Bühne fürs Business

BerufSZiel 1.2005, Foto: Dynevo GmbH
BerufSZiel 1.2005, Foto: Dynevo GmbH

Alles wird anders – aber wird auch alles besser? Wenn Veränderungen in einem Unternehmen anstehen, blicken viele Mitarbeiter verunsichert und skeptisch in die Zukunft. Führungskompetenz zeichnet sich unter anderem dadurch aus, Mitarbeitern ihre Unsicherheit zu nehmen, sie zu sensibilisieren und für künftige Aufgaben zu motivieren. Gerade in innovativen Unternehmen wird dafür auf eine der ältesten Kommunikationsplattformen zurückgegriffen: die Bühne. Von Anne Thesing

Den Hörer hat die Call-Center-Mitarbeiterin geschickt hinters Ohr geklemmt, um während des Telefonierens in aller Ruhe ihre Fingernägel lackieren zu können. Zwischen zwei Kundenanrufen macht sie noch schnell ein Date für den Feierabend klar und schickt ein „Bussi“ durch die Leitung, bevor der nächste Kundenanruf ihre Abendvorbereitungen unterbricht. Im Hintergrund läuft Stevie Wonders „I just called to say I love you“. Gesprochen wird auf der Bühne kein einziges Wort – Gestik und Mimik sind bestens geeignet, einen humorvollen Blick in ein „typisches“ Call-Center zu gewähren. Das Publikum belohnt die pantomimische Darstellung mit lautem Applaus und spontanem Lachen.

Damit hat Harald Fuß, Geschäftsführer des Kölner Unternehmenstheaters „Mobilé“, sein erstes Teilziel erreicht: die Herzen der Zuschauer zu öffnen. Gerade in Szenen wie dieser, die den Arbeitsalltag kritisch beleuchten, wandert er dabei auf einem schmalen Grat. „In unseren Stücken halten wir den Zuschauern zwar einen Spiegel vor, aber mit einem charmanten Augenzwinkern. Ganz bewusst überzeichnen wir die Realität theatralisch und üben dadurch weiche Kritik – die eher angenommen wird als harte“, erklärt er seine Methode.

Überraschungsfahrt zum Flughafen

Einige Stunden zuvor waren die rund 290 Mitarbeiter des Rengsdorfer Reiseunternehmens „Berge & Meer“ in Bussen zum Flughafen Köln/Bonn chauffiert worden. Eine Veranstaltung zur Einführung des neuen Marktauftritts war angekündigt, mehr wurde im Vorfeld nicht bekannt gegeben. Mit unterschiedlichen Erwartungen betreten die Angestellten gegen 18 Uhr den festlich dekorierten Saal, hinter dessen Fensterfront die Flugzeuge starten und landen. „Eine ideale Kulisse für die Veranstaltung eines Reiseunternehmens“, betont Mitorganisatorin Marion May, als sich die Halle zu füllen beginnt. „Ich bin wirklich gespannt, wie die Mitarbeiter reagieren.“

Theater als Werkzeug

Begriffe wie Unternehmens-, Business-, Motivations- oder Seminartheater beschreiben eine Form der Unternehmenskommunikation, die seit den 80er-Jahren in Deutschland praktiziert wird. Ein Blick auf die unterschiedlichen Anbieter zeigt die Zielsetzung: So heißt es zum Beispiel bei der Theatergruppe von „szenenmacher & co“: „Wir beraten und gestalten mit Theater und theaterpädagogischen Methoden Veränderungs- und Lernprozesse in Organisationen.“ Die Akteure von „SpielPlan“ sehen sich als „Fachleute für kreatives Verändern“. Und das Mobilé-Theater hat sich das Schlusswort von Fritz Lang aus dem Film Metropolis zur Handlungsschnur gesetzt: „Der Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.“

Veränderungen veranschaulichen

Klaus Scheyer, einer der beiden Geschäftsführer und Unternehmensgründer von Berge & Meer, war von Anfang an überzeugt, dass die Vermittlung zwischen Hirn und Händen funktionieren würde. „Unternehmenstheater ist eine sehr einfache Möglichkeit, den Mitarbeitern plastisch zu zeigen, wie man es anders machen kann“, begründet er seine Entscheidung, Theater als Kommunikationsinstrument einzusetzen. Harald Fuß, dessen Mobilé-Team mit der Umsetzung beauftragt wurde, weiß, dass dieses ungewöhnliche Instrument in den Führungsetagen Mut erfordert. „Oft ist es schwierig, den Leuten zu vermitteln, dass wir wirklich in der Lage sind, die Mitarbeiter durch unseren Auftritt zu emotionalisieren“, meint er.

