Interview mit Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel

Eckhard Nagel, Foto: Universitätsklinikum Essen
Eckhard Nagel, Foto: Universitätsklinikum Essen

Ein Universitätsklinikum steht immer für den Dreiklang aus Krankenversorgung, Forschung und Lehre. Für Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrats und im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages ist, gibt es dennoch einen klaren Fokus. Im Sinne des Leitbildes des Universitätsklinikums Essen, „Spitzenmedizin und Menschlichkeit“, stehen für ihn an allererster Stelle die Patienten. Eine für seine rund 5600 Mitarbeiter nicht immer einfache und doch sehr erfüllende Aufgabe. Das Interview führte Christiane Siemann.

Zur Person

Univ. Prof. Dr. Dr. med. habil. Dr. phil. Dr. theol. h.c. Eckhard Nagel, 52 Jahre, studierte Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover und unter anderem an der University of Vermont (USA). Zudem studierte er Philosophie und Geschichte. Nach der Promotion zum Doktor der Medizin war er an der Medizinischen Hochschule Hannover als wissenschaftlicher Assistent, später als Oberarzt für Abdominal- und Transplantationschirurgie tätig. 1998 habilitierte er zum Thema „Neue Beurteilungsverfahren in der Medizin am Beispiel der Transplantationschirurgie“. Nagel ist seit 2001 Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften sowie Mitglied der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie der Universität Bayreuth. Von 2001 bis 2010 war er Chefarzt und Leiter des Chirurgischen Zentrums sowie des Transplantationszentrums im Klinikum Augsburg, seit 2010 ist er Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen. 2002 wurde Nagel erstmals in den neu gegründeten Nationalen Ethikrat (heute Deutscher Ethikrat) berufen.

Zum Universitätsklinikum Essen

Als Krankenhaus der Maximalversorgung liegt das Universitätsklinikum Essen im Herzen der Metropole Ruhr. Im vergangenen Jahr wurden hier rund 163.000 Patienten ambulant behandelt und weitere 49.000 stationär in rund 1300 Betten. 5590 Experten der unterschiedlichsten Disziplinen in 26 Kliniken und 20 Instituten arbeiten auf dem neuesten Stand der Forschung. Neben den Forschungsgebieten Genetische Medizin, Immunologie und Infektiologie konzentriert sich das Klinikum seit Jahren auf die drei Schwerpunkte Herz- Kreislauf, Transplantation und Onkologie. So ist das Westdeutsche Tumorzentrum Essen (WTZ), ein Comprehensive Cancer Center nach amerikanischem Vorbild, seit 2009 als onkologisches Spitzenzentrum in Deutschland anerkannt. Hier werden jährlich mehr als 2000 Operationen durchgeführt.

Herr Professor Nagel, war Ihnen der Wunsch, Medizin zu studieren, in die Wiege gelegt?
Nein, als Junge wollte ich natürlich Fußballprofi werden. Aber mit zwölf Jahren musste ich als Patient ins Krankenhaus, mir wurde der Blinddarm entfernt. Damals war es noch üblich, dass sich der stationäre Aufenthalt bis zu zehn Tagen hinzog. So blieb mir drei Tage nach der Operation viel Zeit zum Schlendern über die chirurgische Station. Das fand ich faszinierend, denn in der chirurgischen Abteilung herrschte immer viel Spannung – im positiven Sinne. Mir wurde klar, dass man dort Menschen ganz unmittelbar helfen kann. Das ist in der Chirurgie noch deutlicher spürbar als in anderen medizinischen Fachdisziplinen. Von da an stand für mich fest, dass ich Medizin studieren wollte. Nach dem Abitur habe ich dann ein zweimonatiges Pflegepraktikum absolviert und danach das Studium begonnen.

Welche prägende Erinnerung haben Sie an Ihr Studium?
Die erste und wichtigste war der Anatomiepräparationskurs, denn mit der Arbeit am menschlichen Leichnam begann das Studium. Das hat mich sehr beeindruckt. Einerseits wurde mir klar, was es heißt, mit, am und für den Menschen zu arbeiten. Andererseits war ich sehr enttäuscht, dass es damals keinen Kontakt mit Patienten in der medizinischen Versorgung gab. Das hat mich frustriert und war ein Grund dafür, dass ich parallel noch ein Philosophiestudium begann. Hier kam ich dem Menschen als Gesamtpersönlichkeit auf intellektueller Ebene ganz nah und nicht nur den Bausteinen aus Aminosäuren. Letztlich wollte ich den Menschen ganzheitlich kennenlernen, um auch mich besser kennenzulernen. Das Leben ist ein Findungsprozess. Dafür braucht es Freiheit und Unterstützung. Beides hat mein Studium charakterisiert.

