„Ein Stück Berufung wäre schön“

Interview mit Walter Kohl

Walter Kohl, Foto: Privat
Walter Kohl, Foto: Privat

Walter Kohl ist ehemaliger Investmentbanker und Controller, Bestseller-Autor, Mentor für Menschen, die vor großen biografischen Brüchen stehen – und ältester Sohn von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl. Warum man im Alter Probleme gelassener betrachtet als in jungen Jahren, verriet der 50-Jährige unserem Autor André Boße.

Zur Person

Walter Kohl, geboren am 16. Juli 1963, ist der ältere von zwei Söhnen des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Er studierte am Harvard College, an dem er mit einem Bachelor-Doppelabschluss in VWL und Geschichte graduierte, und absolvierte ein Aufbaustudium in Wien, das er als Diplom-Volkswirt abschloss. Im Anschluss daran arbeitete er bei der US-Investmentbank Morgan Stanley, dann kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete in leitender Position im Controlling bei Unternehmen wie Kaufhof und Metro. 2005 machte er sich selbstständig und ist nun Inhaber der Firma Kohl & Hwang, die Spezialteile für die Autoindustrie aus Korea vertreibt. Zusammen mit seiner Familie lebt Walter Kohl in Königstein. Er ist Autor von zwei Büchern, in denen er sich mit der Beziehung zu seinem Vater beschäftigt und Lebenshilfe für psychologische Krisensituationen gibt. Zudem konzipiert er ein „Zentrum für eigene Lebensgestaltung“ – einen Ort, an dem Menschen, die sich in biografischen Umbrüchen befinden, Hilfe finden sollen.
www.walterkohl.de

Herr Kohl, können Sie sich noch an den Moment erinnern, an dem für Sie die berufliche Karriere an Bedeutung verlor – und dafür die persönliche Weiterentwicklung in den Fokus rückte?
Diesen Moment hat es für mich bisher nicht gegeben. Und ich hoffe auch, er kommt nie. Ich finde, die Dinge sollten in einem Gleichklang stehen, denn Beruf, Beziehung, Familie und Freunde gehören zusammen. Dass dies manchmal schwierig ist, weiß ich aus eigener Erfahrung. Beruf sollte mehr als ein Job sein, ein Stück Berufung wäre schön. Es gibt Zeiten im Leben, da steht der Beruf im Vordergrund. Dann kommen wieder andere Phasen, in denen private Themen dominieren. Die wichtigste Erfahrung für mich war, dass ich eines Tages begonnen habe, mein Selbstwertgefühl immer weniger vom Applaus der anderen abhängig zu machen. Das ist eine besonders im beruflichen Umfeld wichtige Form der Befreiung. Heute lebe ich leichter als früher, da ich mehr Gelassenheit mir selbst gegenüber zulasse. Ich versuche, weniger verbissen zu sein und mit Dankbarkeit und Achtsamkeit den kleinen Dingen des Lebens einen großen Platz in meinem Tagesablauf zu widmen.

Ist diese Gelassenheit – auch mit Blick auf Krisen und Rückschläge – eine Tugend des Alters?
Für junge Menschen sind viele Situationen besonders belastend, wenn sie zum ersten Mal passieren. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Liebeskummer, damals glaubte ich, dass die Welt untergeht. Zu diesem Zeitpunkt waren das ehrliche und wahre Gefühle. Heute, nach vielen Erlebnissen, würde ich vielleicht anders fühlen – aber das nützte mir damals wenig.

Was raten Sie jungen Menschen, die zum ersten Mal mit solchen Problemen konfrontiert werden?
Mein erster Rat: Nimm die Situation in ihrer vollen Härte, in ihrem vollen Schmerz vorbehaltlos an. Weiterhin hat mir ein Perspektivwechsel sehr geholfen: Anstatt sich über das „Was“ einer Situation aufzuregen, versuche ich heute durch ein anderes „Wie“ mit Enttäuschungen, Schmerzen oder Problemen umzugehen. Also mit einer anderen Sicht auf die Dinge, einer anderen inneren Haltung. Vom römischen Philosophen Seneca können wir lernen, dass alles eine Frage der Sichten ist.

Eines Ihrer Bücher heißt „Leben oder gelebt werden“. Für Einsteiger gilt häufig Letzteres, da sie plötzlich mit vielen Pflichten und Erwartungen konfrontiert werden. Gehört diese Phase zu einem jungen Leben einfach dazu?
Das Leben kennt Phasen des Gelebtwerdens – und das ist okay. Gäbe es keine Nacht, dann würden wir nicht das Licht des Tages schätzen. Damit sage ich aber nicht: Gesund ist, was hart macht – denn dieses Denken schätze ich überhaupt nicht. Ich sage vielmehr, dass wir alle Phasen und Erlebnisse unseres Lebens annehmen sollten und sie versöhnt in unseren Lebensweg integrieren sollten. Manchmal müssen wir uns für ein Ziel anstrengen, vielleicht sogar etwas quälen. Das gehört zum Leben dazu. Denn nur, wer auch aushalten und sich schinden kann, wird die Früchte des Erfolges wirklich zu schätzen wissen. Was zählt, ist, einen authentischen Weg zu gehen und die Überzeugung zu haben, dass dieser Weg Spaß macht und sinnvoll ist.

Sie haben für viele Jahre als Controllingverantwortlicher in Unternehmen gearbeitet. Wie wirkt sich eine Position, die auf Misstrauen statt auf Vertrauen basiert, auf das Wohlbefinden aus?
Controlling, wie ich es praktisch umgesetzt habe, war weit mehr als blanke Zahlenakrobatik. Mir ging es stets um den Arbeitsprozess, seine Optimierung und vor allem den vernünftigen Umgang mit den dort befindlichen Menschen. Controlling heißt nicht Kontrolle, so wie es oft praktiziert wird. Ein guter Controller ist ein Lotse. Er besitzt Autorität in der Sache und Verständnis für die Menschen. Nachhaltiger Erfolg in Unternehmen wird nur mit Menschen erreicht, nicht gegen sie.

Walter Kohl:
Leben was du fühlst. Von der Freiheit glücklich zu sein. Der Weg der Versöhnung
Scorpio 2013. ISBN 978-3943416008. 16,99 Euro