Unterhaltung mit Wirkung

An diesem Abend, am Kölner Flughafen, funktioniert das Emotionalisieren. Spätestens als die Abteilung „Einkauf“ auf der Bühne inszeniert wird, springt der Funke über. „Ich kauf’ mir was, Kaufen macht so viel Spaß“, begleitet Herbert Grönemeyers Hit den Schauspieler, der hektisch seinen imaginären Einkaufswagen durch imaginäre Gänge schiebt und dabei kein Regal unberührt lässt. Bevor im nächsten Moment die deutsche Musik durch südländische Klänge ersetzt wird: Der Einkäufer betritt einen anderen Kulturkreis, wo er von einem einheimischen Kunden verspätet, aber umso herzlicher mit mehreren Küssen pro Wange begrüßt wird.

Die amüsierten Zuschauer merken spätestens jetzt: An diesem Abend ist Unterhaltung angesagt. Dabei
soll es aber nicht bleiben. „Wir wollen Mut zu neuen Handlungsweisen aufbauen und verkrustete Strukturen aufbrechen“, beschreibt Harald Fuß die Zielsetzung. Nach der „Ist-Analyse“ – der humorvollen Inszenierung der einzelnen Unternehmensabteilungen – arbeitet seine Truppe daher an diesem Abend langsam auf die Zukunft hin: Bei feierlicher Musikuntermalung zerreißen die Schauspieler das alte Unternehmenslogo, entwickeln gemeinsam ein neues und präsentieren es dem Publikum. Die Zuschauer lassen sich von der Aufbruchstimmung auf der Bühne mitreißen, applaudieren, sind sichtlich begeistert.

Erinnerungsvermögen

Doch mit dem neuen Logo allein ist es nicht getan. „Die Schauspieler sollen auf der Bühne darstellen, wie dieses neue Corporate Design in Zukunft von den Mitarbeitern umgesetzt werden kann“, beschreibt Scheyer seine Erwartungen, die im Vorfeld an Mobilé weitergegeben wurden. Die Theatergruppe übernahm daraufhin die künstlerische Umsetzung der besprochenen Inhalte und präsentierte den Unternehmensvertretern das Script. Bei der Generalprobe hatten die Geschäftsführer Klaus Scheyer und Reiner Meutsch schließlich noch die Gelegenheit, das Stück als Ganzes freizugeben. Danach blieb nur noch die Frage, wie das Publikum reagieren würde. „Viele von uns haben sich in den dargestellten Situationen wiedergefunden und konnten darüber lachen“, meint eine Angestellte aus dem Einkauf nach der Aufführung. Eine Kollegin aus dem Vertrieb betont: „Durch solche Aktionen kann man die Inhalte besser verinnerlichen, da man sich an bestimmte Gesten und an die Musik besser erinnert als bei einer ‚normalen’ Präsentation.“

Eingängige Prototypen

Im Vergleich zu Präsentationen und Vorträgen hat Unternehmenstheater den Vorteil, das Publikum auf einer sinnlicheren Ebene ansprechen zu können. „Durch unsere Darstellung implantieren wir bei den Zuschauern Bilder, die eine hohe Halbwertszeit haben, weil sie emotional stärker haften bleiben. Indem wir die Inhalte auf der Bühne darstellen und vorleben, öffnet sich bei den Zuschauern das Herz, und die Botschaft erreicht den Kopf“, erklärt Harald Fuß. Klaus Scheyer hofft, dass sie dort lange präsent bleibt und das künftige Handeln bestimmt. „Ideenreich“, „Anspruchsvoll“ und „Geradlinig“ sind die Unternehmenswerte, die seine Mitarbeiter mit Hilfe der Bühnenpräsentation verinnerlichen sollen. Die Schauspieler bedienen sich dabei eines ihrer gängigsten und zugleich eingängigsten Mittel: der Prototypen.

Da ist zum Beispiel der ideenreiche Mitarbeiter – jemand, der Neues ausprobiert, aus der Reihe fällt und die Kollegen mit seiner Begeisterung ansteckt. In einer anderen Szene betritt die anspruchsvolle Kundin im Urlaubsoutfit die Bühne – und demonstriert ihren hohen Anspruch bei der gut überlegten Auswahl ihrer männlichen Verehrer. Und da ist schließlich das geradlinige Fußballteam, das sich nicht mit aufwändigen Dribbelkunststücken aufhält, sondern einfach nur zum richtigen Zeitpunkt den entscheidenden Treffer landet. So folgt auf der Bühne ein Wert dem anderen. Jeweils mit Musik hinterlegt, die mitreißt und Lust auf Veränderungen macht. Und damit erreicht Harald Fuß sein nächstes Teilziel: Sein Unternehmenstheater wird zum spielerischen Instrument des Veränderungsmanagements.

