Annette Hering „Für Frauen mindestens genauso viel Platz“

Annette Hering, Foto: Hering
Annette Hering, Foto: Hering

Annette Hering leitet die Unternehmensgruppe Hering. Im Interview spricht sie über Frauen und Männer im Bauwesen, den Reiz der Branche und darüber, dass sich Bauunternehmen sämtlichen großen Herausforderungen zu stellen haben, die unsere Gesellschaft zu bewältigen hat. Die Fragen stellte Christoph Berger

Frau Hering, Sie tragen in vierter Generation die Verantwortung für das Bauunternehmen Hering. War für Sie immer klar, dass Sie eines Tages in das Unternehmen einsteigen?
Eigentlich hatte ich Sinologie studieren wollen und bin dann kurzfristig auf eine kaufmännische Lehre umgestiegen, damals in einem Bauunternehmen. Erst da begann langsam die Idee in mir zu reifen, dass Hering Bau eine Chance ist, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Mit dem Bauen stellen wir uns sämtlichen großen Herausforderungen, die unsere Gesellschaft zu bewältigen hat.

Was reizte und reizt Sie an der Branche?
Mit dem Bauen stellen wir uns sämtlichen großen Herausforderungen, die unsere Gesellschaft zu bewältigen hat: den Folgen der demographischen Entwicklung, dem zu hohen Ressourcenverbrauch, den Veränderungen durch Klima und dem Trend, in Städten zu leben. Wir müssen uns Gedanken machen über Gebäude, die möglichst wenig Energie und auch Ressourcen verbrauchen; über Städte, die möglichst flexibel ihre Verkehrs- und andere Infrastrukturen – sozusagen in einer Operation am offenen Herzen erweitern oder verbessern können. Welche Bauprozesse, Baustoffe oder -technik brauchen wir? Das sind spannende Fragen.

Sie arbeiten in einer Branche, die von Männern dominiert ist – als Frau an der Spitze eines international agierenden Bauunternehmens sind Sie eine Seltenheit. Warum sollten sich Frauen trotzdem nicht von einem Einstieg in die Baubranche abschrecken lassen?
Gerade vor dem Hintergrund der soeben erwähnten Herausforderungen brauchen wir Menschen mit ganz verschiedenen Perspektiven, mit ganz verschiedenen Erfahrungen und natürlich auch Ausbildungen. Da gibt es für Frauen mindestens genauso viel Platz wie für Männer.

Und was ist Ihre Prognose diesbezüglich: Wird sich an dem Geschlechterverhältnis in der Zukunft etwas ändern?
Die Anteile weiblicher Studierender, die zum Beispiel Bauingenieurwesen studieren, nimmt an vielen Universitäten zu – zumindest hier in unserer Region. Da der Bedarf an Bauingenieuren und Bauingenieurinnen wesentlich höher ist als das Angebot, haben sich die Unternehmen unserer Branche viele Gedanken über Vereinbarkeit unserer Berufe mit den privaten Interessen unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gemacht und für Berufseinsteigerinnen ist die hohe Nachfrage gerade jetzt eine gute Chance.

Was unternehmen Sie als Unternehmerin, um Frauen nicht nur den Einstieg, sondern auch den beruflichen Aufstieg zu erleichtern?
Wir haben ein breites Angebot für Frauen, aber auch für Männer, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Das A und O dabei sind individuell flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Schließlich handelt es sich im Allgemeinen nur um einige Jahre, in denen Familienzeiten wichtiger sind. Zum Einstieg und Aufstieg: Qualifizierung und Weiterbildung werden individuell abgestimmt.

Lässt sich das mit dem Alltag verbinden, immerhin ist Ihr Unternehmen in Bausegmenten tätig, die mit Schichtarbeit, strengen Terminvorgaben und auch körperlichen Belastungen in Verbindung gebracht werden?
Die zum Beispiel im Bahnbau erforderliche Bereitschaft zu Wochenendschichten, teilweise auch Nachtarbeit, lässt sich mit dem, was die meisten Menschen unter Alltag verstehen, nicht verbinden. Da brauchen wir Mitarbeiter, die bereit sind, für sich ein anderes Alltags- bzw. Privatlebensmodell zu stricken. Was hat man davon? Eine Menge Verantwortung und vieles, was persönlich Freude macht. Oder was stolz macht – zum Beispiel eine erfolgreich abgeschlossene „OP am Herzen“ im Bahnhof einer deutschen Großstadt, nach der am Montagmorgen um vier Uhr wieder sämtliche Züge rollen können. Das ist schon etwas sehr Anspruchsvolles.

Auch in punkto Mitarbeiterbeteiligung gehen Sie innovative Wege, so beteiligen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Unternehmensgewinn. Wie wichtig sind solche Maßnahmen für den Unternehmenserfolg?
Die Mitarbeiterbeteiligung ist eine Einrichtung aus der Zeit meines Vaters. Auch für mich ist das eine Frage der Gestaltung des Mitarbeitermiteinanders, wenn wir einen Teil des Gewinns an die Mitarbeiter verteilen.

Sie selbst studierten Wirtschaftsingenieurwesen für Bau. Wie wichtig ist betriebswirtschaftliches Know-how heute für Bauingenieure – immerhin wird immer wieder gefordert, die Baubranche müsse ihre Prozesse effizienter gestalten und produktiver arbeiten?
Das Know-how von der Universität damals brauche ich heute nicht mehr. Was ich immer brauche und was wir Bauingenieure brauchen, ist die Fähigkeit, unsere technischen Prozesse ständig darauf zu überprüfen, ob sie noch wirtschaftlich sind und auch, ob sie nachhaltig sind.

 

Zum Unternehmen

1892 wurde das Bauunternehmen Hering vom Maurer Rudolf Hering gegründet. In der Geschäftsführung folgten ihm Ernst Hering, Hartmut Hering und Annette Hering. Als kleines Unternehmen einst gestartet, ist Hering inzwischen ein mittelständisches Unternehmen mit knapp 500 Mitarbeiter und sieben Niederlassungen in Europa und den USA. Der Firmensitz befindet sich dabei weiterhin in Burbach, im Kreis Siegen-Wittgenstein in Südwestfalen. Das Produktportfolio der Unternehmensgruppe ist breit gefächert und umfasst sowohl individuelle als auch modulare Lösungen. Hering ist Spezialist für Systemlösungen für die Schieneninfrastruktur als auch für Produkte im öffentlichen Raum und für Architekturbeton.
https://www.heringinternational.com