Warum gute Bildung nicht immer mit Noten zu tun hat

Warum gute Bildung nicht immer mit Noten zu tun hat, Grafik: canva.com
Warum gute Bildung nicht immer mit Noten zu tun hat, Grafik: canva.com

Autor Tom Kraftwerk („Warten auf Foucault“) über den Sinn und Unsinn des heutigen Studentenlebens

Ich gebe regelmäßig Studienberatung. Im Normalfall fragen mich dann Jugendliche – oder ihre Eltern – wie das Bewerbungsverfahren an Unis funktioniert, wie man trotz einer mittelmäßigen Abiturnote an ein Medizinstudium kommt oder wie man BAföG beantragt.

In letzter Zeit fällt mir insbesondere auf Jobmessen eine Gruppe besonders auf: Eltern, die sich nicht mehr über das Organisatorische am Studium informieren wollen oder spezifische Inhalte von Studienangeboten erfragen, sondern hauptsächlich Sorgen um die Jobperspektiven ihrer Sprösslinge zu haben scheinen. Mit besorgter Stimme heißt es dann, das Kind wolle Politikwissenschaften studieren. Oder Germanistik. Und ob man dem Kind nicht mit seiner Erfahrung davon abraten könnte. Das ist kein Scherz. Anstatt sich für die schier unendliche Auswahl von Studiengängen und deren Inhalte zu interessieren, geht es Erziehungsberechtigten immer häufiger darum, dass ihr Kind etwas „Vernünftiges“ studiert. Irgendwas mit „beruflicher Perspektive“.

Bildung als Mittel zum Zweck

Als würde man durch ein Studium und dem Erreichen des höchsten Bildungsabschlusses, der hierzulande möglich ist, mehr Nachteile auf dem Arbeitsmarkt haben, als ohne. Doch genau darum geht es den besorgten Eltern: Gute Bildung scheint überwiegend nicht mehr interessengesteuert, sondern perspektivisch verstanden zu werden.

Ich hab‘s hinter mir. Ja, ich bin ein Sozialwissenschaftler. Beziehungsweise: Ein Absolvent. Sozialwissenschaftler ist nicht meine Berufsbezeichnung und das wird sie auch nie sein. Die fehlerhafte Annahme vieler ist, dass sich Studiengänge wie Ausbildungen verhalten: Wie der Maurerlehrling Maurer wird, so wird der Psychologiestudent Psychologe, die Jurastudentin Anwältin und mit einem Soziologiestudium wird man eben automatisch Soziologe (was auch immer die genau machen). Ist natürlich grober Unfug. Vier Jahre meines Lebens verbrachte ich mit dem Studium der Soziologie. Warum ich das Studienfach gewählt habe? Nicht um Soziologe zu werden. Einer meiner Profs sagte mal in einer Einführungsveranstaltung, dass nur etwa 1% der Soziologiestudierenden tatsächlich mal Soziologen werden. Warum studiert man das also?

Studieren ist auch Eigenverantwortung und Arbeit

Eine recht häufig gestellte Frage von Schüler*innen in der Beratung dreht sich gar nicht um den Inhalt, die Organisation oder die Berufsperspektiven von Studiengängen. Die meisten wollen wissen, wie „Studieren so ist“. Ich erkundige mich dann gerne nach dem Lieblingsfach des oder der Beratungssuchenden. Im Anschluss antworte ich: Studieren ist im Grunde wie Schule, nur dass du von morgens bis abends dein Lieblingsfach hast. Da leuchten regelmäßig die Augen. Natürlich ist das eine geradezu romantische Vorstellung, doch es sind die Kriterien, nach denen man meiner Meinung nach seine Zukunft gestalten, seinen Bildungsweg suchen sollte. Ein Studium besteht – und das kann wohl jeder Studierende unterschreiben – nicht nur aus Spaß, egal für welches Fach man sich am Ende entscheidet.

Cover Warten auf Foucault, Ttom Kraftwerk

Immer mehr Bachelor-Studenten hetzen durch ihre paar Jahre an der Uni und verpassen dabei die wichtigste Lektion: Denn es geht beim Studium nicht darum, abkömmliches Fachwissen anzuhäufen, sondern um Lebenserfahrung. Und die bekommt man am besten in ungewöhnlichen Nebenjobs, überfüllten WGs und experimentellen Beziehungsformen. Als vorlauter Vertreter seiner Generation erzählt Tom Kraftwerk aus seinem Studentenleben und wirft liebgewonnene Bildungs-Dogmen über den Haufen. Ein Mutmach-Buch für trödelnde Studenten, ein erhobener Zeigefinger für alle Streber und eine Beruhigungspille für hysterische Eltern.