Brüche verarbeiten

Typische Veränderungsprozesse, bei denen sich Unternehmenstheater anbietet, sind Fusionen, Standortwechsel oder Umstrukturierungen. Im Zuge eines einschneidenden Neuanfangs wurde zum Beispiel bei dem Chemieanbieter Lanxess die Bühne als Kommunikationsmittel eingesetzt. Das Unternehmen, in dem Bayer die meisten seiner Chemie- und zirka ein Drittel der Polymeraktivitäten ausgegliedert hat, wird nach der Loslösung von der Bayer AG zu einem eigenständigen, weltweit tätigen Konzern. In der Übergangsphase kam es bei den Mitarbeitern zu großen Verunsicherungen. „Bei vielen haben schon die Väter und Großväter im Bayer-Konzern gearbeitet.

Die Identifikation mit dem Arbeitgeber ging bei den meisten weit über das übliche Maß hinaus“, erklärt Ralph Esper, Leiter Corporate Media. Plötzlich war die Identifikation mit einem neuen Unternehmen gefragt – eine Veränderung, mit der viele Mitarbeiter Schwierigkeiten hatten. „Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hätten wir gar nichts machen müssen“, betont Esper. „Schließlich hat sich in dieser Hinsicht für den Einzelnen kaum etwas geändert. Doch aus psychologischer Sicht war es äußerst wichtig, etwas zu unternehmen, um jedem ein spürbares Zeichen für den Start des neuen Konzerns zu geben.“ Und so entstand die Idee: eine Geburtstagsparty.

Der etwas andere Geburtstag

Am 1. Juli 2004 war es so weit. In einer ausgedienten Werkshalle feierten die Lanxess-Mitarbeiter den virtuellen Start ihres Unternehmens und die Loslösung von der Muttergesellschaft. Ein entscheidender Bestandteil des Partyprogramms war das Unternehmenstheater von Mobilé. Für dieses Kommunikationsmittel hatte man sich nicht nur wegen seines inhaltlichen Potenzials entschieden, sondern auch und vor allem wegen seiner Andersartigkeit. „Früher, bei Bayer, hätte es eine solche Veranstaltung wohl nicht gegeben. Und gerade deshalb war sie für uns ideal: Schon durch die Form der Darstellung wollten wir unseren Mitarbeitern die neue Richtung weisen, ein Signal senden und ihnen emotional ein neues Zuhause geben“, erklärt Esper.

Als „klassisches Unternehmenstheater“, bezeichnet Mobilé-Mitinhaberin Michaela Köhler-Schaer diese Geburtstagsveranstaltung. Ihr Team wurde mit der Aufgabe betraut, in fünfzehn Minuten die junge Geschichte des Unternehmens auf der Bühne transparent zu machen – vom „Blitzeinschlag“, also der Loslösung, über die Ängste der Mitarbeiter bis hin zur Namensgebung und Umstrukturierung. „Bei dieser Darstellung hat sich jeder einzelne Mitarbeiter wiedergefunden, aber auch das Unternehmen als Ganzes wurde präsentiert“, betont die Leiterin der internen Kommunikation von Lanxess, Christiane Mueller. Besonders beeindruckt hat sie die anschauliche Umsetzung abstrakter Botschaften. „Wie könnte man besser die Aussage ‚Wir schaffen es gemeinsam’ darstellen, als mit zwei Menschen, die in gemeinsamer Aktion akrobatische Höchstleistungen vollbringen“, schwärmt sie.

Ob Lanxess es „gemeinsam schafft“, werden die kommenden Monate zeigen. Die Aufführung der Mobilé-Gruppe sollte dabei eine initiierende und unterstützende Wirkung haben. Entfalten kann sich diese Wirkung jedoch nur, wenn sie in eine intensive Nachbereitung eingebettet wird.

Neue Linie leben

So auch bei dem Reiseunternehmen Berge & Meer, wo Nachbereitungsprogramme in den einzelnen Abteilungen fortführen sollen, was am Kölner Flughafen begonnen hat. Doch schon vorher wird klar: Die Botschaft ist angekommen. „Mich hat die Veranstaltung motiviert“, meint ein Mitarbeiter. „Sie hat mich dazu angeregt, Arbeitsweisen zu überdenken und zu verbessern.“ Und eine Kollegin fügt hinzu: „Ich persönlich habe daraus mitgenommen, dass Ideenreichtum nötig ist und man mehr zwischen den Abteilungen kommunizieren sollte.“ Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Besonders den Blick in die Vergangenheit hätten einige gerne etwas positiver gesehen. „Schließlich war vorher nicht alles schlecht“, meint eine Mitarbeiterin im Hinblick auf die Call Center-Szene.

Doch ob durch Zuspruch oder Kritik: Der Auftritt hat bei der Belegschaft für Diskussionsstoff gesorgt und wird schon allein deshalb einige Zeit im Gedächtnis haften bleiben. Genauso wie der Rest des Abends, den man bei Kölsch und Häppchen ausklingen ließ. Bis schließlich die Busse wieder vorfuhren und es zurückging nach Rengsdorf, wo die neue Unternehmenslinie nun gelebt werden soll. Erst wenn das gelingt, können die Veranstalter von einem vollen Erfolg
des Unternehmenstheaters sprechen.