich: Teilen ist „in“ – alles selber besitzen wollen ist „out“.

Sieht man von Familien ab, in denen man schon immer die täglichen Dinge des Lebens gemeinsam besaß, hat die öffentliche Teilen-Kultur im Internet ihre Anfänge: Über Social Media wie Facebook oder Twitter ist es besonders leicht, auf die Suche nach benötigten Gegenständen zu gehen – sei es nach dem Bohrer fürs neue Regal oder einem Buch, das man unbedingt lesen will. Suchanfragen verbreiten sich schnell, und ehe man sich versieht, ist jemand anderes bereit, genau das, was man sucht, zu verleihen. Die Suche geht weit über die bisherige Nachbarschaftshilfe hinaus – bietet doch das Internet einen viel größeren Kreis an potenziellen Besitzern.

Noch steht das kommerzielle Prinzip Leihen am Anfang: Laut einer aktuellen Bitkom-Umfrage haben gerade einmal neun Prozent der Internetnutzer in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren Bikesharing genutzt, drei Prozent das Carsharing. Couchsurfing – also das Vermieten der eigenen beziehungsweise das Mieten einer fremden Privatwohnung – haben bislang nur zwei Prozent getestet. Doch 73 Prozent der Befragten sind laut Bitkom der Meinung, dass solche Dienste in Zukunft populärer werden. Fakt ist: Das Thema Share Economy ist nicht mehr nur eine Privatangelegenheit – auch die Wirtschaft wittert Geschäftsmodelle. Die CeBIT, die Messe der Informations- und Telekommunikationsindustrie, hatte Shareconomy – der Kunstbegriff wurde von der Deutsche Messe AG kreiert – in diesem Jahr sogar zum Leitthema ihrer Ausstellung gemacht.

Die Handelsbranche wird diese Kultur des Teilens wahrscheinlich zunächst weniger freuen. Die Befürchtung: Wenn Menschen sich Dinge demnächst immer öfter teilen, werden diese nicht so häufig verkauft. Doch diese Gefahr sieht Daniel Bartel nicht. Er beschäftigt sich seit mehreren Jahren in seinem Blog kokonsum.org mit dem Thema kooperativer Konsum und berät Share-Economy-Start-ups. In einem Interview auf der Plattform „Let‘s Share“ sagte er: „Die Konsumgüterindustrie geht nicht kaputt. Wir kaufen ja weiterhin, manchmal mehr denn je.

Die Unternehmen produzieren weiterhin die Güter, aber enablen sie fürs Sharing.“ Sprich: Sie bereiten die Güter fürs Teilen vor. Laut Bartel gilt es, sein Geschäftsmodell zu öffnen und statt nur auf Verkaufen auch auf Vermieten zu setzen. Ein Beispiel sind etwa Automobilunternehmen wie BMW, Daimler, VW und Ford, die ihre Autos nicht mehr nur über den Handel verkaufen, sondern auch ins Carsharing-Geschäft eingestiegen sind und damit einen Teil ihrer Produkte vermieten. Nachwuchskräfte mit kreativen Ideen zur Share Economy können also auch bei eingesessenen (Handels-)Unternehmen für frischen Wind sorgen.

Für junge Absolventen, die auf der Suche nach einer Geschäftsidee für ein eigenes Start-up sind, bietet Share Economy noch viel mehr Chancen. Ein paar Beispiele erfolgreicher Gründungen:

  • Milk the Sun bringt Menschen, die ihre Dächer oder andere Freiflächen vermieten wollen, mit Anlagenbetreibern und Investoren von Fotovoltaikanlagen zusammen. Für die Vermittlung erhebt Milk the Sun eine Provision vom Käufer.
  • Die Firma flinc organisiert Fahrgemeinschaften zwischen Kollegen in großen Unternehmen, damit nicht jeder mit dem eigenen Auto zur Arbeit fahren muss. Finanzieren lassen sie sich ihre Arbeit über die Unternehmen.
  • Carzapp vermittelt Autos von Privatanbietern an interessierte Fahrer und verlangt dafür einen Anteil vom Mietpreis.
  • Airbnb vermittelt weltweit Unterkünfte an Privatpersonen. Der Reisende zahlt eine Gebühr an das Onlineunternehmen.

Die Ideen, was sich alles teilen lässt, sind schier unbegrenzt: Ob man ganze Inseln auf www.visiwa.com anbietet, Dienstleistungen tauscht oder in Coworking-Häusern eine Zeitlang den Arbeitsplatz teilt – findige Geschäftsleute müssen einfach einen Weg finden, damit Nutzer bereit sind, fürs Ausleihen auch zu zahlen. Denn eines ist klar: Das Teilen bringt viele Vorteile, nicht nur für den Nutzer. Die Umwelt wird geschont, weil weniger Ressourcen für die Herstellung neuer Produkte verbraucht werden und weniger weggeworfen wird; man benötigt keinen Platz, um seinen Besitz unterzubringen; und der Geldbeutel freut sich auch. Wenn das keine guten Gründe zum Teilen sind.