Tom Kraftwerk, Warten auf Foucault. Anleitung zum Nicht-Studieren, Bastei Lübbe 2017, ISBN 978-3-404-60958-1

Studieren ist auch harte Arbeit. Mir war bis zu meiner ersten Hausarbeit nicht bewusst, wie viel man für ein Thema tatsächlich lernen kann. Wie anspruchsvoll korrektes Zitieren und das Einhalten wissenschaftlicher Standards ist. Und Studieren ist auch Bürokratie. Der BAföG-Antrag raubt einem alle zwei Semester aufs Neue die Nerven, die Studienordnungen und Modulhandbücher sind nochmal eine ganz eigene Wissenschaft für sich. Und Eigenverantwortung: Keiner weckt dich mehr, damit du es pünktlich zur Vorlesung schaffst. Keiner erinnert dich an Deadlines.

Vor allem ist Studieren jedoch Organisation: Das unter einen Hut bringen von Sozialleben, Nebenjob und Studium beherrscht keiner von Anfang an. Das muss jeder lernen, der irgendwann einen Abschluss haben will. Es ist eine der schwierigsten Hürden, besonders, wenn man die schier unendlichen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung im Studentenleben betrachtet (Ja, Studieren ist auch Feiern). Doch wenn man Spaß daran hat, sich in die schwierigen Texte einzulesen und an den anspruchsvollen Diskussionen in Seminaren teilzunehmen, weil einen das Thema im Großen und Ganzen interessiert, läuft vieles entspannter.

Jedes Studium vermittelt demnach – ungeachtet des Inhalts – Soft-Skills, die sich Arbeitgeber wünschen: Verantwortungsbewusstsein, Organisationstalent und Zeitmanagement. Wenig Verwendung hat der Arbeitsmarkt hingegen für Leute, deren Hard-Skills darin bestehen, eine Regressionsanalyse durchführen zu können. Für Absolventen, die wissen, dass Ehen statistisch häufiger geschieden werden, wenn die Frau mehr Geld verdient als ihr Ehemann und die verstehen, warum Liebe kein Gefühl, sondern ein „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ ist.

Wer Soziologie studiert, weiß natürlich, dass man mit einem derartig „generalisierten“ Studienfach keine besonders großen Vorteile auf dem Arbeitsmarkt hat. Doch die Leidenschaft am Beobachten und das Interesse am Erforschen komplexer gesellschaftlicher Vorgänge ist bei Studierenden im sozialwissenschaftlichen Bereich stärker als die Forderung nach einem Einstiegsgehalt, bei dem schon vom ersten Monat an der Höchststeuersatz greift.

Was taugt der Abschluss ohne Lebenserfahrung?

Nach meinem Soziologiestudium habe ich übrigens direkt im Anschluss einen Job bekommen. Er war sogar ganz gut bezahlt, zumindest konnte ich selbstständig für meine Miete und den Inhalt meines Kühlschranks sorgen. Wie ich ihn – trotz Soziologie – bekommen habe? Nicht wegen meiner Note (2,3), nicht wegen meiner Zielstrebigkeit (2 Semester über Regelstudienzeit). Sondern weil ich glaubhaft Interesse bekunden konnte. Durch Ehrenämter und Nebenjobs, die ich während meines Studiums geleistet habe, die mir sowas wie Berufserfahrung gaben und mir Kontakte vermittelten.

Ich war selbstständig in der Weinbranche, habe ehrenamtlich an Problemschulen gearbeitet, habe im Lebenslauf bewiesen, dass ich belastbar und lernfähig bin. Deshalb sollte die beste Studienberatung auch immer ein bisschen ermahnen: Allein die Tatsache, dass du irgendwann einen akademischen Grad im Lebenslauf angeben kannst, macht dich noch lange nicht interessant für einen Arbeitgeber. Wenn man das beachtet, muss man sich wahrlich keine Sorgen machen, mit einem Hochschulabschluss am Hungertuch zu nagen – möge er noch so unspezifisch sein.