Wie haben Sie die Entscheidung getroffen, Chirurg zu werden?
Ich hatte zwar meine Doktorarbeit in der Chirurgie geschrieben, aber zu dieser Zeit fasste ich noch zwei andere Fachrichtungen ins Auge, nämlich Psychiatrie und Kinderheilkunde. Um eine Entscheidung zu treffen, habe ich Lehrer befragt, warum sie sich gerade für ihr Fachgebiet entschieden hatten. Bei zwei Professoren waren es vornehmlich biografische Zufälle. Der dritte, der Chirurg, fand meine Frage lächerlich: Ob man Chirurg werden wolle oder nicht, wisse man, wenn man morgens das Ei aufschlage. Diese Offenbarung blieb mir leider verwehrt. Dennoch bewirkte diese Eindeutigkeit der Identifikation, dass ich besonderes Interesse gewann und die Chirurgie ausprobieren wollte. Dabei hatte ich dann das außerordentliche Glück, den Transplantationsmediziner Dr. Rudolf Pichlmayr kennenzulernen. Die Begegnung mit ihm und seine faszinierende Persönlichkeit – sowohl als Chirurg als auch als Mensch – haben mich sehr stark geprägt und persönlich beeinflusst. Nach einem Monat stand für mich die Fachausrichtung fest.

Sie haben es an die berufliche Spitze geschafft. Welche Voraussetzungen haben Sie dafür mitgebracht?
Ich wollte Verantwortung übernehmen und nicht nur mitlaufen. So habe ich bewusst die Entscheidung getroffen, zuerst an einem Universitätsklinikum zu arbeiten. Hier bewegt man sich an der Spitze der Entwicklung der Medizin – selbst als Assistent. Zudem lässt die Ausbildung alle Möglichkeiten offen: den Weg in die Wissenschaft, in die Praxis oder in die Krankenhauskarriere. Und es braucht eine große Portion Leidenschaft – für die Medizin als Wissenschaft, für die Hinwendung zum Patienten – sowie Gestaltungswillen. Grundsätzlich gilt: Eine Karriere fällt niemandem zu – man wächst in sie hinein, indem sich Aufgaben- und Verantwortungsbereiche erweitern. Dabei sollte die grundsätzliche Neigung zum Beispiel für die Lehrtätigkeit, die Forschung, die organisatorischen Aufgaben oder die Prozessgestaltung vorhanden sein. Nur was man gerne tut, macht man letztlich auch gut. Beim Kennenlernen der Systeme und ihrer Strukturen, ob in Kliniken oder in der Wissenschaft, ist mir aber auch schnell klar geworden, dass für mich das Wichtigste der einzelne Patient, also die Beziehung zum Menschen bleibt. Eine Karriere, für die man das Opfer bringen muss, sich als Mensch zu verbiegen, führt langfristig nicht zur Zufriedenheit und verleidet einem die Berufstätigkeit. Ob als Oberarzt, Chefarzt oder Klinikleiter – die innere Freiheit, sich jederzeit entscheiden zu können, wie man seine Karriere fortsetzen möchte, zum Beispiel durch einen Wechsel aus der Klinik in die eigene Praxis, sollte man immer behalten.

Sie sind auch Mitglied des Deutschen Ethikrats und im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Warum ist Ihnen das wichtig?
Eine Berufung ist Ehre und Verpflichtung zugleich. Aber es ist kein leichter Lernprozess, interessante Aufgabenstellungen zu priorisieren. Mein Tag hat ja nicht mehr Stunden als der anderer Menschen. Als ich gefragt wurde, ob ich bereit wäre, zum Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchentages gewählt zu werden, habe ich lange überlegt und dann entschieden, meine parallele Arbeit im Transplantations-Forschungslabor vorerst aufzugeben. Es war ein persönlich begründeter Schritt, von dem ich heute weiß, dass er mir ermöglicht hat, über meinen eigenen professionellen Bereich hinaus viel für das Gesundheitswesen generell zu bewegen. Wie auch bei meinem Engagement im Deutschen Ethikrat.

Welchen Rat würden Sie Assistenzärzten für die Karriereplanung geben?
Karriere um der Karriere willen ist eine falsche Entscheidung. Ein Posten an sich macht nicht glücklich. In jeder Ausbildungsphase sollte man sich fragen, was soll die nächste Stufe bringen, wo liegen meine Neigungen? Ist mein Platz eher am OP-Tisch, im Labor, in der Ausbildung der Studierenden oder bei der Übernahme organisatorischer Verantwortung? Wer diese Fragen für sich beantwortet und akzeptiert, dass das Leben ein andauernder Lern- und Entwicklungsprozess ist, legt die Basis für einen Beruf, der Erfüllung bringt.