Chefvolkswirt

Frank Augsten, Foto: Gothaer
Frank Augsten, Foto: Gothaer

Neben den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern gibt es wohl kaum eine Position im Finanzbetrieb, die so im öffentlichen Fokus steht wie die des Chefvolkswirts. Seine Analysen sind von allen Seiten gefragt, da sie im Idealfall das Gesamtsystem im Blick haben. Von Christoph Berger

Sicher könnte sich Dr. Frank Augsten positivere Themenschwerpunkte als die momentane Euro-Schuldenkrise für seine Arbeit vorstellen. Einerseits. Andererseits ist die Begrenzung von Staatsverschuldungen in föderalen Systemen schon über ein Jahrzehnt das Steckenpferd des heutigen Chefvolkswirts der Gothaer Versicherung in Köln. Er ist Experte auf diesem Gebiet, hatte Ende der 1990er-Jahre dazu bereits seine Promotion an der Universität Passau geschrieben und kann seine Kollegen daher kompetent und fundiert zu allen relevanten Fragestellungen zu diesem Thema beraten. „Das Diffizile daran ist, dass die Kapitalmärkte sehr politisch geprägt sind“, sagt der 44-Jährige. Da bedürfe es einer intensiven fachlichen Begleitung und Kommentierung. Und für die ist in dem Versicherungskonzern der Chefvolkswirt verantwortlich.

Augsten hat von 1990 bis 1996 Volkswirtschaftslehre in Freiburg studiert und war dann an den Wirtschaftstheoretischen Lehrstuhl in Passau gewechselt. In dieser Zeit lernte er viel für seine heutigen Aufgaben. Und zwar nicht nur notwendiges Wissen in fachlicher Hinsicht. In von ihm geleiteten Übungen für Studierende erkannte er auch, wie wichtig es ist, komplexe Sachverhalte einfach und auf unterschiedliche Zielgruppen ausgerichtet zu erklären. „Es geht darum, sich einfach auszudrücken“, erklärt er. „Und zwar so, dass die eigentliche Aussage nicht verfälscht wird.“

Die Verbindung zwischen Wissenschaft, Präsentation und dem Bezug zum wirtschaftlichen Tagesgeschäft hat er so gut hinbekommen, dass er direkt nach seiner Unilaufbahn auf seiner heutigen Position einstieg. „Natürlich wurden meine Aufgaben mit der Zeit breiter, meine Position hat sich entwickelt“, sagt er. Inzwischen durchdringe er den Konzern in allen Facetten. Zugeordnet ist er dabei dem Bereich Asset Management. Im Segment der Kapitalmarktanalyse entwickelt er Anlagestrategien und passt sie den Bedingungen und notwendigen Voraussetzungen der Portfoliomanager an. Dabei geht es vor allem darum, den Konzern auf die Zukunft vorzubereiten und möglichst nachhaltige Aussagen zu treffen. Viele seiner Prognosen sind auf einen Zeitraum von über drei Jahren ausgerichtet. Wer die schnelllebigen und sich stets verändernden Finanzmärkte kennt, weiß, wie schwierig das ist. Hinzu kommen die unterjährigen Ereignisse. Und schließlich sind da noch die Ad-hoc-Themen, die im Vorfeld nicht erkennbar sind und plötzlich auftreten. Das können zum Beispiel politische Krisen sein, die zu kriegerischen Konflikten anwachsen. Auch auf die muss schnell und möglichst richtig reagiert werden, auch sie haben Auswirkungen auf das Gesamtwirtschaftssystem – mal mehr, mal weniger. „In einem Veröffentlichungskalender für volkswirtschaftliche Daten sind viele Termine hinterlegt. Das heißt aber nicht, dass es nicht hin und wieder auch für mich turbulent werden kann“, weiß er. Chefvolkswirt heißt in Augstens Fall übrigens nicht, dass er einem ganzen Team von anderen Volkswirten vorsteht, die ihm zuarbeiten und deren Chef er ist. Zwar beschäftigt die Gothaer noch zahlreiche andere Mitarbeiter mit volkswirtschaftlichem Abschluss, diese sind jedoch über die unterschiedlichsten Abteilungen und Bereiche des Konzerns verstreut.

Außer dem Erstellen von Anlagestrategien gehört es auch zu seinen Aufgaben, volkswirtschaftliche Analysen zu erarbeiten. Um hierfür ein klares Bild zu entwickeln, liest er zahlreiche Studien und muss nebenbei über das Tagesgeschehen informiert sein. Auch dabei kommt ihm die Rolle eines Übersetzers zu. Sowie die eines Filters. Denn nicht alles, was in Schriften niedergeschrieben wurde und im großen Stil veröffentlicht wird, ist auch für die Arbeit eines Versicherungskonzerns relevant. Nachdem Augsten sich selbst ein vollständiges Bild gemacht hat, siebt er aus den Quellen die für seinen Konzern wichtigen Informationen heraus und setzt sie wieder so zusammen, dass sie für die einzelnen Unternehmensbereiche brauch- und nutzbar sind. Das können Einschätzungen mal für die Vertriebler, mal für die Produktentwickler sein. Und auch gegenüber dem Vorstand ist Augstens Einschätzung in vielen Belangen gefragt.

Ist die einfache Darstellung komplexer Zusammenhänge ein Grund dafür, dass Chefvolkswirte so gerne von Medien zu ihren Analysen gebeten werden – so wie sie es intern tun? „Auf jeden Fall“, ist sich Augsten sicher. „Hinzu kommt die breite Aufstellung.“ Augsten meint das Wissen in Bezug auf unterschiedlichste Fragestellungen. Er ordnet die Rolle eines Chefvolkswirts den Generalistenpositionen in Unternehmen zu. „Wir haben eine sehr breite Ausbildung, kennen uns mit unterschiedlichen Schwerpunkten in diversen Fächern aus. So sind wir zum Beispiel keine reinen Geld- oder Konjunkturtheoretiker, sondern auch Fachleute für politische Ökonomie“, sagt er. Hinzu komme Standhaftigkeit. Seine Erfahrung hat ihn gelehrt, dass nicht immer alle Zuhörer in einem Raum mit ihm einer Meinung sind, dass ihm bei Vorträgen nicht das gesamte Publikum gut gesonnen ist. „Wer auf der Bühne steht, braucht außerdem eine ausgeprägte Eloquenz“, sagt Augsten. Und es helfe, Ruhe und Besonnenheit zu bewahren. All diese Fähigkeiten könne man zwar bis zu einem gewissen Grad trainieren, man müsse jedoch auch die Veranlagung dazu mitbringen, um die Position schließlich richtig gut ausfüllen zu können.

Aufgaben

  • Erstellen von langfristigen Unternehmensstrategien
  • Erarbeiten volkswirtschaftlicher Analysen
  • Beraten von Fachabteilungen und Führungsgremien
  • Präsentieren von Ergebnissen mit Ausblick und Bezug auf das eigene Unternehmen

Ausbildung

  • Volkswirtschaftliches Studium
  • Erfahrung in volkswirtschaftlichen Abteilungen und/oder
  • Erfahrungen im wissenschaftlichen Arbeiten

Voraussetzungen

  • Breites Allgemein- und Fachwissen
  • Ruhe und Eloquenz
  • Gut ausgebildete rhetorische Fähigkeiten
  • Präzises und genaues Arbeiten
  • Schnelle Auffassungsgabe
  • Die Fähigkeit, relevante und irrelevante Informationen voneinander zu trennen und zu präsentieren