„Ökologie, aber wirtschaftlich sinnvoll“

Anne-Kathrin Kuhlemann, Foto: Gordon Welters
Anne-Kathrin Kuhlemann, Foto: Gordon Welters

Anne-Kathrin Kuhlemann, 34 Jahre, ist Geschäftsführerin von Blue Economy Solutions, einem Unternehmen, das Firmen, Gemeinden und Bürgern hilft, nachhaltige Lösungen für ihre Probleme zu finden. Im Mittelpunkt stehen dabei Produkte und Dienstleistungen, die im Einklang mit der Natur entwickelt, hergestellt und verbraucht werden können – ohne die Wettbewerbsnachteile klassischer „grüner Produkte“. Die Fragen stellte Meike Nachtwey.

Frau Kuhlemann, Sie plädieren für den Einsatz von „Blue Economy“ – was bedeutet das?
Das bedeutet, mit einer intelligenteren Ressourceneffizienz zu wirtschaften, als wir das heute tun. Denn wir bei Blue Economy Solutions sind der Meinung, dass man mit Produkten, die teurer sind, nur weil sie „die Umwelt retten“, das Rad nicht zurückdrehen kann. Wir erreichen damit nur vielleicht fünf Prozent der Bevölkerung, die sich diese teuren Produkte kaufen können. Das gilt für Bio-Lebensmittel ebenso wie für Öko-Strom. Wir aber wollen, dass sich jeder ökologische Produkte und Dienstleistungen sowie Umweltbewusstsein leisten kann.

Was sind die Prinzipien der Blue Economy?
Zum einen schauen wir uns von der Natur ab, wie sie Probleme löst, und versuchen, davon zu lernen. Das bedeutet zum Beispiel, soweit wie möglich systemisch zu denken, also nicht nur das einzelne Produkt zu sehen, sondern auch alle damit verbundenen Ressourcen, Arbeiten und Aufgaben, sowie in regionalen Kreisläufen und lokal zu produzieren. Das heißt auch: weglassen, was man weglassen kann. Es gibt in der Natur beispielsweise keine Batterien. Denn die Natur nutzt ganz andere Möglichkeiten, Energie zu speichern. Für menschliche Technologien übersetzt sich das beispielsweise in Wasser, Salze oder Biogas aus „Abfällen“. Zum anderen ist eines der Prinzipien, die Ressourcen zu nutzen, die vor Ort vorhanden sind. Das betrifft sowohl die Rohstoffe als auch die Menschen. Wir schauen, was die Menschen der Region traditionell und kulturell besonders gut können, und nutzen diese Fähigkeiten genau an dem Ort, an dem diese Menschen leben.

Michael Braungart (siehe auch Interview, Anm. d. Red.) verfolgt mit seinem „Cradle to Cradle“-Prinzip einen ähnlichen Ansatz – worin liegt der Unterschied zwischen Ihrer und seiner Idee?
Beim „Cradle to Cradle“-Ansatz bleibt man mehr bei einem einzelnen Produkt und versucht, innerhalb dieses Produktes umzudenken. Wir versuchen, eher in die großen Systeme zu schauen. Unser Ziel ist nicht, zum Beispiel aus einem Stuhl wieder einen Stuhl herzustellen, sondern zu schauen, wie man die Materialien einer höheren Wertschöpfung zuführen kann. Der Baum klebt ja auch nicht im Frühling die alten Blätter vom Herbst wieder an. Wir versuchen, in größeren Kontexten zu denken. Da reicht es dann nicht, wenn man nur ein einzelnes Unternehmen berät, dafür muss man alle Unternehmen einbeziehen, die an den Stoffströmen partizipieren.

Wie nachhaltig wirtschaften wir aktuell in Deutschland?
Es gibt sehr viele Unternehmen, die echte Pionierarbeit leisten, aber das steckt weitestgehend noch in den Kinderschuhen, ist wirtschaftlich kaum messbar. Aber das gilt nicht nur für Deutschland. Die große Masse der Unternehmen stellt Produkte her, die aus Sicht der Blue Economy nicht nachhaltig sind.

Warum hat sich Ihr Ansatz noch nicht in Deutschland durchgesetzt?
Blue Economy ist erst im fünften Jahr seiner Entstehung, und Veränderungen brauchen Zeit. Systemisch zu denken ist nicht einfach, sondern komplex. Das müssen wir alle erst einmal lernen und dann auch umdenken. Unternehmen müssen ihre Prozesse ändern und Ressourcen effizienter einsetzen – nur so kommen Innovationen zustande und sind in 20 Jahren noch am Markt. Mittelständische Unternehmen verstehen das zunehmend, aber einen Dax-Manager interessiert oft nur das nächste Quartal, dem ist es erst einmal egal, ob das Unternehmen in 20 Jahren noch existiert. Und so haben wir einen Zielkonflikt. Auch deshalb wird es dauern, bis sich Blue Economy durchsetzt.

Was müsste in Deutschland passieren, damit mehr nach Ihrem Prinzip gewirtschaftet wird?
Wir schaffen Beispiele, die anschaubar zeigen, welche wirtschaftlichen Perspektiven die Blue Economy heute schon bietet. Nur mit konkreten Erfolgen lassen sich Unternehmen von unserem Ansatz überzeugen. Manager wiederum müssten anders gelagerte Zielvorgaben bekommen. Dann würden sie auch umlenken und anders handeln.

Sie selbst haben ein „klassisches“ Wirtschaftsstudium absolviert und anschließend als Consultant bei einer großen Unternehmensberatung gearbeitet. Wann haben Sie angefangen umzudenken?
Das war ebenfalls ein Prozess, der länger gedauert hat, weil er so komplex ist. Aber ich hatte glücklicherweise Mentoren, die mich auf diesen Weg mitgenommen haben. Und je mehr ich nachgefragt und das eingefahrene Denken verlassen habe, desto mehr Möglichkeiten erkannte ich dann auch. Man muss aber erst einmal aus ganz vielen Schubladen herauskommen, und das ist auch anstrengend.

Was sollten junge Consultants beherzigen, wenn sie im Einklang mit dem Blue-Economy-Prinzip Karriere machen möchten?
Die Frage, die sie sich stellen müssen, lautet: Ist Maximierung die richtige Strategie? Oder geht es nicht vielmehr darum, dass insgesamt für alle genug da ist? Die Suffizienzfrage wird sich in den nächsten Jahren immer mehr stellen, und irgendwann werden wir gezwungen sein, sie zu beantworten, weil wir dann keine Wahl mehr haben. Deshalb sollte sich jeder frühzeitig mit diesem Thema auseinandersetzen. Das ist auch karrierefördernd, weil zunehmend Menschen gefragt sein werden, die sich mit Blue Economy auskennen.

Blue Economy

Die Prinzipien basieren vor allem auf den Funktionsgesetzen von natürlichen
Ökosystemen. Sie bilden die Grundlage für das Blue Economy-
Konzept, das Emissionen und Abfälle als fehlgeleitete Ressourcen versteht.
Lokal verfügbare, regenerierbare Ressourcen sollen über Innovationen und
unternehmerische Initiativen so effektiv wie möglich genutzt werden.
Dabei bildet der Abfall des einen Produkts automatisch das Ausgangsmaterial
für ein neues Produkt.
Quelle: www.blueeconomy.de